Immunisierung gegen Covid-19: Das gefährliche Rennen um die Impfung in Rekordzeit
Was normalerweise Jahre dauert, soll jetzt innerhalb von Monaten gehen. Möglich erscheint vieles. Auch fatale Fehlschläge.
Gegen Covid-19 gibt es keinen Impfstoff. Beziehungsweise: Es gibt schon sehr viele. Sie sind in den verschiedensten Phasen der Erforschung. Aber keiner davon ist für die Anwendung am Menschen zugelassen.
Bei keinem weiß man, wie gut er wirkt, wie sicher er ist und wie sicher er schützt und wie es konkret mit den „Risiken und Nebenwirkungen“ aussieht.
Wenn es eine sichere Impfung gäbe, könnte man sich von Social Distancing wieder distanzieren und bräuchte auch keine mehr schadenden als nutzenden Malariamittel mehr. Zumindest, wenn sich dann sehr viele impfen ließen.
Kaum jemand würde sich mehr anstecken, es könnte auch kaum jemand mehr jemand anderen anstecken.
Die Krankheit Covid-19 gibt es, obgleich ihr Name sogar noch jünger ist, seit Ende 2019. Offiziell seit dem 31. Dezember. Dieses Datum ist ausnahmsweise unter den vielen Zahlen, Kennziffern, Werten, die bei Covid-19 bedeutsam sind, keines, das in viele Richtungen interpretierbar oder vielleicht auch zweifelhaft ist. Man kann es getrost als Stunde null der Erforschung von Virus, Erkrankung und Strategien dagegen – inklusive Impfung – annehmen.
Die schnellste Impfstoffentwicklung aller Zeiten dauerte vier Jahre
Knapp fünf Monate! Die ersten Versuche einer Impfstoffentwicklung begannen in China bereits Ende Januar, also vor vier Monaten. Die schnellste Impfstoffentwicklung aller Zeiten bisher – von Forschungsbeginn bis Zulassung und Anwendung – dauerte vier Jahre, allerdings für Mumps, einen lange bekannten Erreger.
Das ist schon mehr als 50 Jahre her und es gibt gute Gründe, zu hoffen, dass es im Zeitalter der Biotechnologie und Genomik schneller gehen sollte. Schneller als mit Lichtgeschwindigkeit sind aber auch die modernsten Labore nicht unterwegs, obwohl die neueste Slogan-Erfindung aus dem Weißen Haus das gerne glauben machen möchte: „Operation Warp Speed“ soll bis Ende diesen Jahres einen in großem Stile einsetzbaren Impfstoff liefern. Sagt der US-Präsident.
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Es ist nicht einmal die Tatsache, dass es sich bei ihm um denselben US-Präsidenten handelt, der noch vor ein paar Wochen das Coronavirus als „Scherz“ bezeichnete und es dann wenig später zumindest als in den USA für „besiegt“ erklärte. Impfstoffentwicklung ist schlicht schwierig, auch 2020 noch. Hürden und Fallstricke überall, vorhersehbare und unvorhersehbare Komplikationen. Das gilt vor allem dann, wenn der Impfstoff auch sicher sein soll – also nicht nur extrem risikoarm für geimpfte Personen, sondern jenen Personen und der Bevölkerung insgesamt auch genügend Schutz bietend.
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Derzeit gibt es mehr als 150 Impfstoffkandidaten
Es gibt aus Labors weltweit mittlerweile mehr als 150 Impfstoffkandidaten. Ein paar davon werden – und das ist wirklich, was die Geschwindigkeit angeht, beispiellos – bereits an Menschen getestet. Und bei wiederum ein paar davon gibt es bereits erste Ergebnisse. Das US-Unternehmen Moderna ging vergangene Woche mit ersten Resultaten an die Öffentlichkeit. Es waren allerdings keine, die unabhängig überprüft in einem Wissenschaftsjournal präsentiert worden wären. Unabhängige Experten kritisierten das massiv und werteten es eher als PR-Stunt für die Börse. Der zumindest war recht erfolgreich, der Aktienkurs stieg.
Am Freitag wurden aber erstmals auch Studiendaten zu einem Covid-19-Impfstoff aus der Erprobung am Menschen in einem Medizinjournal, begutachtet von Fachleuten, publiziert. Das chinesische Pharmaunternehmen CanSino hatte 108 Personen unterschiedliche Dosen seines Impfstoffs in den Muskel spritzen lassen.
