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Bei einer GEW-Demo werden "Dauerstellen für Daueraufgaben" gefordert.
© imago images/NurPhoto

Koalitionäre reagieren auf GEW-Forderungen: Ampel-Hoffnung für Hanna?

Rot-grün-gelbe Signale: Bei einer GEW-Veranstaltung gaben die Unterhändler Hinweise, was sich in der Wissenschaftspolitik bewegen könnte.

Der künftigen Bundesregierung liegt eine Art Blaupause für ein 100-Tage-Programm für die Wissenschaft vor: Ein Gesetzentwurf zur Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) soll die Regellaufzeiten von Befristungen vor der Promotion auf sechs Jahre erhöhen, Postdoktoranden bekommen einen Tenure Track oder einen unbefristeten Arbeitsvertrag, die Grundfinanzierung der Hochschulen wird kräftig ausgebaut und das Bafög wieder als Vollzuschuss gewährt.

Geschrieben hat dieses 100-Tage-Programm allerdings nicht die angestrebte Ampel-Koalition, sondern die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Doch zum einen haben SPD, Grüne und FDP in ihren Wahlprogrammen durchweg eine Reform des WissZeitVG, der Hochschulfinanzierung und des Bafög gefordert. Und zum anderen haben sich Wissenschaftsunterhändler der drei Parteien bereits positiv zu den Gewerkschaftsforderungen geäußert.

Sie folgten der Einladung der GEW, die am Mittwoch veröffentlichten "Vorschläge für ein 100-Tage-Programm Wissenschaftspolitik der neuen Bundesregierung" sogleich bei der "#IchBinHanna-Aktionskonferenz" in einem Hotel nahe des Regierungsviertels zu kommentieren. Und das, obwohl die bisher erzielten Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen weiterhin der Vertraulichkeit unterliegen.

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"Es steht fest, dass wir das WissZeitVG anpacken, weil alle drei Parteien das schon vor der Bundestagswahl so gesagt haben", konnte Oliver Kaczmarek (SPD) preisgeben. Er wurde noch ein bisschen konkreter: Man wolle "die Promotionsphase rechtlich absichern, für Daueraufgaben in der Wissenschaft mehr Dauerstellen schaffen und planbare Karrierewege nach der Promotion". Dazu gehöre auch, "dass deutlich mehr Menschen einen Tenure Track angeboten bekommen".

"Tiefgreifende Reform" des Zeitvertragsgesetzes versprochen

Zu alledem werde es Ansätze im Koalitionsvertrag geben. Insbesondere gehe es um "substanzielle Verbesserungen für Leute, die in der Wissenschaft arbeiten", versprach Kaczmarek. Auch der Wissenschaftssprecher der Grünen, Kai Gehring, stellte eine "tiefgreifende Reform" des WissZeitVG in Aussicht. 40 bis 50 Prozent unbefristete Stellen im Mittelbau der Hochschulen seien "eine gute Zielvorgabe", die man alsbald mit der Hochschulrektorenkonferenz diskutieren sollte.

Ob es gleich sechs Jahre Vertragslaufzeiten entsprechend der üblichen Qualifikationszeiten werden könnten, wollte Moderatorin Anna Lehmann ("taz") wissen. Kaczmarek und Gehring lächelten milde und nannten diesen Maximalvorschlag der GEW "sympathisch".

Thomas Sattelberger (FDP) war strenger und wünschte sich von der GEW eine Rechnung, "was diese Forderungen eigentlich kosten". Da brauche es "Realismus, was geht". Das gelte auch für die Wissenschafts-Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen: Die Fachpolitiker seien "gut gelaunt" aus ihrer AG herausgegangen, aber jetzt müsse man sehen, "was die Höhergestellten daraus machen".

Robert Habeck, Annalena Baerbock, Olaf Scholz und Christian Lindner stehen Ende Oktober 2021 vor Mikrofonen.
Die Wissenschafts-Unterhändler seien zufrieden mit den Ergebnissen ihrer AG, hieß es. Was davon übrig bleibt, entscheidet allerdings die Führungsriege.
© Christof Stache/AFP

Olaf Scholz, versicherte Kaczmarek, stehe für vernünftige Arbeitsbedingungen und Vergütung sowie für eine bessere Ausbildungsförderung - und damit für eine Bafög-Reform. "Und das wird den Bund zusätzlich etwas kosten", sagte Kaczmarek. Offen für die von der GEW geforderten Auflagen an die Länder, mit verstetigten Bundesprogrammen tatsächlich mehr Dauerstellen an den Unis zu schaffen, zeigte sich Kai Gehring.

