Streit ums Hochschulgesetz: Was für Berliner Postdoktoranden drin ist
Um Berlins neues Hochschulgesetz ist ein folgenreicher Streit entbrannt. Doch jetzt mehren sich konstruktive Lösungsvorschläge zur Lage junger Forschenden.
Berlins Regierender Bürgermeister und Wissenschaftssenator Michael Müller ist nicht mehr lange im Amt, beim Thema Wissenschaftsstandort Berlin wurde er unlängst aber noch einmal ungewöhnlich deutlich. „Ich habe Sorge, dass wir ohne Not wahnsinnig viel verspielen, was uns in den letzten Jahren gelungen ist“, sagte Müller bei der Verleihung des Wissenschaftspreises. Das verband er mit einem Appell, „in Problemsituationen einen Weg zu finden, dass der eine wie der andere gut damit arbeiten kann“.
Gemeint war – natürlich – die Debatte um das Berliner Hochschulgesetz und den umstrittenen Paragrafen zur Entfristung von Post-Doktoranden, den die rot-rot-grünen Parlamentarier auch an Müller vorbei im Spätsommer durchs Abgeordnetenhaus brachten. HU-Präsidentin Sabine Kunst ist aus Protest dagegen zurückgetreten, und spätestens seitdem wird das Thema bundesweit debattiert.
Rot-Grün-Rot will Lösungen gemeinsam mit dem Unis
Die einen sehen in der Berliner Gesetzesinitiative einen überfälligen Schritt, um Karrierewege für junge Forschende zu verbessern. Andere, vor allem in den Unileitungen, halten die Vorgabe in der Form finanziell und strukturell nicht für umsetzbar. Allerdings rüsten die Unileitungen nach viel Gegenwind bereits rhetorisch ab.
TU-Präsident Christian Thomsen hat zugegeben, man habe das Thema der Karriereperspektiven unterschätzt. Auch FU-Präsident Günter M. Ziegler sagt dem Tagesspiegel, er sehe und verstehe die Probleme der Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler und die Intention des Gesetzes: „Diese Art von dramatischen Kettenverträgen geht nicht.“
Dass das Gesetz gleichwohl nachgebessert werden muss, aber räumen selbst die Parlamentarier ein, wobei Tobias Schulze von den Linken lieber von „Präzisierungen“ spricht. Ina Czyborra (SPD) und Eva Marie Plonske (Grüne), die für ihre Parteien das Thema Wissenschaft verhandeln, verweisen auf die laufenden Koalitionsverhandlungen. Man wolle Lösungen gemeinsam mit den Hochschulen erarbeiten, sagt Czyborra.
Was sind die Knackpunkte, welche Lösungen könnte es geben? Ein Überblick.
Worum es geht
Forschende vor der Professur hangeln sich von Kurzzeitvertrag zu Kurzzeitvertrag, mit völlig ungewissen Aussichten, ob sie überhaupt in der Wissenschaft eine Zukunft haben: Gegen diesen Missstand protestieren die Betroffenen seit Jahren. Unter dem Hashtag #IchBinHanna nahm die Debatte in diesem Jahr noch einmal richtig an Fahrt auf.
Das Berliner Gesetz ist das erste, dass sich substanziell dieser Frage annimmt. Der neue Paragraf verpflichtet die Unis zu einer Anschlusszusage für die Forschenden, die bereits promoviert sind (Postdoktoranden) – und die sich auf ihrer Stelle wissenschaftlich weiterqualifizieren, wenn sie also etwa für eine Habilitation angestellt sind. Das gilt nur für diejenigen, die aus Haushaltsmitteln bezahlt werden, sprich aus dem Landeszuschuss der Unis. Aktuell dürfte das auf einige hundert Forschende im Berlin zutreffen. Beschäftigte in Drittmittelprojekten sind nicht tangiert.
Eine Unschärfe gibt es schon hier: Auch die entsprechenden Stellen des Exzellenzverbundes der Berlin University Alliance fallen unter das neue Gesetz. Die Mittel zählen als vom Land ausgezahlt, obwohl das Exzellenzgeld eigentlich vom Bund kommt und zunächst nur befristet fließt. Für die BUA wäre es deutlicher einfacher, wenn Exzellenzmittel Drittmittel blieben, sagt FU-Chef Ziegler.
Ab wann die neue Regel gilt
Das Gesetz ist schon in Kraft getreten, es gibt keine Übergangsfrist – aus vielerlei Gründen ein Punkt, der Fragen aufwirft. Könnten sich auch bestehende Postdoktoranden Hoffnung auf Entfristung machen? Was ist mit Verlängerungen von bestehenden Verträgen? Ein interpretatorisches Schreiben der Senatskanzlei hat den Unis nahelegt, dass bereits bestehende Stellen und deren Verlängerungen nicht mitgemeint sind. Dennoch raten Personalvertretungen Forschenden dem Vernehmen nach, das Ganze vor Gericht zu klären und sich notfalls einzuklagen.
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Weitere Frage: Was passiert mit Forschenden, die demnächst beginnen sollen, deren Stellen aber noch nach den „alten“ Bedingungen ausgehandelt wurden? Werden diese gestoppt, bis alle Unklarheiten beseitigt sind? Letztlich läuft das aktuell auf Einzelfallprüfungen hinaus, wie es TU-Präsident Thomsen für seine Uni bestätigt: „Einen generellen Stellenstopp für PostDocs gibt es nicht.“ Für das Berliner Chancengleichheitsprogramm sei auch schon eine PostDoc-Stelle zur Besetzung mit Anschlusszusage freigegeben worden.
