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In vielen europäischen Ländern unterstützen öffentliche Stellen Unternehmen und Forschungseinrichtungen.
© imago images/Hans Lucas

Globaler Wettkampf um ein Mittel gegen Covid-19: Die streng geheimen Fördermittel für den Coronavirus-Impfstoff

An einem Corona-Impfstoff wird auf der ganzen Welt geforscht. Doch was wird das Mittel kosten - und wer wird es als erstes bekommen? Eine Analyse.

Live im Internet hat Ursula von der Leyen, Chefin der EU-Kommission, Anfang Mai mit einer Fundraising-Veranstaltung um Gelder gegen Covid-19 geworben. Im Stil einer Eurovisions-Show wurden Staats- und Regierungschefs zugeschaltet, die Milliarden an Euros für die Medikamenten- und Impfstoffentwicklung versprachen. Am Ende verkündete von der Leyen eine Nachricht aus der Popwelt: „Ich habe soeben erfahren, dass Madonna einen Beitrag von einer Million Dollar zusagt.“ 

Damit waren mehr als 7,4 Milliarden Euro beisammen. An einem Impfstoff gegen die durch das Coronavirus verursachte Krankheit wird fieberhaft geforscht – davon hängt auch ab, wann es wieder ein normales öffentliches Leben wie vor Ausbruch der Pandemie geben kann. Experten rechnen damit, dass das noch mindestens ein Jahr dauern wird.

Auf fünf Seiten listet die Weltgesundheitsorganisation (WHO) am 11. Mai 110 Projekte auf, die an dem Stoff forschen. Acht davon befinden sich bereits in der klinischen Phase – sie werden an Menschen erprobt. Schätzungen reichen von einigen Millionen bis zu mehreren Milliarden Euro Kosten für die Entwicklung eines Impfstoffes. Eine der führenden Institutionen der Impfmittelforschung, die Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (CEPI), geht von mindestens 2,8 Milliarden Euro aus. 

In vielen europäischen Ländern unterstützen deshalb öffentliche Stellen die Unternehmen und Forschungseinrichtungen: mit wieviel Geld, das sei oft schwer nachzuvollziehen, sagt die Koordinatorin der Europäischen Allianz für verantwortungsvolle Forschung und Entwicklung und bezahlbare Medikamente, Viviana Galli: „Niemand außer den Unternehmen selbst weiß wirklich, wie viel Fördermittel diese erhalten. Denn die Gelder werden nicht einheitlich erfasst.“ Die Staaten müssten mit den Unternehmen quasi blind verhandeln.

Unklar, wie viel die die EU-Staaten beisteuern 

Das Journalistenteam „Investigate Europe“, mit dem der Tagesspiegel kooperiert, hat Anfragen an alle EU-Staaten sowie Norwegen und die Schweiz gestellt. Fast die Hälfte der Staaten wollte die Frage, wie viel Geld sie für Covid-Impfstoffforschung bereitstellen, nicht beantworten.

Auch der Stab von Kommissionspräsidentin von der Leyen kann nicht genau benennen, wieviel der von der EU selbst beigetragenen Mittel in die Serumentwicklung gehen sollen. Von der Leyen hatte 1,4 Milliarden Euro aus EU-Mitteln angekündigt – wofür genau, ist offenbar noch unklar. Immerhin teilt ihr Stab mit: Von den eingeworbenen 7,4 Milliarden Euro sollen vier Milliarden für die Suche nach und Produktion von Impfstoffen gezahlt werden.

Insgesamt 20 Milliarden Impfeinheiten werden schätzungsweise benötigt, um den Bedarf zu decken.
Insgesamt 20 Milliarden Impfeinheiten werden schätzungsweise benötigt, um den Bedarf zu decken.
© imago images/localpic

Wie schnell Staaten dieser Tage Geld bereitsteht, zeigt die Geschichte des Tübinger Impfstoffentwicklers CureVac. Die „Welt am Sonntag“ hatte am 15. März berichtet, die US-Regierung wolle CureVac kaufen, dessen Mitarbeiter bereits seit Wochen zu einem Covid-19-Vakzin forschten – angeblich für eine Milliarde US-Dollar. US-Botschafter Richard Grenell und CureVac dementierten schnell, doch in Berlin und Brüssel wurden Politiker nervös. 

Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) verkündete noch am Abend im Fernsehen: „Deutschland steht nicht zum Verkauf.“ Am folgenden Tag teilte die EU-Kommission mit, sie werde CureVac ein Darlehen der Europäischen Investitionsbank (EIB) über 80 Millionen Euro garantieren. Aber noch einen Monat später sagte eine Sprecherin der Bank „Investigate Europe“ Mitte April: „Bisher hat CureVac keinen Kredit erhalten.“ Erst Ende April teilte die EIB mit, dass ein 75-Millionen-Euro-Kredit bewilligt sei.

Über verschiedene Kanäle fließt Geld in die Forschung 

Neben der Europäischen Investitionsbank gibt es drei weitere Kanäle über die in Europa derzeit öffentliches Geld in die Impfstoffforschung fließt: das EU-Programm Horizon2020, CEPI – und Direktzahlungen der einzelnen Staaten. Doch bisher knüpfen Regierungen und EU-Institutionen kaum Bedingungen an die massiven Finanzhilfen. Mehrere Nichtregierungsorganisationen fordern Kriterien für die Vergabe des öffentlichen Geldes, das momentan in ungekanntem Maße an Forschungsprojekte und Pharmaunternehmen gezahlt wird. 

So verlangt Ärzte ohne Grenzen: „Wenn Arzneimittelkonzerne von unseren Steuern finanzierte Forschung nutzen, dann sollten wir als Öffentlichkeit ein Mitspracherecht haben, um sicherzustellen, dass diese Medikamente erschwinglich und für alle Bedürftigen zugänglich sind.“

Zugang zu einem Impfstoff würde bedingen, dass dieser zu einem zahlbaren Preis angeboten und dass eine ausreichende Menge produziert werden kann. Wenn ein Unternehmen dies nicht alleine schafft, wäre das Teilen von Patenten und Wissen eine Lösung. Eine Möglichkeit dabei sei, Impfstoff-Know-How und Technik freizugeben, sagt die niederländische Expertin für geistiges Eigentum, Ellen ’t Hoen. Erfahrungen mit früheren Pandemien zeigten, „dass es ohne entschlossene Schritte keinen universellen Zugang zu einem Serum geben wird.“

Die EIB stellt generell keine Bedingungen an geistiges Eigentum oder Zugang zu Medikamenten, die mit Kreditgeldern entwickelt werden, sagt eine Sprecherin. Daran ändert auch die Coronakrise nichts. Ähnlich sieht es beim Forschungsprogramm Horizon 2020 der EU aus. Dessen Budget für Covid-19-Projekte wurde vor wenigen Tagen von 325 Millionen auf eine Milliarde Euro aufgestockt. 

Impfstoffe sollten komplett aus öffentlichen Geldern finanziert werden

Unternehmen müssen zwar die Daten ihrer Forschungsprojekte teilen – doch Eigentumsrechte an Innovationen, die aus Steuergeldern finanziert werden, müssen sie nicht abtreten. Auch stellt die EU keine Bedingungen zum Zugang zu einem möglichen Impfstoff.

Die belgische Ökonomin Reinhilde Veugelers fordert, die Impfstoffentwicklung zu einhundert Prozent mit öffentlichen Geldern zu bezahlen– um überhaupt Vorgaben machen zu können. In einem Covid-19-Strategiepapier für den Brüssler Thinktank Bruegel schreibt sie: Wenn Pharmakonzerne fürchten müssten, dass Regierungen ihnen Preise vorschrieben, die Risiko und Kosten der Forschung nicht gegenfinanzieren, würden sie wenig oder gar keine Ressourcen in die Entwicklung stecken.

Einige Unternehmen wollen mit Selbstverpflichtungen Forderungen nach mehr Regulierung zuvorkommen. So kündigte der Forschungschef des US-amerikanischen Pharmakonzerns Johnson & Johnson, Paul Stoffels, im Gespräch mit dem Tagesspiegel an, einen Impfstoff zum Selbstkostenpreis anzubieten. 2018 hatte Johnson & Johnson angekündigt, ein Tuberkulosemedikament zu einem „special-effort price“ anzubieten, um die Krankheit zu besiegen – Forscher der Universität Liverpool kamen aber zu dem Schluss, dass ein Selbstkostenpreis nur ein Drittel dessen betragen würde, was der Pharmakonzern dafür aufrief.