In solchen frühen, sogenannten Phase-I-Studien, geht es neben der Suche nach der optimalen Dosis primär darum, ob und welche Nebenwirkungen sich zeigen (hier wurden typische Impfreaktionen wie Kopfschmerzen, Schmerzen an der Einstichstelle und Fieber bei einiger Teilnehmern dokumentiert).
Erste Teilergebnisse sind eher ernüchternd
Man sucht aber auch bereits nach Hinweisen auf die erwünschte, im Tierversuch auch bereits dokumentierte Wirksamkeit. Die zeigte sich bei vielen der Teilnehmer tatsächlich: Antikörper gegen den Covid-19-Erreger.
Doch ob die auch wirklich vor einer Infektion schützen, ist schlicht noch nicht untersucht. Und auch, ob sie lange genug im System bleiben, kann noch gar nicht untersucht sein. Denn „lange genug“, das wäre länger als jene wenigen Monate, die das Virus überhaupt bekannt ist.
Ein eher ernüchterndes Ergebnis war, dass bei einigen Teilnehmern zwar ein Anstieg von Antikörpern nachgewiesen wurde, aber eben nicht oder kaum gegen Sars-CoV-2. Warum das so war, ist sogar sehr klar: Das Prinzip dieser Impfung (zu den anderen Möglichkeiten, einen Impfstoff zu machen; siehe den HINTERGRUND-text unten) ist es, Teile des Erreger-Erbguts über einen anderen, stark abgeschwächten und deshalb nicht krank machenden Erreger in die Zellen zu schleusen.
In diesem Falle ist dies ein Adenovirus, das bei Menschen Erkältungen auslöst. Das Problem mit Viren, die Erkältungen auslösen, ist aber, dass sie das eben auch bei vielen Menschen schon getan haben. Die Immunsysteme dieser Menschen kennen sie also bereits. Das führte hier bei vielen Probanden dazu, dass die Abwehrreaktion so gut funktionierte, dass kaum mehr Sars-CoV-2-Proteine produziert wurden und das Immunsystem deshalb kaum Antikörper dagegen bildete.
Viele Kandidaten scheitern in späteren Testphasen
Die Ergebnisse dieser Phase-I-Studie sind also bestenfalls „gemischt“. Und die meisten Impfstoffkandidaten scheitern selbst bei ermutigenderen Ergebnissen in Phase I und II letztlich in jener Phase III, in der wirklich sehr viele Menschen den Impfstoff bekommen.
Die CanSino-Studie ist aber gerade deshalb auch eine gute Begründung für eine derzeit oft von Virologen und Impfstoffforschern geäußerte Mahnung. Sie sagen, auch die Strategie der Entwicklung von Vakzinen müsse eben gemischt sein und bleiben. Denn vielleicht eignet sich etwa dieser Impfstoff in manchen Teilen der Welt, wo Bevölkerungen kaum je Kontakt mit jenem Adenovirus hatten, letztlich doch gut, ein ganz anderer aber, der vielleicht bei bestimmten Personengruppen auch durchaus Schwächen zeigt, kann dann Leuten mit Adenovirus-Immunität verabreicht werden.
Dass gerade in den späten Testphasen erfahrungsgemäß viele Impfstoffe enttäuschen, ist ein weiterer Grund, warum man trotz in die Milliarden gehender Kosten nicht nur auf ein oder zwei Pferde im Impfstoffrennen setzen darf. Vielmehr ist es wichtig, verschiedene, auf verschiedenen Techniken beruhende Kandidaten über die Monate immer wieder zu prüfen.
WHO und die Gates-Stiftung sorgen für eine koordinierte Forschung - wenn man sie lässt
„Den“ amerikanischen, chinesischen, deutschen oder auch "Migrationshintergrund"-Impfstoff - oder welchen auch immer - aus nationalen oder anderen nicht allein auf wissenschaftlicher Prüfung beruhenden Interessen exklusiv zu promoten, wäre ein Glücksspiel mit hohem Totalschaden-Risiko.
Es sind unter anderem die viel kritisierte Weltgesundheitsorganisation und die oft besonders misstrauisch beäugte Gates-Stiftung, die derzeit darauf hinarbeiten, dass die Impfstoffentwicklung divers bleibt, gleichzeitig aber doch möglichst koordiniert vorangetrieben wird.
Und Konkurrenz und Kooperation scheinen als treibende Kräfte durchaus auch in der Welt der Pharmaindustrie vereinbar zu sein. Auf ein zumindest ungewöhnliches gemeinsames Impfstoffprojekt etwa haben sich die Pharmariesen GlaxoSmithKline und Sanofi im April geeinigt.
