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Menschen warten vor einer Schule in Madrid.
© AFP/Gabriel Bouys

Dramatisch steigende Infektionszahlen: Angst vor zweiter Corona-Welle in Südeuropa wächst

Italien, Frankreich und Spanien haben extrem unter der Pandemie und dem Lockdown gelitten. Jetzt ist die Sorge vor einem erneuten Kontrollverlust groß.

Armee-Konvois, die tote Menschen abtransportieren. Immer wieder neue Särge, die in Aussegnungshallen aufgereiht werden. 475 Tote an einem Tag. Diese Bilder aus Italien im März dieses Jahres sind in Erinnerung geblieben. Das Land war von der Corona-Pandemie im Frühjahr härter getroffen worden als viele andere Staaten. Mit einem strikten Lockdown wurde die Lage unter Kontrolle gebracht.

Doch zuletzt ist die Zahl der täglichen Neuinfektionen mit dem Coronavirus aber wieder gestiegen - am Freitag mit über 1700 Fällen auf den bis dahin höchsten Wert seit Anfang Mai. Die Angst vor einer zweiten Infektionswelle wächst.

Damit ist Italien nicht alleine. Auch aus Spanien und Frankreich kommen beunruhigende Nachrichten. Die Zahl der Neuinfektionen in Spanien hat den höchsten Wert seit Ende des Lockdowns im Juni erreicht. Bei Tests, die innerhalb der letzten 24 Stunden durchgeführt worden seien, habe es 4503 neue positive Ergebnisse gegeben, teilte das Gesundheitsministerium in Madrid am Freitagabend mit.

Die Gesamtzahl der nachgewiesenen Infektionen sei allerdings wegen verspätet gemeldeter Fälle im Vergleich zum Vortag sogar um mehr als 10.000 auf fast 500.000 gestiegen, hieß es.

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Vor allem in der Metropole Madrid grassiert das Virus. Das hat Folgen für das öffentliche Leben. Seit Montag gelten dort neue Einschränkungen. Die wichtigste Maßnahme: Im öffentlichen sowie im privaten Bereich werden ab nächster Woche nur noch Treffen von höchstens zehn Personen erlaubt sein, soweit diese nicht demselben Haushalt angehören.

Das seien die Situationen, die für die meisten Neuausbrüche verantwortlich seien, sagte Regionalpräsidentin Isabel Díaz Ayuso. Zudem wird unter anderem die zugelassene Höchstzahl der Teilnehmer an Hochzeiten, Beerdigungen und anderen Veranstaltungen wieder deutlich reduziert.

Mallorca setzt Helikopter gegen Badegäste ein

Auch der Tourismus treibt die Pandemie an. Auf Mallorca setzt die Polizei zur Durchsetzung der Corona-Maßnahmen einen Hubschrauber gegen renitente Badegäste ein. Die Maschine flog am Wochenende abends im Tiefflug über Strände, um die angeordnete nächtliche Schließung ab 21.00 Uhr durchzusetzen, wie die Zeitung „Diario de Mallorca“ berichtete.„Räumen sie die Strände“, forderte die Polizei über Lautsprecher die Menschen auf. In Videoaufnahmen war zu sehen, wie Badegäste angesichts der Lautstärke und der heftigen Winde unter dem Rotor des Hubschraubers vom Strand Richtung Promenade flohen.

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Die Regionalregierung der Balearen hatte Ende August wegen wieder stark steigender Infektionszahlen Einschränkungen des öffentlichen Lebens wie etwa die nächtliche Schließung von Stränden und Parks zwischen 21 und 7 Uhr angeordnet.In Katalonien, noch vor wenigen Wochen das spanische „Epizentrum“ der Neuausbrüche, hat sich die Lage inzwischen deutlich verbessert. Für die Autonome Gemeinschaft im Nordosten des Landes wurden am Freitag nur noch 160 Neuinfektionen gemeldet.

Exponentielles Wachstum in Frankreich

In Frankreich ist mittlerweile wieder von einem exponentiellen Wachstum die Rede. „Die Dynamik der stark zunehmenden Ansteckungen ist besorgniserregend. In Frankreich entwickelt sich die Viruszirkulation exponentiell“, hieß es nach Angaben der Nachrichtenagentur AFP von den Behörden.Warum die Zahl der Neuinfektionen in Frankreich aber so stark steigt, ist nicht ganz klar. Dass sich viele Urlauber nach dem Ende der Ferien testen lassen, gilt als ein Grund. Aber auch zunehmende Nachlässigkeit bei den Hygiene- und Abstandsregeln wird diskutiert.

Auch illegale Feste – beispielsweise eines mit bis zu 10.000 jungen Menschen auf einem Feld in Südfrankreich oder Pool-Partys an der Côte d'Azur – werden als Ursache vermutet.