Zunächst zu wenige Dosen eines Impfstoffs

Selbst wenn ein Impfstoff bezahlbar wäre, dürfte es zunächst viel zu wenige Dosen geben, um den Bedarf zu decken, den Analysten auf insgesamt 20 Milliarden Einheiten schätzen. Der britische Virologe Mark Jit sagte „Investigate Europe“: „Es wird nicht genug Impfstoff geben, um die Nachfrage aus allen Ländern zu decken.“ Es sei unklar, wie „die Menschen, die das Serum am dringendsten benötigen, ihn zuerst bekommen, unabhängig davon, wo sie leben“.

2009 bestellten während der Schweinegrippe-Pandemie reiche Staaten wie Frankreich, Norwegen oder die Schweiz Massen an Impfstoffdosen, für ärmere Staaten blieb kaum etwas übrig. Auch in der Coronakrise zeigte sich schon, wie Staaten um knappe Güter konkurrieren: Als Schutzanzüge und Atemmasken knapp waren, erließ die Bundesregierung einen Exportstopp.

Die Impfstoffverteilung werde demnächst ein Stresstest für das politische System, sagt der Gründer von Knowledge Ecology International, Jamie Love, der sich seit Jahrzehnten für Zugang zu Medikamenten einsetzt: „Wenn Sie der Präsident eines Landes sind und die Chance haben, in Ihrem Staat mehr oder weniger Impfstoffe zu bekommen, was würden Sie tun?“, fragt er rhetorisch. Repräsentanten seien immer ihren Wählern verpflichtet, sagt Love: „Und die werden nicht nett zu Ihnen sein, wenn Sie die Impfstoffe nicht an sie sondern an Ausländer geben – und dann fangen Menschen an zu sterben.“

[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Krise live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Zwangslizenzen als Drohmittel

Wenn eine Regierung mit einem Ausfuhrverbot den Export von Impfstoffen verhindert und der Konzern sein Patent auch nicht lizensieren will, bleiben anderen Staaten als letzte Option Zwangslizenzen. Diese Möglichkeit gibt es fast überall in der EU. 

Seit Jahren forscht der Münchner Jura-Professor Ansgar Ohly zu diesem Thema. Zwangslizenzen nennt er „ein Damoklesschwert, ein zusätzliches Drohmittel, um Patentinhaber dazu zu bringen, eine Lizenz zu erteilen“. Ein Unternehmen, dass keine Lizenz erhalten hat, kann – sofern ein öffentliches Interesse besteht – darauf klagen, eine Zwangslizenz zu erhalten. In Deutschland entscheidet darüber das Bundespatentgericht. Erlässt es eine Zwangslizenz, kann das Unternehmen den Impfstoff in Deutschland produzieren.

Jedenfalls theoretisch – denn neben dem reinen Rezept für ein Serum, braucht es auch Wissen über die korrekte Herstellung. Deshalb zweifelt Patentexpertin 't Hoen: „Solch ein Technologietransfer kann nicht durch eine Zwangslizenz erpresst werden“, sagt sie. „Lassen Sie uns hoffen, dass die Welt sich nicht auf dieses Niveau des Nationalismus zerfällt.“

Doch der deutet sich bereits an. Zwar antwortet das Forschungsministerium auf Anfrage, die Bundesregierung setze „bei der weltweiten Koordination auf die Richtlinien der WHO“. Doch das gilt längst nicht für alle Staaten: Als die WHO Ende April ein „ACT Accelerator“ genanntes Programm für gleichberechtigten Zugang zu einem Covid-19-Impfstoff sowie zu Wissen und Technologie dafür startete, fehlten Russland, Indien sowie die USA, die gerade vielversprechende Impfstoffprojekte vorantreiben. 

WHO verliert an Einfluss

Bereits seit Wochen verkündet US-Präsident Trump, die WHO nicht weiter mitfinanzieren zu wollen. Bei der am Dienstag zu Ende gegangenen World Health Assembly verhinderten vor allem die USA ein ambitionierteres Abkommen zur Impfstoff-Kooperation.

Während die UN-Organisation an Einfluss verliert, gewinnt die Coalition for Epidemic Preparedness Innovations, kurz CEPI, an Bedeutung. Ihr Hauptsitz befindet sich mitten in Oslo in einem unscheinbaren Betonbau, den sie mit einem Fahrradladen und einem HiFi-Geschäft teilt. Sie wurde 2017 als Reaktion auf die Ebola-Epidemie mit dem Ziel gegründet, dass nie wieder eine zögerliche Impfstoffentwicklung dazu führen sollte, dass Tausende Menschen an einem Virus sterben müssen. Finanziert wird CEPI von Staaten wie Japan, Norwegen oder Deutschland und durch Organisationen wie die Gates-Stiftung. Inzwischen beträgt ihr Budget mehrere Milliarden Euro. Auch ein Teil der EU-Spendenshow soll an CEPI gehen, um die Impfstoffforschung zu koordinieren und zu finanzieren.

Anfangs entstand CEPI auch unter enthusiastischer Beteiligung von Ärzte ohne Grenzen. Die Experten der Organisation halfen eine „Equitable Access Policy“ zu formulieren – einen Plan, mit dem Unternehmen dazu verpflichtet werden sollten, möglichst vielen Menschen Zugang zu Impfstoffen zu geben. So könne CEPI etwa „Eigentumsrechte, Know-How und Geschäftsgeheimnisse“ nutzen, wenn ein Konzern nicht selbst für gleichberechtigten Zugang sorgt. Das hätte jetzt auch in der Coronakrise helfen können. Doch es kam anders.

Viele schauen genau hin, wie Unternehmen vorgehen

Laut CEPI-Vorstand Richard Hatchett befanden die Pharmakonzerne die Bedingungen als nicht pragmatisch; sie würde nicht „die Geschäftsrealitäten widerspiegeln, mit denen Impfstoffentwickler konfrontiert sind“, erinnerte sich Hatchett unlängst im Fachjournal „Vaccine“. Die Konzerne störte, dass CEPI einen Preis für künftige Impfstoffe festlegen könnte.

Schließlich erklärten „mehrere fähige Impfstoffhersteller, die nachweislich Impfstoffe zur Zulassung gebracht haben“, dass sie nicht mit CEPI zusammenarbeiten. Im Dezember 2018 hatte die neue CEPI-„Access Policy“ statt 13 Seiten nur noch drei. Wesentliche Punkte fehlten. 

[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden.]

Die damalige Präsidentin von Ärzte ohne Grenzen, Joanne Liu, erklärte, die neue Policy „verrät die Interessen aller, die in CEPI investiert haben, weil sie den tödlichen Status quo ändern wollten“. Auf Anfragen antwortete CEPI nur schriftlich, man setzte sich „voll und ganz für fairen Zugang ein“, Bedingungen dafür würden sich in den Verträgen zwischen CEPI und den Pharmakonzernen wiederfinden. Doch die sind nicht öffentlich und die Organisation will sich nicht weiter äußern.

Die Gesundheitsexpertin der europäischen Verbraucherschutzorganisation BEUC, Ancel.la San-tos, sieht CEPI dennoch wieder auf einem guten Weg: In deren Aufforderung zur Einreichung von Vorschlägen für Covid-19-Impfstoffe werde „das Kriterium des gerechten Zugangs erwähnt. Das ist gut.“ Gaëlle Krikorian von Ärzte ohne Grenzen ist nicht so optimistisch. CEPI verspreche keine Transparenz: „Sie halten es für sehr wichtig, dass die Hersteller mit am Tisch sitzen. Sie wollen ihnen also keine Angst machen, indem sie zu aggressiv auftreten.“

Während der Coronapandemie würden viel mehr Menschen genau hinschauen, wie die Unternehmen vorgehen, sagt die Koordinatorin der Europäischen Allianz für verantwortungsvolle Forschung und Entwicklung und bezahlbare Medikamente, Viviana Galli: „Für sie ist es eine gute Chance, ihre Reputation zu verbessern. Wer auch immer zuerst einen Impfstoff findet, wird als Retter gelten.“ Denn das Coronavirus betrifft alle Gesellschaften weltweit. Von seiner Bekämpfung hängt ab, wann Großeltern ihre Enkel wiedersehen, welche Politiker gewählt werden und wie sich die Wirtschaft entwickelt. 

Der wirkliche Test der jetzt vielbeschworenen Solidarität wird kommen, wenn ein Impfstoff existiert – aber nicht gleich genug für alle.

Mehr Hintergrund zur Impfstoff-Recherche bei Investigate Europe.

[Redaktioneller Hinweis: „Investigate Europe“ ist ein Journalistenteam aus neun Ländern, das gemeinsam Themen von europäischer Relevanz recherchiert und die Ergebnisse europaweit veröffentlicht.
Das Projekt wird von der Schöpflin-Stiftung, der Rudolf-Augstein-Stiftung, der Hübner & Kennedy-Stiftung, der norwegischen Fritt-Ord-Stiftung, der Open Society Initiative for Europe, der portugiesischen Gulbenkian Foundation, der italienischen Cariplo-Stiftung und privaten Spendern unterstützt.]

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