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Kartoffeln und Pommes-Frites-Herstellung an einem Marktstand.
©  Sebastian Gabsch/PNN

Genforschung: Auf der Suche nach der perfekten Kartoffel

Komplexes Erbgut: Mit Gentests versuchen Züchter immer neue Sorten der Nutzpflanze zu schaffen.

Sie ist eine ganz besondere: Sie hat eine lange Familiengeschichte, kommt in vielen Formen und Farben daher, und ihre Physis und ihr Charakter sind so wandelbar wie ihre Namen. Linda, Laura und Sieglinde, so kennt man sie in Deutschland – die Kartoffel. Doch die Knolle hat es nicht immer leicht. Der Weg zu einer neuen Sorte ist lang und kompliziert, auf dem Feld ist sie Pilzen, Viren, Insekten und Würmern ausgesetzt und zur Ernte wird sie geschüttet und gedrückt, wo doch ihre Schale so empfindlich sein kann.

Die Ansprüche an sie sind hoch, doch es gibt für fast jeden Bedarf eine passende Sorte. Trotz ihrer Vielfalt ist der pro Kopf Verbrauch in Deutschland seit Jahren rückläufig und betrug im vergangenen Jahr nur knapp 57 Kilogramm. Im Jahr 2000 waren es noch 70 Kilogramm und 1950 sogar 202.

Ergebnis jahrtausendelanger Domestizierung

Einst gab es die tolle Knolle nur in Südamerika, wo es heute noch etwa 100 ursprüngliche „Wild“-Formen gibt. „Unsere Kulturkartoffel ist das Ergebnis jahrtausendelanger Domestizierung“, sagt Christiane Gebhardt, die am Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtungsforschung seit 30 Jahren die Genetik der Kartoffel untersucht. „Eine Wildkartoffel kann man bei uns nicht erfolgreich anbauen, sie ist an ganz andere Umweltbedingungen angepasst.“ Ob und wie eine Kartoffelsorte wächst, welche Eigenschaften die Knolle am Ende hat und für welche Verwendung sie geeignet ist wird dabei maßgeblich von ihren Genen bestimmt. Und davon hat sie reichlich – etwa 39 000, fast doppelt so viele wie im menschlichen Erbgut.

Weil das Kartoffelgenom eines der komplexesten unter den Nutzpflanzen ist, gelang es erst vor sechs Jahren, die Erbgutsequenz zu entschlüsseln. Inzwischen haben Forscher die genetischen Zusammenhänge ursprünglicher und moderner amerikanischer Sorten intensiver untersucht und konnten Hinweise finden, wie sich die Kartoffel während ihrer Domestizierung verändert hat und welche Gene dabei eine Rolle spielten. Veränderungen, zu denen beispielsweise Resistenzen gegenüber Krankheiten und die Anpassung an die Tageslänge gehören, werden durch die Genetik der Pflanze bestimmt.

Weil es vor 10 000 Jahren wahrscheinlich keine Kreuzung von Pflanzen durch den Menschen gab, vermutet man, dass diese Domestizierung auf reiner Selektion der besten Pflanzen mit den größten Knollen oder eben anderen wichtigen Eigenschaften beruhte. Denn durch zufällige, natürliche Mutation des Erbguts kann sich auch die Kartoffel selbst verändern – aber über einen langen Zeitraum.

Neue Sorten entstehen im komplizierten Züchtungsprozess

So lange kann man heute nicht warten, wenn man eine neue Kartoffelsorte züchten möchte, sagt Torsten Spill, Geschäftsführer von Solana, einem Unternehmen für Kartoffelzüchtung. „Die Kartoffel ist genetisch eine sehr komplexe Frucht, weshalb der Züchtungsfortschritt der Kartoffel vergleichsweise langsam ist“, sagt Spill. Das liegt daran, dass die Kartoffel von jedem ihrer zwölf Chromosomen vier Varianten hat. „Wenn man solche Pflanzen kreuzt, kommen so viele verschiedene Geschwister heraus, dass es wahnsinnig komplex ist, die zu finden, die man am Ende haben möchte.“

Wenn Spills Mitarbeiter Kartoffelpflanzen kreuzen, gehen sie im Prinzip nicht anders vor als Gregor Mendel, aus dessen Kreuzungsversuchen Mitte des 19. Jahrhunderts die Vererbungslehre hervorging. „Man nimmt die Pollen der Vaterpflanze und bestäubt die Blüten der Mutterpflanze. Daraus wachsen dann kleine grüne Beeren, die aussehen wie grüne Tomaten“, erklärt er. Die Samen in den Beeren, bei Solana sind es etwa 200 000, die jedes Jahr aus Kreuzungen entstehen, werden in Töpfe gepflanzt und erst dann fängt der Züchtungsprozess richtig an.