Das höchst umstrittene neue Berliner Hochschulgesetz, das bereits "Anschlusszusagen" für Postdoktoranden auf Haushaltsstellen vorsieht, kam zumindest bei dem grünen Wissenschaftsexperten nicht gut weg. Während Kaczmarek es begrüßt, die Hochschulen in die Pflicht zu nehmen, befand Gehring: "Das ist kein Modell für den Bund." Rot-rot-grün habe in Berlin "die Stellschrauben überdreht" und versäumt, die zusätzlichen Dauerstellen zu finanzieren und Übergangsfristen vorzusehen.

#IchBinHanna erhöhte den Veränderungsdruck

Die diskutierten Vorhaben brauchen zweifellos mehr als 100 Tage nach dem Start der künftigen Bundesregierung. Doch der Druck, dass sich bei den Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft, bei der Hochschulfinanzierung und beim Bafög vieles ändern muss, ist hoch. Und er geht keineswegs nur von der GEW aus. Die trommelt zwar seit gut zehn Jahren mit aufeinanderfolgenden Kampagnen für "Dauerstellen für Daueraufgaben".

[Lesen Sie auch die Kolumne von Jan-Martin Wiarda über das enttäuschende Sondierungspapier zur Wissenschaftspolitik]

Spürbar erhöht wurde der Veränderungsdruck auf Politik und Hochschulen jedoch zuletzt von der Initiative "#IchBinHanna". Im Sommer dieses Jahres wurde sie neben anderen von dem Hamburger Mittelalterhistoriker Sebastian Kubon auf Twitter gestartet. Im Protest gegen ein Video, mit dem das Bundesforschungsministerium um Verständnis für Befristungen werben wollte, berichten bis heute viele Tausend "Hannas" von den Zumutungen prekärer Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft.

Kubon freut sich über die breite Aufmerksamkeit für den Missstand, dass "so viel Kreativität, Geld, Zeit und Motivation verbraucht wird", indem Hochschulen Wissenschaftler:innen erst über bis zu zwölf Jahre ausbilden, dann aber zu großen Teilen aus dem System drängen. Ein Erfolg sei auch die Solidarität vieler Professorinnen und Professoren und einiger Hochschulleitungen, sagte Kubon auf einem Panel der GEW-Konferenz.

Kollegiale Zusammenarbeit im dänischen Department

Zu den Fachverbänden, die Reformen im Sinne von #Hanna fordern, gehört die Deutsche Gesellschaft für Amerikastudien. Deren Präsidentin Ruth Mayer (Uni Hannover) wünscht sich ein Hochschulsystem, das nicht mehr wie bisher "so unendlich viel Energie frisst", etwa um Anschlussfinanzierungen für Mitarbeitende zu bekommen. Ein Weg könnte sein, "das Drittmittelsystem zurückzufahren", so Mayer.

Die Hochschulforscherin Antonia Scholkmann plädierte für eine Departmentstruktur an den Unis. Damit ersetzt ein gleichberechtigtes Professor:innen-Kollegium das hierarchische Lehrstuhlprinzip mit abhängigen wissenschaftlichen Mitarbeitern. Scholkmann selber ist aus dem deutschen System "geflohen", nachdem für sie 2018 die Höchstbefristungsdauer an der Uni Hamburg um war.

Heute hat sie eine Professur in Dänemark, an der Universität Aalborg, und genießt im dortigen Department-System "eine andere Form der kollegialen Zusammenarbeit". Von den künftigen Koalitionären war dazu zu hören, dass die neue Struktur auch in Deutschland in Form von bundesfinanzierten Pilotprojekten denkbar ist.

#IchBinReyhan berichtet über Diskriminierung an Unis

Dass sich weitaus mehr ändern müsste, um zu einem chancengerechteren Hochschulsystem zu kommen, machte auf dem GEW-Podium Reyhan Şahin klar, Linguistin, Autorin von "Yalla, Feminismus" (2019) und als Dr. Bitch Ray bekannte Rapperin. Weil ihr bei #Hanna "die soziale Ebene fehlte, der Sexismus, der Rassismus und der Machtmissbrauch an den Alte-Weiße-Männer-Universitäten", startete sie #IchBinReyhan.

Unter diesem Hashtag geht es unter anderem um Diskriminierungserfahrungen von Menschen, die als Erste in ihren Familien studieren und oftmals, so Şahin, vom Wissenschaftssystem demotiviert, ignoriert oder ausgeschlossen werden, weil sie nicht dem dort verbreiteten bürgerlichen Habitus entsprechen.

Inwieweit die neue Bundesregierung zumindest das Bafög so reformiert, dass es wieder breiteren Schichten den Zugang zu den Hochschulen erleichtert, bleibt abzuwarten - bis zur kommenden Woche, in der SPD, Grüne und FDP ihren Koalitionsvertrag präsentieren wollen.

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