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Auch die Freie Universität Berlin wäre vom neuen Hochschulgesetz betroffen.
© Wolfram Steinberg/dpa

Widersprüche beim neuen Hochschulgesetz: Der rot-rot-grüne Neoliberalismus bei den Unis funktioniert nicht

Das neue Berliner Hochschulgesetz will eine unternehmerische Uni, die gleichzeitig detailgesteuert ist. Das wirft Fragen auf. Ein Gastbeitrag.

Katharina Bluhm ist Professorin für Soziologie mit dem Schwerpunkt Osteuropa an der Freien Universität Berlin und leitet das Institut für Osteuropastudien an der FU.

Berlin könnte stolz auf seine Universitäten sein. Im Exzellenzwettbewerb haben sie sich im Verbund gegen potente Konkurrenten durchgesetzt, was für die Qualität ihrer Forschung, aber auch für ihre Kooperations- und Handlungsfähigkeit spricht. Dies wurde erreicht unter weniger günstigen Bedingungen als andernorts.

Das festgelegte Verhältnis von Dozent*innen und Studierenden ist in Berlin besonders ungünstig, aber Berlin und seine Hochschulen sind offenbar attraktiv genug, um diesen Wettbewerbsnachteil auszugleichen. Dafür sprechen auch die Studierendenzahlen aus dem In- und Ausland.

Aber nichts da! Nach einem weiteren schweren Corona-Semester hat der Berliner Senat ein Hochschulgesetz zur Anhörung vorgelegt, auf das die Hochschulen (nach erbetener) Verlängerung innerhalb von sechs Wochen reagieren sollen. Dieses Gesetz plant tiefe strukturelle Eingriffe, die, wenn sie denn so kommen, auf Jahre die Universitäten beschäftigten werden und enorme Geldsummen kosten.

Unterschiede im Aufbau der Universitäten und Hochschulen spielen in dem Gesetz keine Rolle. Zusammensetzung und Aufgaben von Gremien werden verändert, die Amtszeiten von Präsidenten und Kanzler*innen werden verändert, die Definition der Hochschullehrer*innen wird deutlich ausgeweitet (mit welchen Konsequenzen für die Selbstverwaltung?).

Absurderweise wird die Drittmittelforschung nicht als Teil der Dienstpflichten begriffen, denn Drittmittelforschung soll die Dienstpflichten nicht „beinträchtigen“. War also das Einwerben der Exzellenzmittel keine Dienstplicht? Detailliert werden von oben Fragen der Erbringung von Prüfungen durch die Fachbereiche reguliert usw., die Promovenden werden eine Quasi-Statusgruppe neben dem Mittelbau. Man könnte weiteres aufzählen.

Die „unternehmerische Universität“ hat weniger Freiheiten

Es besteht die Gefahr, dass man zwar hier und da etwas zurechtrücken kann, aber vieles wird bleiben, und man fragt sich, wieso wird überhaupt so viel auf Landesebene geregelt, was vorher durch ein solches Gesetz gar nicht geregelt worden war? Ist das der angemessene Umgang mit erfolgreichen Partnerinnen – den Hochschulen? Und was hat das alles mit Neoliberalismus zu tun?

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Schauen wir auf die großen Linien. Sie sind auf den ersten Blick widersprüchlich, bilden aber im Ganzen eine spezielle rot-rot-grüne Version. Ich will das exemplarisch verdeutlichen:  Auf der einen Seite will man eine innovative „unternehmerische Hochschule“, auf der anderen Seite aber plant das Gesetz eine bisher nie dagewesene Detailregelung, die politischen Eingriffsmöglichkeiten Tor und Tür bietet.

Für die Idee der „unternehmerischen Universität“ steht die nun expliziter gefasste Formulierung, wonach eine Person mit Hochschulabschluss und mehrjährigen verantwortlichen beruflichen Tätigkeit, insbesondere in Wissenschaft, Wirtschaft, Verwaltung oder Rechtspflege, Präsident einer Berliner Hochschule werden kann. Will man damit also den Weg des professionellen Managers gehen?

Katharina Bluhm ist Professorin und Soziologin mit Schwerpunkt Osteuropa an der Freien Universität Berlin.
Katharina Bluhm ist Professorin und Soziologin mit Schwerpunkt Osteuropa an der Freien Universität Berlin.
© Michael Fahrig

Dafür spricht auch, dass zukünftig Dekane hauptberuflich sein dürfen, also nicht mehr auf den Gedanken eines universitären Kollegiums verpflichtet werden. Ebenso wird die Freiheit in der Forschung eingeschränkt. Die Forschenden dürfen zukünftig „insbesondere Fragestellung, die Grundsätze der Methodik sowie die Bewertung des Forschungsergebnisses und seine Verbreitung“ selbst festlegen.

Offenbar aber nicht die Forschungsgegenstände selbst! Ausdrücklich wird den Universitäten erlaubt, in die Forschung einzugreifen, wenn sie sich auf die „Organisation des Forschungsbetriebes, die Förderung und Abstimmung von Forschungsvorhaben und auf die Bildung von Forschungsschwerpunkten beziehen.“ Warum so ausdrücklich regeln, wenn damit nicht mehr als die bisherige Praxis gemeint ist?

Der Senat will die Universitäten direkt steuern

Der Berliner Version einer „unternehmerischen Universität“ fehlt der Autonomiegewinn gegenüber der Politik, der in den anderen Bundesländern im Trend liegt. In Berlin ist das Gegenteil der Fall. In die Verabschiedung der Verträge mit den Hochschulen sollen nun alle politischen Fraktionen einbezogen werden.

Die Struktur- und Entwicklungspläne wurden auf Gesetzesebene gehoben und müssen von der Senatsverwaltung genehmigt werden. Offenbar ist der rot-rot-grüne Senat optimistisch, dass dieses politische Zugriffsrecht auf die Universität immer unter ihrem Einfluss bleibt! Die direkte Steuerungsabsicht aber ist offenkundig.

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Trotz Akkreditierung, Qualitätsmanagement und einem ohnehin ausufernden Berichtswesen traut der Berliner Senat offenbar nicht der alten universitären Selbstverwaltung und seinem Selbstmanagement. Und da jemand ja aufpassen muss, dass alles im Sinne der Politik geschieht, braucht man noch ein neues Kontrollgremium!

Viele Fragen bleiben offen

So soll ein „Gremienreferat“ an jeder Hochschule geschaffen werden, das neben allen Selbstverwaltungsstrukturen besteht und „zur Unterstützung der Wahrnehmung der Kontroll- und Informationsrechte aller Mitgliedergruppen in den Gremien dienen“ soll. Dafür ist es mit „notwendigen Personal- und Sachmitteln auszustatten“. Von wem? Es soll auch organisatorisch unabhängig von Hochschulleitung und einzelnen Mitgliedergruppen sein – sonst kann es ja nicht richtig kontrollieren.

Wäre es nicht angesichts der Erfolgsgeschichte der Berliner Hochschulen nicht an der Zeit, dass sich die Politik mit den betroffenen Hochschulen gemeinsam überlegt, wie man den Wissenschaftsstandort tatsächlich und langfristig stärken kann – vor allem was die Politik für die Hochschulen tun kann, um den Erfolg zu konsolidieren und zu steigern? Dies setzt aber eine grundsätzlich andere politische Kultur voraus.

Katharina Bluhm

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