Erst im dritten Jahr werden die winzigen Knollen im Feld ausgepflanzt, wobei sich die Auswahl nun schon erheblich reduziert hat. „Insgesamt dauert es aber acht Jahre, bis wir diejenigen Sortenkandidaten gefunden haben, die dem Züchtungsziel entsprechen können“ sagt Spill. „Zur Anmeldung bringen wir vielleicht zehn bis zwölf Sorten, von denen dann eine bis drei am Ende zugelassen werden.“

Das gleiche Prinzip wie bei der Pränataldiagnostik

Bei einer Dauer von zehn Jahren und Kosten von ein bis drei Millionen Euro, die in eine Sortenentwicklung investiert werden, sind neue Technologien zur effizienten Züchtung stark gefragt. Ein stetig wachsendes Feld ist deshalb die Präzisionszüchtung, bei der die Selektion der Sortenkandidaten nicht nur auf Beobachtungen im Feld angewiesen ist. Mittels genetischer Analyse der Sämlinge im Topf – die Kreuzungskinder – können einige Eigenschaften schon sehr früh untersucht werden. „Das ist das gleiche Prinzip wie bei der Pränataldiagnostik“, sagt die Genetikerin Christiane Gebhardt. „Man testet die DNS jedes Sämlings auf das Vorhandensein bestimmter Gene und sucht sich dann die Pflanzen heraus, mit denen man weitermacht.“

Mit ihrem Team hat sie beispielsweise nach der Gensequenz gesucht, die die Resistenz gegen den Befall mit einem kleinen Wurm, einem Wurzel-Nematoden, bestimmt. Für einen solchen Test braucht man dann im Labor nur ein kleines Blatt des Kartoffelsämlings und kann binnen Stunden ein paar hundert Pflanzen untersuchen. Dieses Verfahren heißt Marker-gestützte Selektion und wird auch vom Züchter Solana eingesetzt. „Das Problem ist nur, dass die meisten Eigenschaften, so wie Ertrag und Widerstandsfähigkeiten gegenüber vielen Krankheiten, nicht von einem einzelnen Gen beeinflusst werden, sondern von hunderten“, sagt Gebhardt.

Wichtige Frage, ob eine Sorte für Chips- und Pommes geeignet ist

Der Nematoden-Test ist also ein Glücksfall. Und auch wenn das Kartoffelgenom komplett entschlüsselt ist, kann man noch nicht von jedem Abschnitt sagen, welche Eigenschaften sich dahinter verbergen. Solana arbeitet derzeit mit acht bis zehn Markern und versucht noch mehr zu finden. Zum Vergleich: in der Mais- und Zuckerrübenzüchtung ist ein Vielfaches solcher diagnostischer Marker bekannt.

So schnell wird sich der Züchtungsprozess also nicht verkürzen lassen. Am Ende der jahrelangen Entwicklung muss sich die neue Sorte ohnehin erst einmal beim Bundessortenamt oder einem anderen europäischen Sortenamt bewähren. „Jede neue Sorte muss sich natürlich von jeder bekannten Sorte unterscheiden und die Vielfalt bei Kartoffeln ist riesig“, sagt Richard Manthey, Leiter des Wertprüfungsreferates für Öl- und Eiweißpflanzen sowie Hackfrüchte beim Bundessortenamt. „Früher haben wir auch noch den Koch- und Speisetest gemacht. Heute prüfen wir im Wesentlichen Homogenität, Beständigkeit, Unterscheidbarkeit sowie die wichtigsten Resistenzeigenschaften.“

Bei dem Speisetest, den die Züchter nun selbst durchführen, werden Fleischfarbe, Geschmack, Konsistenz und Struktur, Feuchte und Mehligkeit bestimmt. Außerdem, ob die Sorte für die Chips- und Pommes-Herstellung geeignet ist. In Deutschland sind inzwischen 200 Sorten zugelassen, in der EU sogar über 1000.

Zu viele Ansprüche: Die eine perfekte Kartoffel gibt es nicht

Die Kartoffelzüchtung ist nun kein Prozess, der sich verlangsamt, nur weil es schon so viele zugelassene Sorten gibt. Die eine perfekte Kartoffel gibt es schon deshalb nicht, weil sie für verschiedene Endzwecke gezüchtet wird. Geschmack ist da manchmal sogar zweitrangig. Denn die Händler der Kartoffeln möchten Knollen, die widerstandsfähig sind, nicht so schnell beschädigt werden, sich lagern lassen und sich mit dem vielen Licht im Supermarkt arrangieren, ohne schnell zu ergrünen und damit giftig zu werden. Der Verbraucher möchte eine möglichst glatte Oberfläche ohne tiefe Augen, um schnell und mit wenig Abfall zu schälen.

Die Speisekartoffel selbst umfasst hierzulande nur etwa ein Drittel der Anbaufläche und damit nur einen Bruchteil der produzierten Gesamtmenge. Der Großteil der Kartoffeln ist für die Verarbeitung bestimmt: Chips, Pommes Frites, Püree und Flocken. Und einige Sorten sind nicht mal zum Verzehr gedacht, denn sie enthalten sehr viel Stärke und sind für den Gaumen ungenießbar. Die Abnehmer befinden sich in der Stärkeindustrie, wobei die bekannte Speisestärke nur eine untergeordnete Rolle einnimmt: Kartoffelstärke wird beispielsweise bei der Herstellung von Beton und als Klebstoff für Wellpappe verwendet.

Ein perfider Pilz kann Fäule-Epidemien auslösen

So vielseitig die Kartoffel auch ist, so „einfallsreich“ sind ihre Feinde im Feld. Darunter ist ein Pilz, Phytophthora infestans, der die sogenannte Kraut- und Knollenfäule verursacht, die in manchen Jahren wie eine Epidemie über das Land zieht. Es gibt sogar Sorten, die weniger anfällig sind als andere, solche werden bevorzugt von Biobauern gewählt. Nur in der Praxis müssen diese Exemplare dann ganz besonders behutsam behandelt, gründlich getrocknet und sorgfältig gelagert werden, damit sie auch wenig beschädigt im Supermarkt ankommen.

Das Perfide an diesem Pilz: auch er kann sich genetisch verändern und resistente Sorten erneut befallen. Und dann beginnt der ganze Zyklus der Kartoffelzüchtung von vorne.

Claudia Vallentin

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