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Eine alleinerziehende Mutter sitzt mit ihrem Kleinkind auf dem Schoß am Computer.
© Andreas Arnold/dpa

Kritik an Leopoldina-Empfehlung: „Das Wohlergehen der Frauen wird nicht adressiert“

Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin, vermisst in der Öffnungs-Empfehlung die Perspektive von Familien und insbesondere von Frauen.

Frau Allmendinger, ganz Deutschland spricht über die Empfehlungen der Nationalen Wissenschaftsakademie Leopoldina – bis hin zur Kanzlerin, die diese Expertise zum allmählichen Ausstieg aus dem gesellschaftlichen Ausnahmezustand wegen der Covid-19-Pandemie erbeten hat. Sie sehen die Stellungnahme gleichwohl kritisch – warum?
Ich finde es zunächst einmal super, dass die Wissenschaft - endlich! - von der Politik breit einbezogen wird. Es ist vollkommen richtig, jetzt die ganze disziplinäre Breite abzubilden, nachdem zuerst nur die Virologie und dann die Ökonomie gehört wurden.

Gewundert hat mich aber, dass die Kommission nicht die Breite der Bevölkerung berücksichtigt. Zum einen liegt das Durchschnittsalter der Mitglieder der Leopoldina-Arbeitsgruppe bei über 60 Jahren. Zum anderen haben wir bei den 26 Mitgliedern nur zwei Frauen. Beides spiegelt wider, was die Ad hoc-Empfehlung ausspart.

Was vermissen Sie inhaltlich?
Es sind insbesondere alleinerziehende Frauen, junge Mütter und junge Familien, die mit der jetzigen Situation gar nicht zurechtkommen. Sie haben die Struktur in den Tag zu bringen, müssen Lehrerinnen und Lehrer spielen, die Musikschule, den Sportverein und die Freundeskreise ihrer Kinder ersetzen. Und dann müssen und wollen sie auch noch erwerbstätig sein.

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Wenn man von so einem Haushalt ausgeht und sich die Empfehlungen der Leopoldina anschaut, ist doch die Frage: Warum werden das familiäre Wohl und das Wohlergehen der Frauen eigentlich gar nicht adressiert? Wie soll das gehen, dass eine Frau und Mutter dann wieder teilerwerbstätig ist, und auf der anderen Seite Kindern unter neun Jahren keine Betreuung zukommt?

Porträtbild von Jutta Allmendinger.
Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) und Mitglied der Leopoldina.
© Mike Wolff

Folgt diese Empfehlung nicht einfach rational dem Gebot, zu betreuende Gruppen möglichst klein zu halten?
Sie folgt vor allem einer virologischen Perspektive, lässt aber das Vertrauen, das staatliche Maßnahmen ebenfalls brauchen, außer Acht. Die Empfehlung, große Gruppen von Kindern weiter zu Hause zu lassen, nimmt jungen Berufstätigen ein Stück Zukunft. Sie werden unter den von der Leopoldina skizzierten Bedingungen schlicht nicht wieder in den Berufsalltag zurückkehren können.

Was wäre die Alternative?
In Dänemark zum Beispiel wird das familiäre Wohl übergeordnet berücksichtigt – und gleichzeitig eine virologische Perspektive. Da hat man genau das Umgekehrte angeordnet, am Mittwoch werden zuerst die Kitas wieder öffnen. Hintergrund ist auch die Annahme, dass sich das Virus unter kleinen Kindern am ungefährlichsten ausbreiten kann, weil sie in aller Regel keine oder keine schweren Krankheitssymptome zeigen. Auch eine solche Diskussion vermisse ich in Deutschland.

[Warum sich ein Experte in Deutschland gegen eine frühe Öffnung der Grundschulen ausspricht, lesen Sie hier.]

Auf Twitter wird ja wissenschaftspolitisch in eine andere Richtung diskutiert. Sabine Hark, Soziologin und Geschlechterforscherin an der TU Berlin, schreibt, dass sich die Männerdominanz der Wissenschaft an der Leopoldina in aller Deutlichkeit zeige. Sie stellt das Mitgliedschaftskriterium der „Exzellenz“ infrage, weil es nicht hinsichtlich seines Gender-Bias reflektiert werde. Sehen Sie das auch so?
Man muss gar nicht so weit gehen, zumal die Leopoldina ja seit Jahren recht erfolgreich versucht, ihren Frauenanteil zu erhöhen. Jetzt, in der aktuellen Situation der Pandemie, wäre es einfach darauf angekommen, aus der Leopoldina selber, aus der Jungen Akademie und aus der Bildungsforschung exzellente Frauen in die Arbeitsgruppe einzubeziehen. Es gibt diese Expertise in den höchsten Positionen, etwa im Nationalen Bildungspanel, das Cordula Artelt leitet, oder im Institut zur Qualitätssicherung im Bildungswesen mit Petra Stanat an der Spitze. Und in der Jungen Akademie wissen junge Frauen wie Männer, wie miserabel es gerade jetzt um die wissenschaftliche Arbeit bestellt ist. Dort sind sie entgeistert, wie sehr ihre Lage von ihrer eigenen Mutter-Akademie missachtet wird. Und sie alle wurden offenbar nicht gefragt, weder Leopoldina-Mitglieder wie ich, noch externe Expertinnen.

Berichte zu Schulschließungen und Homeschooling

Wenn jetzt die Rede davon ist, unsere Gesellschaft werde nach der Corona-Krise eine andere sein: Was fordern Sie für die wissenschaftliche Politikberatung?
Diese und künftige wissenschaftliche Kommissionen, die für die Zukunft des Landes außerordentlich wichtig sind, müssen verpflichtend nach Diversitätskriterien zusammengesetzt werden – und das bei weitem nicht nur hinsichtlich des Geschlechts ihrer Mitglieder. Die Diversität der Gesellschaft muss in solchen Gremien berücksichtigt werden. Das ist an sich ein Gemeinplatz, umso mehr muss es jetzt dazu eine klare Vorgabe seitens der Politik geben.

Wie halten Sie es am WZB, können Sie jungen Eltern das Leben erleichtern?
Neben der Vertrauensarbeitszeit, die wir für den Moment eingerichtet haben, haben wir bereits seit der ersten Woche des Shutdowns versucht, alle Zeitschlucker auszusetzen. In unseren jungen Familien ist es de facto so, dass sich eine Person von morgens bis halb eins und die andere sich von mittags bis zum späten Nachmittag um die Kinder kümmert. Dann bleiben vier Stunden Arbeitszeit – und die soll man bei uns nicht in Video- Telefonkonferenzen verbringen müssen, sondern in die Forschung stecken können. In der Covid-19-Taskforce des Senats erörtern wir außerdem, inwieweit der Forschungsbereich in Berlin sich jetzt wieder teilweise öffnen kann. Damit könnten wir bevorzugt Personen ohne ruhige Arbeitsbedingungen – also jenen mit Kindern zu Hause – Zugang zu ihren Arbeitsplätzen gewähren.

Amory Burchard

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