Doch wird es – kann es überhaupt – wirklich möglich sein, tatsächlich einen oder gar mehrere Impfstoffe innerhalb von ein paar weiteren Monaten einsatzbereit zu haben? Der Druck, darauf hinzuarbeiten, ist da – politisch, sozial, vor allem wirtschaftlich.
Und auch von regulatorischer Seite beginnt man, eherne Prinzipien , die bislang galten, um die sicherstmöglichen Pharmaprodukte zu bekommen, zumindest etwas kreativer zu interpretieren. Dies geschieht etwa, indem man erlaubt, Studien anders zu gestalten als bislang üblich. Es gibt nicht wenige Fachleute, die das kritisch sehen. Denn Impfstoffentwicklung mit „Warp-Speed“ muss, solange man nicht eine Zeitmaschine gleich miterfindet, bedeuten, dass man Abkürzungen nimmt. Es sind Abkürzungen, auf denen man manches, vor allem Langfristiges, gar nicht ausreichend sehen kann, Impfschäden etwa.
Die Vorstellung von Millionen und Abermillionen innerhalb relativ kurzer Zeit Geimpften und sich bei einigen von ihnen einstellenden schwerwiegenden Folgen – oder auch einem Impfschutz, der dann doch schlechter ist, als man dachte – möchte man sich jedenfalls nicht machen. Es wäre auch Wasser auf die Mühlen von Impfgegnern und Verschwörungstheoretikern.
Die hätten es dann „ja schon immer gewusst“.
HINTERGRUND
Von traditionell bis ganz neu: Die wichtigsten Technologien der Impfstoff-Entwicklung und -Herstellung
Das Prinzip Impfung ist seit den ersten Immunisierungen, die vor Pocken schützten, gleich geblieben: Das Immunsystem muss gegen Moleküle des Erregers - oder gegen sehr ähnliche - Antikörper bilden und eine Erinnerung an diese „Antigene“ abspeichern, ohne dass der Organismus ernsthaft krank wird. Um das zu erreichen, werden in der Suche nach einem Impfstoff gegen Covid-19 inzwischen sehr viele technologische Ansätze genutzt. Die wichtigsten sind:
Inaktiviertes oder abgeschwächtes Virus: Der Erreger wird etwa durch Strahlung oder Hitze zerstört, oder aber durch eine Art Züchtung so verändert, so dass er nicht mehr krank machen, aber eine Immunreaktion auslösen kann. Vorteile hiervon sind, dass es damit viel Erfahrung gibt, etwa Grippeimpfungen beruhen auf diesem Prinzip. Nachteil: Die Herstellung ist sehr aufwändig. Genügend Dosen zu produzieren, um Milliarden Menschen impfen zu können, wäre teuer und langwierig.
Protein-Untereinheit. Anstatt, wie bei dem zuvor besprochenen Ansatz, einen kompletten Erreger-Müllhaufen zu injizieren, kommen hier gezielt genau die Proteinteile zum Einsatz, gegen die eine Immunreaktion erwünscht ist. Vorteil ist, dass der Ansatz etwa beim Humanen Papilloma-Virus funktioniert und abermillionenfach erprobt ist. Nachteile sind die aufwändige Herstellung und die Tatsache, dass meist mehrere Impfdosen nötig sind, um das Immunsystem ausreichend zu stimulieren. Mehrere Dutzend der in Entwicklung befindlichen Impfstoffe beruhen auf diesem Ansatz.
Gen-basiert: Dieser Ansatz wird von vielen Fachleuten favorisiert. Statt Erregern oder Erregerteilen wird versucht, nur noch Erbmaterial in Zellen der geimpften Person einzuschleusen, damit dort genau die Proteine produziert werden, gegen die man eine Immunreaktion erzeugen will. Vorteil der Technik: Sie ist prinzipiell technisch einfach, große Mengen Impfstoff könnten recht schnell hergestellt werden, und dieser müsste auch nicht unbedingt gekühlt werden. Nachteil ist, dass es bislang nicht einen auf dieser Technik beruhenden zugelassenen Impfstoff für Menschen gibt. Einige Kandidaten für andere Erreger scheiterten in der klinischen Erprobung, weil sie letztlich doch keine ausreichende Immunreaktion hervorriefen.
Adenovirus-Vektor: siehe dazu Text oben. Vorteil ist, dass eine starke Immunreaktion ausgelöst wird, Nachteil, dass es bislang keine zugelassenen solchen Impfstoffe für Menschen gibt, dass die Herstellung aufwändig ist und dass Menschen, deren Immunsystem das genutzte Adenovirus bereits „kennt“, oft nicht ausreichenden Abwehrschutz bilden.