Chemie-Nobelpreis: Coole Bilder aus dem Nanokosmos
Joachim Frank hat einen Weg gefunden, winzige Biomoleküle bei der Arbeit zu beobachten. Dafür hat der Deutsch-Amerikaner nun zusammen mit zwei Kollegen aus der Schweiz und Großbritannien den Nobelpreis bekommen.
Für Naturwissenschaftler sind Zellen im Grunde kleine Membransäcke, in denen Biomoleküle wie die Zahnräder, Schrauben und Hebel einer Maschine ineinander greifen und so die nötigen Aufgaben erfüllen, um das zu erhalten, was wir Leben nennen. Wenn das Räderwerk klemmt oder von Viren gekapert und für eigene Zwecke missbraucht wird, können Krankheiten entstehen. Entsprechend groß ist das Interesse, die genaue Struktur der Einzelteile der Lebensmaschine zu kennen. Dann lassen sich Wirkstoffe so gestalten, dass sie genau zu einem Biomolekül passen, die Zahnräder also exakt ineinandergreifen. Heute morgen hat das Nobelpreiskomitee drei Forscher ausgezeichnet, dank denen gestochen scharfe Fotos und sogar kleine Filme von Biomolekülen bei der Arbeit geschossen werden können. Der in Deutschland geborene und in Freiburg und München ausgebildete Biophysiker Joachim Frank von der Columbia Universität in New York sowie Jacques Dubochet von der Universität Lausanne und Richard Henderson vom MRC Labor für Molekularbiologie im britischen Cambridge bekommen den Chemie-Nobelpreis für die Entwicklung der Kryo-Elektronenmikroskopie. Dabei wird eine dünner Flüssigkeitsfilm, in dem ein Biomolekül gelöst ist, mit flüssigem Stickstoff bei minus 196 Grad Celsius schockgefroren und im Elektronenmikroskop fotografiert. Ein Computer errechnet aus den Bildern dann die Struktur des Moleküls und produziert ein gestochen scharfes Bild.
Scharfe Bilder aus dem Rauschen
Bevor der Computer in Aktion tritt, wirken die Bilder eines Kryo-Elektronenmikroskops allerdings ernüchternd: Trotz 50.000-facher Vergrößerung ist kein schickes Molekül, sondern nur ein unregelmäßig weiß-graues Punkte-Muster zu sehen, ähnlich dem Rauschen eines Fernsehbildschirms. Es war Joachim Frank, der als erster auf die Idee kam, dass sich aus dem schwarz-weißen Rauschen ein dreidimensionales Bild zusammensetzen lässt - denn jeder winzige Fleck auf dem Foto entspricht einem Abbild des Biomoleküls. "Der Computer geht davon aus, dass die Partikel auf dem Bild in allen erdenklichen Positionen liegen", sagt Christian Spahn, Leiter der Arbeitsgruppe Kryo-Elektronenmikroskopie an der Berliner Charité.
Im Grunde ist es, als wären Tausende winzige Würfel geworfen worden: Da die Würfel in jeder erdenklichen Position zu liegen kommen, ist auch auf dem elektronenmikroskopischen Foto ein Würfel von oben zu sehen, ein anderer von unten, der nächste von der Seite und so weiter. Zwar ist jedes einzelne Würfelbild zu unscharf und zu klein, um Strukturdetails zu erkennen. Aber davon ausgehend, dass es sich um immer die gleiche Würfelform handelt, setzt der Computer die dreidimensionale Form des Würfels aus den Tausenden unscharfen Bildern zusammen. "Aber das funktioniert natürlich nur, wenn die Struktur der Partikel immer gleich ist", sagt Spahn. Was naturgemäß schwierig zu erreichen ist, weil die molekularen Maschinen in der Zelle ständig in Aktion sind und sich dabei verändern. "Man muss in der Lage sein, die molekularen Maschinen an einem ganz bestimmten Zeitpunkt zu stoppen", sagt Spahn. Eine schwierige Kunst, die wohl kaum jemand besser beherrscht als Joachim Frank.
Elektronen statt Röntgenstrahlen
Frank gilt als "Pionier und Papst" der Kryo-Elektronenmikroskopie. Geboren in Siegen in Nordrhein-Westfalen, experimentierte er schon als Achtjähriger mit dem Chemiebaukasten und bastelte als Teenager an Radios herum. Er studierte Physik in Freiburg. In seiner Diplomarbeit beschäftigte er sich mit der Beugung von Elektronenstrahlen. Zur Elektronenmikroskopie war es von dort nur ein kleiner Schritt. Schon damals faszinierte ihn die Vorstellung, mit Hilfe von Elektronen Bilder von der Form von Molekülen machen zu können. Um die Idee zu verfolgen, wechselte er zu Walter Hoppe an das Max Planck-Institut für Eiweiß- und Lederforschung in München, das 1973 im MPI für Biochemie aufging.
