75 Jahre Potsdamer Konferenz: Der Kalte Krieg in Schloss Cecilienhof
Die Alliierten hatten nicht vor, das besiegte Deutschland zu teilen. Doch Streit über Demokratisierung und die Neuordnung Europas führte zur Spaltung.
Das dritte Treffen der siegreichen Alliierten im Kampf gegen Deutschland, das die Welt in einen sechs Jahre langen Vernichtungskrieg mit 65 Millionen Toten verwickelt hatte, sollte die „Berliner Konferenz“ werden. Das Deutsche Reich hatte kapituliert, der Nationalsozialismus war als Herrschaftsideologie erledigt – und in der Folge stand eine Neuordnung Europas an. Welcher Ort sollte dafür besser geeignet sein als Berlin, die verhasste Machtzentrale Hitlers?
Den Anstoß zur Konferenz gab der britische Premier Winston Churchill am 6. Mai 1945, aber es war Stalin, der Berlin als Ort des Treffens vorschlug. Truman schließlich trug den zunächst in Aussicht genommenen 15. Juli als Termin bei. Was dabei von vornherein feststand: Zum dritten Mal sollte die Gastgeberrolle der sowjetischen Seite zufallen, die mit 27 Million Menschen die höchsten Opferzahlen zu beklagen hatte.
In Teheran hatten die Großen Drei im Herbst 1943 in der sowjetischen Botschaft konferiert, in Jalta hatten sie sich im Februar 1945 auf sowjetischem Territorium getroffen und in Berlin würde das Treffen auf sowjetisch besetztem Gebiet stattfinden.
[Jetzt noch mehr wissen: Mit Tagesspiegel Plus können Sie viele weitere spannende Geschichten, Service- und Hintergrundberichte lesen. 30 Tage kostenlos ausprobieren: Hier erfahren Sie mehr und hier kommen Sie direkt zu allen Artikeln.]
Im zerstörten Berlin gab es keine Räume
Die Vorbereitungen für die letzte der alliierten Kriegskonferenzen unter dem beziehungsreich-mehrdeutigen Code „Terminal“ – Endstation – begannen Anfang Juni. Doch im zerstörten Berlin gab es keine geeigneten Räume für die Unterbringung der Delegationen.
Sie fanden sich weit vor dem Stadtkern, im benachbarten Potsdam-Babelsberg, in einer Villenkolonie, die als Wohngebiet für die Delegationen dienen konnte. Unzerstört und allen Ansprüchen der Siegermächte genügend war auch der Tagungsort: Schloss Cecilienhof. So sollte es also statt der Berliner die „Potsdamer Konferenz“ werden.
Von den „Großen Drei“, die sich Ende November 1943 in Teheran und im Februar 1945 in Jalta getroffen hatten, war am Ende der Potsdamer Konferenz nur noch Stalin übrig. Anstelle des im April verstorbenen Franklin D. Roosevelt vertrat der neue Präsident Harry S. Truman die Vereinigten Staaten, und der britische Premierminister hieß ab 26. Juli 1945 nicht mehr Winston Churchill, sondern Clement Attlee.
Churchill hatte die Konferenz, die am 17. Juli begann und am 2. August endete, am 25. Juli verlassen, um das Ergebnis der britischen Unterhauswahlen in London abzuwarten. Der konservative Premier rechnete mit einem strahlenden Sieg. Stattdessen erlitt er eine bemerkenswerte Niederlage, reichte am 26. Juli sein Demissionsgesuch ein und zwei Tage später, am 28. Juli, erschien auf der „Berliner Konferenz“ der neue Labour-Premierminister Clement Attlee in Begleitung des neuen Außenministers Ernest Bevin.
Die Gegensätze verhärten sich
In dieser Konstellation ging es auf Schloss Cecilienhof um nichts weniger als die Neuordnung Europas. In der Deutschlandpolitik waren die Gegensätze durch Stalins Reparationsforderungen seit Jalta verhärtet. Zum Bruch kommen lassen wollte es Washington aber nicht. So lehnte es Präsident Truman auch ab, deutsche Gebiete als Faustpfand zu benutzen, wie Churchill angeregt hatte. Die Präsenz US-amerikanischer Truppen in Sachsen und Thüringen als Druckmittel gegen die Sowjetunion zu verwenden, schien Truman überzogen.
