Ende der Berliner Wissenschafts-Harmonie: Koalition und Unileitungen streiten über Hochschulgesetz
Schluss mit dem Kuschelkurs in der Berliner Wissenschaft: Die Novelle des Hochschulgesetzes löst Streit zwischen Politik und Unileitungen aus.
Lange herrschte in der Berliner Wissenschaft eitel Sonnenschein. Die Politik sorgte nach vielen Jahren des Kürzens für wachsende Zuschüsse, die Unis eilten von Erfolg zu Erfolg. Doch nun scheint die Novelle des Berliner Hochschulgesetzes, die die rot-rot-grüne Koalition bis zu den Wahlen unter Dach und Fach bringen möchte, den Kuschelmodus zu beenden.
Die Landeskonferenz der Rektoren und Präsidenten meldete sich unlängst mit beißender Kritik an dem Entwurf der Gesetzesnovelle zu Wort. Sie fürchten „eine massive Beschneidung ihrer Leistungsfähigkeit“, der Weg Berlins zu einem Wissenschaftsstandort von internationaler Bedeutung sei „infrage gestellt“.
Unter den Wissenschaftspolitiker:innen der Regierungskoalition stößt das naturgemäß auf wenig Gegenliebe. Auch in den Hochschulen dürfte die Erklärung der Präsident:innen teils Erstaunen auslösen. Zumindest in den Akademischen Senaten von HU und TU wurde kommuniziert, dass man sich etwas Zeit nehmen wolle für eine Reaktion und Unimitglieder Anmerkungen an die Unileitungen schicken sollten. Warum dann jetzt also das eilige Statement, könnten einige fragen.
Der Staatssekretär ist ungehalten
Wissenschaftsstaatssekretär Steffen Krach (SPD) reagiert jedenfalls ungehalten: „Mir fehlt jegliches Verständnis dafür, wenn Hochschulleitungen in der Verbesserung von Beschäftigungsverhältnissen, Stärkung von Gleichstellung, Diversität und Gremienarbeit eine Gefahr sehen. Das sehe ich entschieden anders.“
Auf Twitter erklärte Tobias Schulze, wissenschaftspolitischer Sprecher der Linken, die Präsident:innen seien von Anfang an in die Erarbeitung des Gesetzentwurfes einbezogen worden. „Dass es jetzt so eine PR gibt und darüber hinaus kaum Vorschläge für die Verbesserung von Studium, Forschung, Personal und Finanzen kommen – no comment.“
Kern der Kritik der Präsidien ist die Reform der „Erprobungsklausel“. Das klingt sperrig, ist aber wichtig dafür, wie Hochschulen „regiert“ werden. Die Klausel ermöglicht ihnen seit mehr als 20 Jahren Leitungsmodelle auszuprobieren, die so nicht im Gesetz stehen, aber Entscheidungswege und Organisation vereinfachen. Kritiker:innen sehen darin – sehr grob gesagt – eine Lizenz für Modelle, die das Durchregieren erleichtern.
Die Unileitungen sehen ein "Misstrauensvotum"
Künftig soll die Klausel auf weniger Paragrafen anwendbar sein – und vor allem müssen die Akademischen Senate Änderungen zustimmen. Von einem „Misstrauensvotum“ gegen langjährig bewährte Leitungs- und Selbstverwaltungsstrukturen der Hochschulen ist in der Mitteilung der Präsidien die Rede.
Auch Mathis Kuchejda, Vorsitzender des Kuratoriums der HTW, sagt: „Das beschneidet den Spielraum der Hochschulen enorm.“ Insgesamt sehe er nur „Beschränkungen“ in der Novelle, was er nicht für zielführend hält. Eine Sichtweise, die in den Hochschulleitungen geteilt wird, wo von „Detailregelungswut“ die Rede ist.
Die oppositionelle CDU spricht von einem „schwerem Eingriff in die Hochschulautonomie“. Die Senatskanzlei plane einen „Durchgriff auf die Hochschulen“, sagt der wissenschaftspolitischer Sprecher Adrian Grasse.
