zum Hauptinhalt
Allgegenwärtig. Das Pflanzenschutzmittel Glyphosat wird auf 30 bis 40 Prozent der deutschen Äcker versprüht.
© Julian Stratenschulte, dpa

Pflanzenschutzmittel: Der Streit um das Anti-Unkraut-Mittel Glyphosat

Löst das Pflanzenschutzmittel Glyphosat Krebs aus? Warum zwei umfassende Gutachten zu scheinbar widersprüchlichen Einschätzungen kommen.

Frankreichs Umweltministerin reagierte medienwirksam: Ab nächstem Jahr dürfen Pflanzenschutzmittel, die den Wirkstoff Glyphosat enthalten, in den Gartencentern des Landes nur nach einem Beratungsgespräch verkauft werden, verkündete Ségolène Royal im Juni. Hobbygärtner sollen künftig von geschulten Mitarbeitern über Alternativen im Kampf gegen Unkraut informiert werden.

Der Schritt folgte auf eine besorgniserregende Nachricht. Ende März hatte die Weltgesundheitsorganisation WHO im Fachblatt „Lancet Oncology“ bekannt gegeben, dass die Internationale Krebsforschungsagentur IARC mehrere Herbizide als „wahrscheinlich krebserregend“ einstuft. Darunter war Glyphosat – aufgrund „begrenzter Evidenz“ dafür, dass es beim Menschen Non-Hodgkin-Lymphome und Lungenkrebs hervorrufen und aufgrund „überzeugender Evidenz“ dafür, dass es bei Tieren Krebs erregen kann. Eine Begründung für diese Aussagen fehlte. Diese lieferte die in Lyon ansässige Agentur nun in einem 92-Seiten-Bericht zu Glyphosat nach. Er birgt erneut Sprengstoff.

Der Wirkstoff mit der chemischen Bezeichnung N-(Phosphonomethyl)glycin, den die IARC in die Kategorie 2A („wahrscheinlich krebserregend“) einordnet, wurde in den 1970er Jahren von der Firma Monsanto synthetisiert und ist der wesentliche Inhaltsstoff des Pflanzenschutzmittels Roundup. Es gehört zu den Herbiziden, die weltweit am häufigsten eingesetzt werden. Immense Bedeutung hat Roundup nicht zuletzt, weil es den meisten gentechnologisch veränderten Nutzpflanzen nichts anhaben kann – im Unterschied zu dem Unkraut in ihrer Nähe. Dass Monsanto-Vertreter die IARC-Studie kritisierten, ist also nicht erstaunlich. Auch weil die Zulassung in Europa 2015 ausläuft. Zusätzlich gibt es aber offensichtliche Diskrepanzen zwischen der Einschätzung der Krebsagentur und derjenigen internationaler Zulassungsinstanzen und Behörden, die in ihrem Auftrag wissenschaftlich tätig werden.

Gefährlichkeit ist nicht gleichbedeutend mit Risiko

So ist kurz vor der ersten IARC-Veröffentlichung ein Bericht aus Deutschland bei der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) im italienischen Parma eingegangen. Die EU hatte die Bundesrepublik zum Berichterstatter für Glyphosat bestimmt, die wiederum das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) mit einer Einschätzung der gesundheitlichen Risiken für Mensch und Tier beauftragte. Gestützt auf über 1000 neue Studien und andere Quellen kam die Behörde zu der Auffassung, dass „nach derzeitiger wissenschaftlicher Kenntnis bei bestimmungsgemäßer Anwendung von Glyphosat kein krebserzeugendes Risiko für den Menschen zu erwarten ist“.

Zwei umfassende Analysen, zwei gegensätzliche Aussagen. Ist der Stoff nun „wahrscheinlich krebserregend“ oder „ohne krebserzeugendes Risiko“? Wie können Forscher, die überwiegend dieselben Quellen heranziehen, zu so unterschiedlichen Interpretationen kommen? Roland Solecki, Leiter der Abteilung „Sicherheit von Pestiziden“ des BfR betont die unterschiedlichen Blickwinkel beider Institutionen: „Die IARC benennt Stoffe und untersucht deren Gefahren. Wir schauen zusätzlich, wie hoch das Risiko bei sachgemäßer Anwendung ist.“ Nur wenn Mensch und Tier einem Stoff mit gefährlichen Eigenschaften in einer bestimmten Dosierung ausgesetzt sind, wird er für sie zum Risiko. Ein Beispiel ist eine Studie aus den 1980er Jahren. Demnach erkrankten Mäuse, denen fast zwei Jahre lang Glyphosat ins Futter gemischt wurde, häufiger an Nierenkrebs. Allerdings bekamen die Versuchstiere in den Augen des BfR eine extrem hohe Dosis. Damit es in der Praxis nicht dazu kommt, werden aus Tierversuchen Grenzwerte und ein „Acceptable Daily Intake“ abgeleitet. Dann folgt die Abschätzung, welchen Mengen besonders gefährdete Gruppen ausgesetzt sind, im konkreten Fall also vor allem in der Landwirtschaft Beschäftigte. Fall-Kontroll-Studien geben Auskunft über deren Erkrankungsrisiken.

Glyphosat ist zu teuer, um es verschwenderisch zu versprühen

Den Unterschied zwischen grundsätzlicher Gefährlichkeit und konkreter Gefährdung macht auch die kanadische Behörde Health Canada geltend. Sie teilt Bürgern in einer aktuellen Stellungnahme mit, es sei „unwahrscheinlich“, dass Glyphosat ihrer Gesundheit schade, „wenn sie es vorschriftsgemäß anwenden“. Auch die Umweltbehörde der USA (Environmental Protection Agency), die 2013 die Höchstwerte für die Exposition sogar heraufgesetzt hat, teilt diese Ansicht. Bei einem öffentlichen Fachgespräch des Bundestags-Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft im Juli 2014 erläuterte Gerhard Gündermann, Vizepräsident des für Kulturpflanzen und ihre Ökosysteme in Deutschland zuständigen Julius-Kühn-Instituts, dass Bauern Glyphosat schon deshalb nicht in verschwenderischer Dosierung auf ihre Felder sprühen, weil es dafür zu teuer sei.