Am 28. Mai 1945 hatte er den Rückzug in die 1944 als US-Besatzungszone festgelegten Gebiete befohlen. Weil der Krieg gegen Japan noch andauerte, waren die USA am Einvernehmen mit der Sowjetunion und an deren Kriegseintritt in Ostasien interessiert.
Die Atombombe verstörte Stalin zutiefst
Das änderte sich erst am Tag vor der Potsdamer Konferenz, als am 16. Juli 1945 die erste Atombombe erfolgreich getestet wurde. Mit der neuen Waffe beendeten die USA den Zweiten Weltkrieg auch auf dem asiatischen Schauplatz. US-Präsident Truman verstörte mit der Atombombe Stalin zutiefst und setzte die Gewichte auf den Potsdamer Verhandlungstisch.
Die politischen, territorialen und ökonomischen Probleme, die der Zweite Weltkrieg in Europa hinterlassen hatte, bedurften der Verständigung innerhalb der Anti-Hitler-Koalition, USA, Großbritannien und Sowjetunion. Die Westgrenze des als Staat wiedererstandenen Polen, damit verbunden die künftige Gestalt Deutschlands standen zur Debatte.
Zu den strittigen Fragen gehörte auch die Regierung im besetzten Österreich, die von der sowjetischen Seite ohne Konsultation mit den Westmächten sanktioniert war, und der Streit um Triest, wo die jugoslawischen Truppen Titos, der sich der Unterstützung Moskaus erfreute, britischem Militär, das die Interessen Italiens vertrat, gegenüberstanden. Zu regeln war auch, wie die ehemaligen Verbündeten Hitlers, Bulgarien und Rumänien sowie Ungarn, zu behandeln seien.
Die Arbeit oblag den Außenministern
Die Sitzungen in Potsdam waren keineswegs Gespräche der Regierungschefs unter vier Augen. In 13 Vollsitzungen saßen Delegationen der drei Staaten miteinander am Tisch. Die eigentliche Arbeit oblag den drei Außenministern und den Ausschüssen und Unterausschüssen, in denen die Experten über Vorlagen debattierten, sie redigierten und Entscheidungen vorbereiteten.
Die Großen Drei trafen sich bis zur achten Sitzung immer am Spätnachmittag für jeweils etwa zwei Stunden. Das waren die Vollsitzungen, denen Einladungen und Bankette folgten, wobei man sich mit Tafelfreuden und Kunstgenüssen gegenseitig überbot. Hatte Stalin das von Truman gebotene Klavierduo durch zwei gewichtige Violinvirtuosinnen und zwei Pianisten aus Moskau übertrumpft, so ließ Churchill zu seinem Galadinner gleich die ganze Royal Air Force Band aus London einfliegen, die während des ganzen Abends (es war der 23. Juli) in voller Besetzung und Lautstärke rumorte.
Die gesellschaftlichen Ereignisse der Potsdamer Konferenz waren mit denen des Wiener Kongresses von 1814/15 nicht vergleichbar, wohl aber die Folgen für Europa und die Welt.
Obwohl schon in Jalta Anfang des Jahres 1945 in den Rang einer Besatzungsmacht erhoben, wurde die Provisorische Regierung der Französischen Republik nicht einmal zur Entsendung einer beobachtenden Delegation eingeladen. In Paris empfand man die Zurückweisung als ungemein kränkend. Als Revanche leisteten die Franzosen im Kontrollrat Obstruktion und fanden sich nur widerwillig zu Kompromissen bei der westlichen Deutschlandpolitik bereit.
Entmilitarisierung Deutschlands
Das Ziel der Besatzung wurde in Potsdam klar definiert: völlige Entmilitarisierung Deutschlands einschließlich der Beseitigung der gesamten Rüstungsindustrie, alle deutschen Streitkräfte und die NSDAP wurden aufgelöst, alle Nazi-Gesetze außer Kraft gesetzt. Kriegsverbrecher und hohe NS-Funktionäre waren zu internieren, aktive NSDAP-Mitglieder sollten aus Ämtern und Stellungen entfernt werden.
Erziehungswesen, Rechtspflege und Verwaltung waren nach demokratischen Gesichtspunkten zu reorganisieren. Das wurde aber dann von Zone zu Zone so verschieden gehandhabt, dass der Grundsatz „soweit dieses praktisch durchführbar ist, muss die Behandlung der deutschen Bevölkerung in ganz Deutschland gleich sein“ pure Ironie war.