Hoppe nutzte Röntgen-Kristallographie, eine Methode, mit der auch die Struktur des Erbgutmoleküls Desoxyribonukleinsäure (DNS) aufgeklärt wurde. Dabei werden Röntgenstrahlen auf kristallisierte Biomoleküle geschossen und anhand der Beugung der Strahlen auf die Struktur geschlossen - ähnlich wie bei einem Schattenriss. So gut die Technik bis heute funktioniert, erfordert sie doch, dass aus einem Biomolekül ein Kristall geformt werden muss. Das gelingt nicht immer und vor allem lassen sich die Moleküle dann nicht unbedingt in ihrer ursprünglichen Form abbilden. Auch ist meist nur eine Strukturform abbildbar, obwohl viele Biomoleküle ihre Form auch ändern können.
Ein Schubser als Ideengeber
In Hoppes Labor arbeitete Frank am Elektronenmikroskop. Und dort passierte dann einer jener "Unfälle", wie sie die Forschung schon oft vorangebracht haben. Ein Kollege stieß während einer Aufnahme an das Gerät. Als sich Frank die unscharfen Aufnahmen ansah, erkannte er Linien auf dem Bild, verursacht durch den Schubser. Frank kam auf die Idee, die Aufnahme zu retten, indem er die beiden Teile der Aufnahme gewissermaßen entlang der Linie am Computer zusammenschob, bis die Linie verschwand und ein korrektes Bild entstand. Das brachte ihn auf den Gedanken, dass sich im Prinzip zwei unterschiedliche, unscharfe Bilder von ein und demselben Molekül zu einem Bild überlagern lassen müssten, das am Ende schärfer wäre als die beiden Ausgangsbilder. Frank veröffentlichte seine Idee 1970. Mit einem Forschungsstipendium arbeitete er sein Verfahren für die Optimierung elektronenmikroskopischer Bilder an der Universität von Kalifornien in Berkeley aus. Dort arbeitete er mit Bob Glaeser zusammen, einem weiteren Pionier der Kryo-Elektronenmikroskopie. Und weil er danach in Deutschland keine geeignete Anstellung fand, landete er schließlich am Wadsworth Center in Albany, im Bundesstaat New York, das damals eines der drei besten Elektronenmikroskope im Keller stehen hatte.
Aber es sollte Jahrzehnte dauern, bis die Methode so gute Bilder produzierte, dass Kollegen aufmerkten. Auch weil erst in den vergangenen Jahren ausreichend schnelle Computer und bessere Elektronenmikroskope zur Verfügung standen. 1990 gelang Frank ein Bild von einem der wichtigsten Maschinen der Zelle, dem Ribosom. Es baut Proteine aus Aminosäuren so zusammen, wie es die Geninformation vorgibt. Bald darauf gelangen seinem Team nicht nur einzelne Bilder, sondern sogar kleine Filme, in denen zu sehen ist, wie aus dem Ribosom die Proteinkette herauswächst.
Unmittelbare Relevanz für die medizinische Anwendung
Über die Jahre lernten viele Forscher die Methode in Franks Labor, auch Christian Spahn, der vier Jahre in Albany verbrachte. Zur Zeit arbeitet er in Berlin noch mit einem Kryo-Elektronenmikroskop, das als eines der ersten in Deutschland für das Berliner UltraStrukturNetzwerk (USN) 2004 aufgebaut wurde. Demnächst soll die Arbeitsgruppe mit einem neuen Gerät ausgestattet werden.
Welchen Fortschritt die Kryo-Elektronenmikroskopie für Strukturbiologen bedeutet, lässt sich am Beispiel des Ribosoms nachvollziehen. "Es hat 20 Jahre gedauert, um ein paar Teile des Ribosoms in atomarer Auflösung zu bekommen und das auch nur von bestimmten Bakterien", sagt Spahn. "Das Ribosom existiert aber in mindestens hundert unterschiedlichen funktionellen Zuständen. Diese Komplexität lässt sich nur mit Kryo-EM untersuchen".
Für medizinische Anwendungen hat das unmittelbare Relevanz, sagt Spahn, denn das Ribosom ist einer der Hauptangriffspunkte für Antibiotika, die dadurch die Herstellung von Proteinen durch die Bakterien hemmen. Außerdem konnte Spahn mit Hilfe der Kryo-EM zeigen, dass Viren die Struktur des Ribosoms so verbiegen können, dass vorwiegend virale und weniger zelluläre Proteine produziert werden. Auf den Kryo-EM-Bildern sei zu sehen, wie das Ribosom gewissermaßen zum Zwangsarbeiter umfunktioniert wird.
Informationen zum Nobelpreis für Physiologie und Medizin, dessen Preisträger die "innere Uhr" von Zellen erforscht haben und der am Montag verkündet wurde, finden Sie hier. Den Physik-Nobelpreis bekommen, wie am Dienstag erklärt, drei US-Amerikaner für den Nachweis von Gravitationswellen. Ein Kommentar zur Relevanz von Grundlagenforschung für Innovationen findet sich hier.