Chemie auf dem Acker: Tauziehen um Glyphosat
Das meistverkaufte Pflanzenschutzmittel ist laut Bundesamt für Risikobewertung genauso unbedenklich wie zuvor. Trotzdem sollen Bauern es weniger spritzen.
Vielen geht der Name des Unkrautvernichtungsmittels so flüssig über die Lippen wie DDT. Ähnlich grausig erscheint es ihnen auch: Glyphosat ist eines der absatzstärksten Pflanzenschutzmittel. Weltweit verlassen jedes Jahr 640 000 Tonnen die Fabriken. Die Umweltorganisation BUND behauptet, das Mittel sei krebserzeugend und fruchtschädigend.
Das macht Angst. Mitten in der laufenden EU-Bewertung des Pflanzenschutzmittels lud das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) deshalb zu einem Symposium ins Berliner Messezentrum ICC. Über 200 Besucher informierten sich dort am Montag, was an den Schreckensmeldungen über Glyphosat dran ist: Dutzende Chemiker, Toxikologen und Biologen haben mehr als 150 neue Studien und 900 aktuelle Veröffentlichungen ausgewertet. Dabei wurden Ergebnisse von Universitäten und Nichtregierungsorganisationen berücksichtigt.
Die Europäische Kommission hatte die Hersteller im Vorfeld dazu „gedrängt, sich zusammenzuschließen“, sagte Lars Niemann, Chemiker am BfR. Damit sollten doppelte und dreifache Tierversuche vermieden werden. Zu jeder Frage brauchte das Konsortium nur eine Studie vorzulegen. Soweit die Theorie, die Praxis sah anders aus. So ist seit Jahrzehnten bekannt, dass Glyphosat die Augen reizt. Den Behörden lagen dazu schon 2002 aussagekräftige Studien vor. Nichtsdestotrotz sind nun 14 neue Experimente hinzugekommen, bei denen die Substanz Kaninchen ins Auge geträufelt wurde. Die fruchtschädigende Wirkung wurde sechsmal an Ratten und siebenmal an Kaninchen getestet. „Viele dieser Tiere sind umsonst gestorben“, sagte Niemann. „Im Wesentlichen haben die Daten unsere frühere Einschätzung bestätigt.“
Glyphosat gefährdet den Verbraucher nicht
Glyphosat ist nicht fruchtschädigend, nicht erbgutverändernd und nicht krebserzeugend. Das legt auch die Wirkungsweise nahe. Glyphosat hemmt ein Enzym, das nur in Bakterien, Pilzen und Pflanzen, nicht aber im Menschen vorkommt. Und weil weniger über Magen und Darm aufgenommen wird, als bisher angenommen, könnte die tägliche duldbare Aufnahmemenge sogar von 0,3 Milligramm je Kilogramm Körpergewicht auf 0,5 heraufgesetzt werden. Es wäre trotzdem sicher für den Verbraucher.
Wieso kommt der BUND zu einem anderen Schluss? Die Organisation habe gezielt das Haar in der Suppe gesucht und einzelne Studien herausgepickt, legte das BfR dar. Da traten beispielsweise in einer einzelnen Veröffentlichung Herzfehler beim Nachwuchs trächtiger Kaninchen auf, wenn den Tieren sehr hohe Dosen Glyphosat ins Futter gemengt wurden. Das Problem ist: Kein anderes Labor konnte die Ergebnisse nachvollziehen. Wenn so viel Gift verabreicht wird, können auch Stress und mangelnde Nahrungsaufnahme den Nachwuchs schädigen. Somit erlaubt ein kranker Kaninchenwurf unter diesen Bedingungen keine Rückschlüsse auf fruchtschädigende Eigenschaften von Glyphosat. Entlastend kommt hinzu, dass es in allen übrigen Studien keine derartigen Effekte gab, referierte Niemann.
Einen Schwachpunkt gibt es in der behördlichen Bewertung. Von Gesetzes wegen schauen sich die Beamten nur den Wirkstoff in reiner Form im Detail an. Das Knowhow der Agrarindustrie liegt aber in der Rezeptur des Produktes. Zahlreiche Beistoffe sorgen dafür, dass Pestizide nicht vom Blatt abperlen, rasch eindringen und eine maximale Wirkung entfalten. „Es ist bekannt, dass bestimmte Beistoffe die Giftigkeit von Glyphosat erhöhen“, kommentierte Niemann. „Wir schlagen deshalb eine gesonderte Risikobewertung der Beistoffe vor.“
Pflanzenschutzmittel sollten das Pflügen nicht ersetzen
Das Bundesinstitut für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit hat die Industrie bereits 2009 aufgefordert, Beistoffe aus der Klasse der Tallowamine zu ersetzen. Diesem Aufruf seien fast alle Hersteller gefolgt, sagte Hans-Gerd Nolting vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Zwei noch auf dem Markt befindliche Produkte laufen bis Ende des Jahres aus.
Man könnte meinen, der „Fall Glyphosat“ sei erledigt. Einer weiteren Zulassung steht aus Behördensicht nichts im Weg. Die Fabriken könnten getrost weiter Glyphosat produzieren. Nolting widerspricht: „Wir müssen von den riesigen Mengen herunterkommen.“ Schließlich gefährden Totalherbizide die biologische Vielfalt. Wildkräuter verschwinden und mit ihnen Schmetterlinge und Bienen. Zusätzlich machen sich Unkräuter breit, denen Glyphosat nichts mehr anhaben kann. Fünfundzwanzig Superunkrautarten sprießen weltweit bereits.
Der Bundesrat hat im November deshalb dazu aufgerufen, weniger Glyphosat zu verwenden. Das Unkrautvernichtungsmittel landet hierzulande auf jedem dritten Acker. In 68 Prozent der Fälle, um lästige Getreidestoppeln im Herbst zu beseitigen. Werden sie weggespritzt, muss der Bauer nicht pflügen. Das sei gut für den Boden, der sparsamer bearbeitet wird und weniger erodiert und gut für den Bauer, der weniger Arbeit hat, erläutert Peter Zwerger vom Julius-Kühn-Institut in Braunschweig. Aber es treibt den Verbrauch von Unkrautvernichtungsmitteln in die Höhe. „Das Pflanzenschutzmittel darf kein Ersatz für die mechanische Bearbeitung sein“, sagt Nolting. Möglicherweise könnte das Wegspritzen der Stoppeln künftig begrenzt werden.
Außerdem wird Glyphosat bis zu sieben Tage vor der Ernte ausgebracht, weil die Chemikalie Getreide schneller und gleichmäßiger reifen lässt. Diese Sikkation führt dazu, dass der Stoff in Lebensmittel gelangt und schließlich im Urin von Mensch und Tier nachweisbar sein kann – allerdings weit unterhalb der kritischen Marke von 0,5 Milligramm je Kilogramm Körpergewicht. Trotzdem könnte der Gesetzgeber im Sinne des Vorsorgeprinzips bei der Sikkation die Daumenschrauben anlegen, lässt Nolting durchblicken. Nach Angaben des Umweltbundesamtes ließen sich in der Landwirtschaft bis zu 15 Prozent Glyphosat – etwa tausend Tonnen pro Jahr – vermeiden.
Die Zulassung könnte also an Bedingungen geknüpft werden, die den Einsatz einschränken. Die 24 Hersteller werden indes darauf pochen, dass die Behörden in ihrem 4500-Seiten-Bericht über Glyphosat nichts Nennenswertes beanstandet haben. Das Tauziehen geht weiter.
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