Die Frage, welche materiellen Entschädigungen Deutschland leisten sollte, entzweite die Sieger. Stalin forderte Reparationen im Wert von 20 Milliarden Dollar, davon die Hälfte für die Sowjetunion. Die Erfahrungen mit dem Versailler Vertrag, der Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg so hohe Kontributionen auferlegte, dass letztlich der US-Steuerzahler zahlen musste, schreckten die USA. Entschieden wurde der Streit, indem jede Besatzungsmacht aus ihrer Zone beliebig Güter und Produktionsmittel zur Befriedigung ihrer Ansprüche entnehmen durfte.
Auf der Tagesordnung stand auch die Frage, welches Territorium der wieder auferstehenden polnischen Nation zugestanden würde. Im Grundsatz waren die drei Großmächte mit der Provisorischen Polnischen Regierung einig, dass „bis zur endgültigen Festlegung der Westgrenze Polens“ die deutschen Gebiete östlich der Oder-Neiße-Linie unter „die Verwaltung des polnischen Staates kommen und in dieser Hinsicht nicht als Teil der sowjetischen Besatzungszone in Deutschland betrachtet werden sollten“.
Ebenfalls „vorbehaltlich der endgültigen Bestimmung der territorialen Fragen bei der Friedensregelung“ war das nördliche Ostpreußen mit Königsberg von Deutschland amputiert und der Sowjetunion angegliedert worden.
Gravierender war der Beschluss der drei Großmächte, die deutsche Bevölkerung aus Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn auszuweisen. Zusammen mit den seit 1944 vor der vordringenden Roten Armee Fliehenden waren es schließlich mehr als zwölf Millionen Menschen, die aufgenommen, ernährt, gekleidet und behaust werden mussten. Da in der französischen Zone Flüchtlinge nicht willkommen waren, drängten sie sich in den drei anderen Besatzungszonen.
Churchill ist skeptisch
Churchill, der am 16. August 1945 im britischen Unterhaus zum ersten Mal als Oppositionsführer auftrat, beurteilte die Ergebnisse der Potsdamer Konferenz skeptisch. Ein Deutschland ohne Kopf sei am Ende des Kampfes den Eroberern in die Hände gefallen, es werde vielleicht viele Jahre dauern, bis irgendein staatlicher Aufbau in Deutschland möglich sei. Voll Sorge erwähnte Churchill den zwangsweisen Exodus der Sudetendeutschen aus der Tschechoslowakei, er befürchtete, „dass eine Tragödie ungeheuren Ausmaßes sich hinter dem Eisernen Vorhang, der Europa gegenwärtig entzweischneidet“, abspielte.
Im August 1945 war „Eiserner Vorhang“ noch eine brillante Formulierung, bald gehörte sie im Zeichen des Kalten Kriegs, der seinen Höhepunkt in Europa im Sommer 1948 in der Berlin-Blockade haben sollte, zum alltäglichen Wortschatz. Ebenso das „Potsdamer Abkommen“. Ein solches Dokument mit der Qualität eines völkerrechtlichen Vertrags hat es jedoch nie gegeben.
Europa und die Welt sind für Jahrzehnte gespalten
Es existiert lediglich ein Resümee der zahlreichen Kompromisse, mit denen grundlegende Meinungsverschiedenheiten über Reparationen, Demokratisierungskonzepte, Grenzen und die politischen Strukturen Deutschlands und Europas kaschiert wurden. Trotzdem war in der DDR die Überzeugung verordnet, das „Potsdamer Abkommen“ sei vom Westen gebrochen worden. In der Bundesrepublik galt dafür die Sowjetunion als schuldig an der Teilung Deutschlands.
Die Potsdamer Konferenz hinterließ Europa und die Welt gespalten in Interessensphären der Sowjetunion einerseits und der Westmächte andererseits. Die Alliierten hatten in Potsdam nicht die Absicht gehabt, Deutschland zu teilen. Aber die Formelkompromisse, mit denen die Gegensätze in der Reparationsfrage überbrückt wurden, dividierten Deutschland in zwei Territorien unter diametralem Einfluss, aus denen 1949 zwei Staaten mit konträrer Gesellschaftsordnung und gegensätzlichen politischen Systemen wurden. Und der „Kalte Krieg“, der in Potsdam begann, teilte die Welt.
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität