Tests an Menschen binnen vier Monaten: Wie Impfstoffe gegen das Coronavirus rascher denn je entwickelt werden
International wird die Entwicklung von Impfstoffen gegen das Wuhan-Virus forciert. Auch in Deutschland. Aber ist das schnell genug?
Die Zahl der Infizierten steigt, die Zahl der Todesopfer ebenfalls – und der Ruf nach einem Impfstoff wird lauter. Tatsächlich kann womöglich nur ein Impfschutz die weitere Ausbreitung des 2019-nCoV verhindern.
Dafür spricht, dass die neuartigen Viren offenbar schon von asymptomatischen, also noch nicht erkennbar Erkrankten weitergegeben werden können. Damit wird der ohnehin stark bezweifelte Sinn von Fiebermessgeräten an Flughäfen, Grenzübergängen oder vor dem Betreten öffentlicher Gebäude noch fragwürdiger.
Bislang betonen Experten, dass es außerhalb Chinas kaum schwere Erkrankungen oder Todesfälle gegeben hat und dass drastische Krankheitsverläufe meist mit Vorerkrankungen einhergingen. Doch diese Aussage gibt nur den derzeitigen Stand des Wissens wider, der sich auf eine Datengrundlage stützt, die noch vorläufig ist und sich stetig ändert.
Es ist durchaus möglich, dass sich das Virus an den Menschen „anpasst“ – dass also bei jeder Infektion und millionenfachen Virusmehrung in einem Infizierten zufällig solche Virenmutanten entstehen, die sich leichter übertragen lassen. Im Idealfall könnten sie sich dabei so verändern, dass sie ihren Wirt idealerweise gar nicht mehr ernsthaft krank machen, sondern nur vorübergehend als Kopiermaschine missbrauchen. Dann würde das Virus rasch um die Welt gehen und nur wenige würden überhaupt darunter leiden. Doch es kann auch ganz anders kommen. Die Viren könnten aggressiver, tödlicher werden.
"Keine Hoffnungen wecken"
In dieser Situation der Unwägbarkeiten wird die Frage, wie schnell die Forschung überhaupt in der Lage ist, einen Impfstoff gegen ein Virus zur Verfügung zu stellen, das bis vor wenigen Wochen noch gar nicht existierte, nicht nur wichtig, sondern dringlich.
Die Antwort ist erstaunlich und zeigt wie viel Mediziner, Biologen, Virologen und Epidemiologen in den vergangenen Jahren gelernt haben: Womöglich noch im Laufe dieses Jahres rechnen Experten mit den ersten Tests eines Impfstoffs gegen das neue Coronavirus an Menschen.
Zwar sei das „auf keinen Fall schnell genug für den jetzigen Ausbruch“, sagte Klaus Cichutek, Leiter des Paul-Ehrlich-Instituts, das für die Prüfung und Zulassung von Impfstoffen zuständig ist, im Interview mit dem Tagesspiegel. Doch wenn der Ausbruch trotz aller Bemühungen um Eindämmung anhalten sollte, dann „wäre vielleicht ein begrenzter Impfstoffeinsatz im Rahmen klinischer Studien noch möglich”.
[Das ausführliche Interview mit dem Präsidenten des Paul-Ehrlich-Institut Klaus Cichutek lesen sie hier]
Dennoch möchte Cichutek „keine Hoffnungen wecken, denn man muss die Ergebnisse zur Herstellung, nichtklinischen und später klinischen Erprobung abwarten, ob so ein Impfstoff die richtige Immunantwort auslösen kann und sicher ist.“ Das könne man nicht vorhersagen, sondern müsse immer getestet werden. Und das braucht Zeit.
Sollte sich Cichuteks Prognose bewahrheiten, wäre das die wohl schnellste Impfstoffentwicklung aller Zeiten. Und Cichutek ist noch zurückhaltend. Die Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (CEPI) hat schon vergangene Woche das Ziel ausgerufen, statt wie sonst nach Jahren im Fall von 2019-nCoV innerhalb von vier Monaten einen Impfstoff an Menschen testen zu wollen. Dafür unterstützt die Organisation, die von der EU, der WHO, Forschungsorganisationen, Pharmafirmen und privaten Stiftungen wie der Bill-and-Melinda-Gates-Foundation getragen wird, bereits Biotech-Firmen – etwa Moderna Therapeutics und Inovio Pharmaceuticals in den USA, aber auch die Tübinger Curevac.
