zum Hauptinhalt
Eine Kirschessigfliege sitzt auf einer Traube. Die Fruchtfliege ist seit 150 Jahren Objekt von Grundlagenforschung - und belegt deren Wert.
© Fredrik von Erichsen/dpa

Nobelpreise: Es gibt keine nutzlose Forschung

Politiker und Bürger fragen Wissenschaftler gern: Und was kann man damit anfangen? Warum das die falsche Frage ist. Ein Kommentar zur Nobelpreisverleihung.

Ein Kommentar von Sascha Karberg

Geisterhafte Gravitationswellen, die sich selbst mit gigantischen Apparaturen nur alle paar Monate überhaupt messen lassen. Und irgendwelche Gene, die winzigen Fliegen den Tag-Nacht-Rhythmus vorgeben. Das zählt das Nobelpreiskomitee also zu den wichtigsten Beiträgen von Biologie und Physik zum Fortschritt der Menschheit. Und wofür soll das bitte gut sein? Diese Frage wird gebetsmühlenartig nicht nur von Journalisten gestellt. Gern fragen auch Politiker im Interesse „der Steuerzahler“ nach. Die ehrliche Antwort müsste sein: Das ist völlig egal.

Die Nobelpreise zeigen: Neue Ideen, neue Technologien oder neue Therapien lassen sich nicht wie Brötchen backen

Neue Ideen, neue Technologien oder neue Therapien lassen sich nicht wie Brötchen backen. Nehmen wir das Beispiel der „inneren Uhr“, deren Entdeckung nun mit dem Nobelpreis geehrt wurde. Ja, das Wissen um diesen Taktgeber hat bereits zu Therapien geführt, beispielsweise für Patienten mit Schlaf- oder Essstörungen. Es wäre aber Blödsinn zu sagen, dass es nur deshalb gut war, in den 60er und 70er Jahren ein paar Fliegenforschern Geld zu geben. Damals ahnte noch niemand, dass die Genetik der Fliege der des Menschen ähneln könnte, dass also Wissen über die Fliege dem Menschen nützen würde.

Es war auch nicht der Gedanke an eine Therapie gegen Schlaflosigkeit, die 1830 den deutschen Entomologen Johann Meigen dazu brachte, die Taufliege Drosophila melanogaster zu studieren und zu beschreiben – als eine von tausend anderen Arten, die Meigen beschrieben hat. War das „sinnlos“? Und als der US-amerikanische Forscher William Castle 1901 erstmals Vererbungsstudien mit der Fliege begann, war noch keine Rede von Genen oder gar Gentherapien. Und doch wissen wir heute auch wegen der scheinbar anwendungsfernen Forschungen dieser beiden Wissenschaftler sehr viel mehr darüber, wie der menschliche Körper therapiert werden kann. Die Taufliege Drosophila melanogaster dient seit jeher dem Erforschen grundlegender Prinzipien des Lebens. Erst aus der Masse der großenteils sicher völlig überflüssigen Informationen ergibt sich am Ende jenes Wissen, das neue Techniken und Therapien ermöglicht.

Die Gravitationswelle könnte die Fruchtfliege von morgen sein

Auch wenn Forschungslobbyisten das nicht gern hören: Diese seltenen Heureka-Momente passieren oft aus purem Zufall. Man kann die Qualität überprüfen, mit der Wissenschaftler einen Sachverhalt ergründen, nicht aber den Forschungsgegenstand selbst als „sinnvoll“ oder „weniger sinnvoll“ beurteilen.

Was nun die Entdeckung der Gravitationswellen der Menschheit an konkreten Anwendungsmöglichkeiten bietet? Niemand kann es heute wissen. Bestimmt aber mehr, als wir uns heute vorstellen können.

Zur Startseite