Über die Erprobungsklausel ist das letzte Wort noch nicht gesprochen
Staatssekretär Krach widerspricht. Er lese aus der Reaktion der Präsidien und Rektorate vor allem deren Perspektive bezüglich der Neuregelung der Innovationsklausel, in der ihren Akademischen Senaten künftig mehr Mitspracherecht eingeräumt werden soll. „Das ist kein Angriff auf die Hochschulautonomie, sondern ihre Stärkung. Ich würde mir wünschen, dass die Hochschulleitungen nicht nur die eigene Etage im Blick haben, sondern die Hochschule in ihrer Gesamtheit.“
Klar ist: Über die Erprobungsklausel, die künftig „Innovationsklausel“ heißen soll, ist auch in der Koalition nicht das letzte Wort gesprochen. Linke und Grüne wollen weiter gehen als die Senatskanzlei. Nach Auffassung von Tobias Schulze könnte die Klausel gestrichen werden. Andererseits wolle er nicht, „dass die Hochschulen zehn Jahre lang Grundordnungsdebatten führen“. Als Kompromiss schlägt er eine Bestandsregel für bestehende Abweichungen vor – aber einen Ausschluss neuer Abweichungen.
Forderungen nach einem Promotionsrecht für die FHs
Auch Eva Marie Plonske, Wissenschaftsexpertin der Grünen, plädiert für einen Bestandsschutz und für Übergangsregeln. Die vorgesehene Formulierung setze aber den „Flickenteppich“ an den Hochschulen fort, was Governancestrukturen angeht. Sie wolle zwar kein Einheitsmodell für alle. Aber es sollte ein klarer Rahmen mit Mindestanforderungen festgelegt werden, der den Hochschulen Spielraum für eigene Ausgestaltung lässt.
Und auch sonst gibt es Änderungswünsche. „Wir wollen etwas mutiger sein als die Senatskanzlei“, sagt Schulze. Debatten auslösen dürfte die Forderung nach einem Promotionsrecht für die Fachhochschulen. Nach Vorstellung der Linken könnten forschungsstarke Fachbereiche von FHs das Promotionsrecht bekommen, ähnlich wie in Hessen.
So sehen das auch die Grünen. Von einem „qualitätsgesicherten Bereichspromotionsrecht“ für die Fachhochschulen spricht Plonske. „Das wäre zeitgemäß und angemessen.“
Positiv sieht sie, dass Hochschulen gesetzlich angehalten werden sollen, Nachhaltigkeitsziele zu verfolgen. Gleiches gilt Regelungen zu Diversität, Guter Arbeit und Beschäftigung. Da gebe es im Gesetzentwurf aber noch „Luft nach oben“. Schulze fordert bessere Perspektiven für Nachwuchswissenschaftler: über eine Personalkategorie, die direkt nach der Promotion auf eine Dauerstelle führt. „Ein Weg könnte die Neuausrichtung der Hochschuldozentur sein.“
Studierendenvertreter halten den Entwurf für enttäuschend
Wie kontrovers die Diskussion noch werden könnte, zeigen weitere Beispiele. Den HTW-Kuratoriumsvorsitzenden Kuchejda stört, dass die Aufgaben der Kuratorien, der Aufsichtsgremien, beschnitten werden sollen. Diese hätten dann nur noch eine „Feigenblattfunktion“, kritisiert Kuchejda: „Und wenn man es darauf reduziert, wird es auch schwer, dafür interessante Leute zu gewinnen.“
Die Studierendenvertretungen dagegen halten den Entwurf für enttäuschend, weil er „sehr wenig“ verändere, wie Gabriel Tiedje vom TU-Asta sagt. Insbesondere was demokratische Strukturen an den Hochschulen angehe, seien die Vorschläge von R2G „schwach“. Die Studierenden hätten elf Seiten an Stichpunkten notiert, die sie in die Diskussion einbringen wollen.