Man muss sich vor Augen führen: Erst Ende Dezember 2019 wurden die ersten Diagnosen von 2019-nCOV-Infektionen bekannt. Seit nicht einmal einem Monat ist das Erbgut des Virus entziffert. Und schon jetzt hält sogar eine Prüfbehörde es für möglich, dass in bislang unerreichter Geschwindigkeit erste Tests eines Impfstoffes gegen die Virusneuschöpfung möglich sind? Grund dafür sind seit langem andauernde, von der Öffentlichkeit kaum bemerkte Forschungen und die Entwicklung völlig neuer Impfstoffkonzepte gegen andere Coronaviren wie Mers oder Sars. „Dadurch, dass die Mers-Impfstoffplattformen schon in der Entwicklung waren, kann jetzt ein schnelles Umschalten passieren“, sagt Cichutek.
Die Palette an Impfstoffoptionen ist groß
Dabei hilft, dass die Weltgesundheitsorganisation WHO den internationalen Gesundheitsnotstand (PHEIC) ausgerufen hat. Der Notstand erleichtert internationale Zusammenarbeit, weil er die Prioriätensetzung weltweit verändert. Wenn in Deutschland ein Impfstoffkandidat die Voraussetzungen für Tests erfüllt, kann er auch in anderen Ländern rasch getestet werden - schneller als das sonst der Fall wäre. „Außerdem ist das Ausrufen des Notstands auch ein Signal an die Firmen und die universitären Impfstoffentwickler, ihre bisherigen Impfstoffkonzepte auf das neue Coronavirus umzustellen“, sagt Cichutek. „Nicht zuletzt weil dafür nun die entsprechende Unterstützung von regulatorischer Seite da ist.“ Das heißt, Anfragen von Firmen bezüglich der Entwicklung von Impfstoffen gegen Coronaviren werden bevorzugt behandelt, Entscheidungen über Herstellungsgenehmigungen oder klinische Prüfungen fallen schneller.
Die Palette an Impfstoffoptionen ist groß. Da sind zum einen so genannte Vektorimpfstoffe gegen Mers-Coronaviren und Zika-Viren. Sie beruhen auf veränderten Masern-Impfstoffen. Zum anderen sind Peptidimpfstoffe in der Entwicklung, die jenen gegen Hepatitisviren ähneln. Und am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung DZIF, einem Zusammenschluss verschiedener Forschungsinstitute in Deutschland für die Prävention, Diagnostik und Therapie von Infektionskrankheiten, wird ein Impfstoff auf Basis der „MVA-Plattform“ entwickelt, einem veränderten, abgeschwächten Pockenvirus, dem Modified Vaccinia Ankara-Virus.
Bislang bastelten die Forscher in Hamburg, Marburg, München und Berlin an einer Vakzine gegen Mers-Coronaviren, die auf der arabischen Halbinsel immer wieder von Kamelen auf den Menschen überspringen. Jetzt sollen sie umgebaut werden, um gegen das neue Coronavirus zu schützen. Ein völlig neues Konzept sind RNA-Impfstoffe, wie sie die US-Firma Moderna und die Tübinger Curevac entwickeln. Sie könnten besonders schnell einsetzbar sein, da die notwendigen RNA-Moleküle innerhalb von sechs bis sieben Wochen in Millionenfachen Dosen produziert werden könnten.
"Dafür braucht es Tests an sehr viel mehr Probanden"
Doch für all diese Konzepte gilt, dass sie zuerst beweisen müssen, dass sie tatsächlich vor 2019-nCoV schützen – und zuallererst verträglich sind. „Beim ersten Test eines RNA-basierten Tollwutimpfstoffs etwa ist eine gewisse Reaktion des Immunsystems zu erkennen gewesen“, sagt Cichutek. Das PEI prüfe nun, ob dieses Impfstoffprinzip, angepasst auf das neue Coronavirus, direkt an Menschen getestet werden kann. „Dazu müssen wir verschiedene Fragen klären: Wie gut geeignet ist das Tiermodell? Ist die Herstellung auf dem Stand der Technik? Gibt es aussagekräftige Anzeichen für die Verträglichkeit des Impfstoffs?“ Erst wenn diese Fragen geklärt sind, können Tests an Menschen erlaubt werden. „Allerdings geht es in diesen ersten klinischen Studien an etwa 10 bis 50 Probanden zunächst um die Verträglichkeit und das Ausloten der richtigen Dosis“, sagt Cichutek.
„Ob ein Impfstoff wirklich schützt, lässt sich da noch nicht sagen, dafür braucht es Tests an sehr viel mehr Probanden.“
Rechtzeitig, um die Ausbreitung des 2019-nCoV zu verhindern, kommt also selbst ein solcher schnell zu produzierender RNA-Impfstoff nicht mehr. Trotzdem werden die Firmen, das PEI, die WHO und all die beteiligten Organisationen und Forscher an einer schnellen Impfstoffentwicklung festhalten, selbst wenn der Ausbruch in wenigen Wochen vorbei sein sollte. Denn der nächste Ausbruch ist gewiss. Es wird nicht das letzte Mal gewesen sein, dass ein Coronavirus oder irgendein anderer Erreger vom Tier auf den Menschen überspringt.
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