Das BfR steht mit seiner Einschätzung also nicht isoliert da. Kritiker – darunter die Online-Unterschriften-Aktion „Ärzte gegen Glyphosat“ – werfen ihm allerdings vor, dabei gleich auf zwei Wegen von der Industrie beinflusst gewesen zu sein. Zunächst, weil für den Bericht an die Efsa Originalstudien von Firmen und Leserbriefe an Fachzeitschriften ausgewertet wurden. „Originalstudien der Antragsteller werden vom Gesetzgeber ausdrücklich gefordert, und ‚Letters to the Editor’ sind ein Mittel der wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Zudem sind sie meist Richtlinien der Redaktionen unterworfen“, entgegnet Solecki.

Auch den Vorwurf, die Unabhängigkeit des BfR sei gefährdet, weil die Industrie in der ihm zugeordneten Kommission für Pflanzenschutzmittel und ihre Rückstände vertreten ist, weist das Bundesinstitut zurück: Diese Kommission sei an den hoheitlichen Aufgaben des Bundesinstituts nicht beteiligt. Sie habe insbesondere kein Mitspracherecht bei der Bewertung von Substanzen. Trotzdem kritisiert etwa das in München ansässige Umweltinstitut, ein Verein, der sich für ökologischen Landbau einsetzt: „Das BfR nimmt Argumente für Glyphosat sehr viel besser auf als Argumente dagegen.“

Auch innerhalb der WHO gibt es Differenzen

Solecki und seine Kollegen wollen die Argumente der IARC in den nächsten Wochen genau prüfen und ihre Einschätzung bei der Efsa nachreichen. Auch bei der WHO wird man auf Hochtouren arbeiten, schon weil es Unstimmigkeiten in den eigenen Reihen gibt. Das „Joint Meeting on Pesticide Residues“, eine der WHO unterstellte Forschergruppe, sieht nämlich im Unterschied zur IARC keine überzeugenden Hinweise auf eine Krebsgefahr durch Glyphosat. Die WHO hat jetzt Experten einberufen, die die Differenzen ihrer Unterorganisationen klären sollen.

Möglicherweise gibt es weniger strittige Punkte, sobald jene Studien ausgeklammert werden, in denen nachweislich problematische Stoffgemische untersucht wurden. So haben sich die Tallowamine – Netzmittel, die das Glyphosat besser in die Pflanze eindringen lassen – als toxisch erwiesen. Sie sind in Deutschland nicht mehr zugelassen. Aufgrund von Initiativen des BfR.

Mehr Sicherheit strebt das Bundesinstitut auch beim besonders sensiblen Thema Glyphosat in der Muttermilch an. Die erhöhten Werte in zehn Proben stillender Mütter aus den USA und 16 Urin- und Muttermilchproben, von denen die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen Ende Juni berichtete, haben in der Öffentlichkeit Besorgnis erregt. „Allerdings stehen diese Befunde im Gegensatz zu einer Vielzahl von Studien, die keine Hinweise auf eine Anreicherung im Körper erbracht haben“, heißt es beim BfR. Aufgrund seiner chemischen Eigenschaften sei es ausgeschlossen, dass sich Glyphosat im Fettgewebe des menschlichen Körpers anreichert und von dort in die Muttermilch gelangt. Wird es mit der Nahrung aufgenommen, so scheidet der Körper es innerhalb einer Woche nahezu vollständig aus, zeigten toxikologische Studien. Unklar sei zudem, ob die gewählten Analyse-Methoden für Muttermilch geeignet waren. „Wir haben nun zwei Labors beauftragt, geeignete Analysemethoden für Glyphosat in der Muttermilch zu erarbeiten“, sagt Solecki. Im Herbst sollen erste Ergebnisse vorliegen.

Am besten gar kein Unkrautvernichtungsmittel

Wer nach Alternativen für das Unkrautvernichtungsmittel sucht, muss neben möglichen Gefahren für die Gesundheit auch an die für die Umwelt denken. Maria Krautzberger, Präsidentin des Bundesumweltamtes (UBA) in Dessau, sprach sich deshalb im letzten Jahr gegen ein Verbot von Glyphosat aus. „Im Vergleich zu den anderen zur Verfügung stehenden Mitteln ist es akzeptabel“, sagte sie. Problematisch seien indes indirekte Auswirkungen aller Herbizide auf die biologische Vielfalt. Wenn Wildkräuter verschwinden, werden zum Beispiel bestimmte Vogelarten vom Umfeld der Äcker vertrieben. Daher müsse der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln generell reduziert werden, sagt die UBA-Chefin.

Das sollte auch für den heimischen Garten gelten, findet Solecki. Auch wenn die dort verbrauchten Mengen quantitativ kaum eine Rolle spielen. Was Umweltministerin Royal den Franzosen erst ab 2016 auferlegt, ist in Deutschland ohnehin längst Realität: Das Gesetz zum Schutz der Kulturpflanzen legt seit 2012 fest, dass Herbizide im Gartencenter verschlossen gehalten und nur auf Anfrage herausgegeben werden. Für Biozide gilt das nicht. Rattenbekämpfungsmittel stehen weiter im Regal.

Zur Startseite