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Am Sonntagabend wurden 7000 neue Fälle registriert, nach rund 8500 am Samstag und einem neuen Höchststand von fast 9000 am Freitag, wie die Gesundheitsbehörde Santé Public mitteilte. Auch die Zahl der auf Intensivstationen behandelten Covid19- Kranken steigt in Frankreich wieder. Mit knapp 500 liegt sie aber noch deutlich unter dem Höchststand von mehr als 7000 vom Frühjahr. Besonders stark nehmen die Infektionen laut der Gesundheitsbehörde derzeit bei jungen Leuten zu, die wenig oder keine Symptome zeigen.

Mit den Zahlen steigt die Sorge vor neuen Einschränkungen des öffentlichen Lebens. Die Regierung wies sieben neue Départements als Corona-Risikogebiete aus. Damit gelten nach Angaben der Regierung nun 28 der rund 100 französischen Verwaltungsbezirke als "rote Zonen", wo das Virus "aktiv zirkuliert". Die Einstufung ermöglicht es den Behörden, die Corona-Maßnahmen zu verschärfen.

Neu hinzugekommen sind die vier Départements Bas-Rhin im Grenzgebiet zu Baden-Württemberg, Nord, Seine-Maritime und Côte-d'Or mit Großstädten wie Straßburg, Lille, Rouen und Dijon. Dazu kommt die gesamte Mittelmeerinsel Korsika und die Insel La Réunion im Indischen Ozean.

Hintergrund-Informationen zum Coronavirus:

Zuerst waren im August der Pariser Großraum sowie Teile der Mittelmeerküste und des Südwestens zu Risikogebieten erklärt worden. Deutschland hat eine Reisewarnung für die Pariser Region sowie für die Côte Azur und die Provence ausgesprochen.

In zahlreichen französischen Großstädten gilt eine Maskenpflicht im Freien. Die Regierung setzte über das oberste Verwaltungsgericht durch, dass sie auch in Städten wie Lyon, Straßburg und weiteren Gemeinden im Elsass weiter gelten muss. Gerichte hatten die Verordnungen nach Klagen ausgesetzt. Premierminister Jean Castex erklärte, die Maskenpflicht sei "besser als allgemeine Ausgangsbeschränkungen".

Kann die Situation erneut außer Kontrolle geraten?

Wie geht es jetzt weiter? Kann die Situation erneut so sehr außer Kontrolle geraten wie im März? Ein erneuter Lockdown wollen möglichst alle drei Länder verhindern. In Italien betonen Experten, dass die Pandemie unter Kontrolle sei. Die italienische Regierung verlängerte die zentralen Coronaschutz-Maßnahmen wie Maskenpflicht und Abstandsregeln. Demnach gilt in Italien in öffentlichen Gebäuden und Transportmitteln die Pflicht, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen. Busse dürfen künftig bis zu 80 Prozent besetzt sein. Menschen sollen überall einen Abstand von mindestens einem Meter halten. Größere Ansammlungen sind weiter verboten.

In Paris gilt wegen steigender Fallzahlen eine Maskenpflicht im öffentlichen Raum.
In Paris gilt wegen steigender Fallzahlen eine Maskenpflicht im öffentlichen Raum.
© dpa/Kamil Zihnioglu/AP/dpa

Nach Angaben der „La Repubblica“ bleiben auch die Beschränkungen für Einreisende aus Kroatien, Griechenland, Spanien und Malta in Kraft. Sie müssen einen negativen Corona-Test vorweisen. Außerdem werde das Verbot von Tanzveranstaltungen und Konzerten aufrecht erhalten. Auf Plätzen und an anderen Orten, wo sich abends oft viele Italiener draußen treffen, muss von 18 Uhr bis 6 Uhr ebenfalls ein Atemschutz getragen werden. Fußballspiele mit Fans bleiben verboten.

Im Vergleich zum Jahresanfang ist die Situation besser kontrollierbar, weil diesmal mehr junge Menschen erkranken. Dazu äußersten sich Experten in Frankreich. Mircea Sofonea, Epidemiologe an der Universität Montpellier, ist der Ansicht, die Situation sei nicht mit jener vor dem Lockdown vergleichbar. Die Todeszahlen und die Zahl der schweren Fälle in den Krankenhäusern sei weiterhin relativ gering, zitierte ihn die NYT Mitte des vergangenen Monats. Dem Bericht zufolge lag die Auslastung der Intensivstationen im April bei 140 Prozent, Ende der ersten Augustwoche bei sieben Prozent.

Nach Angaben des Leiters des medizinischen Zentrums Croix-de-Chavaux im Pariser Vorort Montreuil, Sébastien Bogajewski, handelte es sich derzeit oft um wenig symptomatische Fälle, meist bei den 35- bis 60-Jährigen. Wenn es nur wenige schwere Fälle gebe, werde man wie bei einer Grippeepidemie im Gesundheitssystem damit fertig, sagte er der Zeitung Mitte August. Allerdings: Das Problem sei, dass man es nicht wisse und auf Sicht fahre, sagte er. (mit AFP, dpa)

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