Die HU wiederum behilft sich mit einem Trick: Postdoktoranden werden dort momentan mit einer anderen Zielstellung als der wissenschaftlichen Qualifikation eingestellt.
Es ist davon auszugehen, dass RGR nachträglich eine Übergangsfrist einführen wird – für wie lange bleibt abzuwarten. Thomsen schlägt zwei Jahre vor. Das wäre „ein Instrument, das uns etwas Luft verschaffen würde, um das Zahlenverhältnis von Promovierenden und PostDocs neu auszubalancieren oder andere Finanzierungsquellen für wissenschaftliches Personal zu finden“.
Zeit, um das System umzubauen, wünscht sich auch Ziegler. Zumal eine Reihe von Folgefragen offen seien: etwa, wie sich neue Stellen auf die Kapazitäts- und Lehrverordnungen auswirken. Nötig seien „differenzierte und fachspezifische Lösungen“.
Welche Lösungen vorgeschlagen werden
Dass tatsächlich alle Postdoktoranden eine Entfristungs-Zusage erhalten, findet selbst Reinhard Flogaus, Mittelbau-Vertreter an der HU, „schwierig“, auch wenn er das Gesetz sehr begrüßt. Wenn Entfristungszusagen nicht an die Strukturpläne sowie an den tatsächlichen dauerhaften Bedarf in Lehre, Forschung und Wissenschaftsmanagement rückgekoppelt würden, könnten „Unwuchten“ entstehen.
Flogaus plädiert dafür, dass die Universitäten sich jetzt ehrlich machen – und in ihren Strukturplänen genau festlegen, wo welche Stellen gebraucht werden, damit diese dann in den nächsten Jahren sukzessive im Rahmen von Anschlusszusagen mit Postdoktoranden besetzt werden.
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An der HU gebe es hier große Unterschiede. In manchen Fächern würden bereits jetzt alle Postdoktoranden unbefristet beschäftigt, in anderen gebe es bislang so gut wie keine unbefristeten wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen. Eine Patentlösung sehe er nicht, sagt Flogaus: „Klar muss aber sein, dass es sich um eine Struktur handelt, die zusätzlich zu den befristeten Qualifikationsstellen entsteht.“
Ob es eine Leistungskontrolle gibt, bevor PostDocs ihre Dauerstelle bekommen, lässt das Gesetz offen, selbst wenn Parlamentarier signalisiert haben, dass ihnen das vorschwebt.
Michael Pauen, Philosophie-Professor an der HU, bringt dafür eine „moderate“ Überarbeitung des Gesetzes ins Spiel. Er schlägt ein zweistufiges System für die Zeit nach der Promotion vor. Am Beginn stehe ein „Tenured Postdoc“ von drei Jahren. Dieser biete einer größeren Zahl von Promovierten die Gelegenheit zu weiterer Qualifizierung. „Die Qualifizierungsziele in Lehre und Forschung werden vorher vereinbart und am Ende der Phase in einer Evaluation festgestellt“, sagt Pauen.
Für eine kleinere Zahl von Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern schlösse sich im Erfolgsfall eine fünfjährige „Tenured Assistantprofessorship“ an. Erneut würden vorab die Qualifizierungsziele in Lehre und Forschung vereinbart, ihr Erreichen überprüft. Bei Erfolg werden die Forschenden in eine unbefristete Dauerstelle übernommen. Das Modell würde nicht nur vermeiden, dass viele Stellen durch eine einzige Generation von Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern blockiert werden. Es schaffe auch Transparenz, unter welchen Bedingungen Forschende zu einer Stelle kommen, sagt Pauen.
Bisher sei das nicht der Fall: „Das ist völlig undurchsichtig und daher höchst ungerecht.“ Seinem Eindruck nach benachteilige das vor allem Frauen, die wegen der vielen Unwägbarkeiten nach der Promotion viel öfter vor einer Wissenschaftskarriere zurückschrecken als Männer. Pauen hofft auf eine konstruktive und schnelle Lösung – die Verbesserung der Karriereperspektiven sei eine der „gegenwärtig drängendsten hochschulpolitischen Reformvorhaben“.
Wie viel Geld nötig ist
Vom Senat und von den Koalitionären ist den Unis zugesagt worden, dass sie auch künftig einen globalen Aufwuchs von 3,5 Prozent bekommen sollen. Der gilt aber für den gesamten Haushalt und nicht nur für PostDoc-Stellen. Aus Sicht der Hochschulen ist ein zusätzliches Plus nötig. HU-Präsidentin Kunst sprach von 110 Millionen Euro bis in die 2030er Jahre hinein. Peter-André Alt, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, hat für den Tagesspiegel potenzielle Kosten und den versprochenen Aufwuchs miteinander verrechnet – und geht davon aus, dass bis 2050 rund 35 Millionen Euro fehlen.
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Auch Reinhard Flogaus ist der Meinung, dass mehr Dauerstellen mehr Geld kosten werden. Deshalb wäre es „verantwortungslos“, die Hochschulen einerseits gesetzlich zu einem Aufwuchs an Dauerstellen zu verpflichten, sie aber andererseits bei der Umsetzung finanziell alleine zu lassen. Flogaus schlägt vor, in den Hochschulverträgen dafür einen eigenen Sondertatbestand zu schaffen, damit die Unileitungen nicht auf die Idee kommen, die Mittel anderswo einzusetzen.
In welcher Höhe die Hochschulen hier tatsächlich entlastet werden, dürfte ebenfalls erst nach den Koalitionsverhandlungen klarer werden. Tobias Schulze von den Linken meint, abgesehen von der tariflichen Höherstufung sei eine entfristete Stelle im Laufe der Zeit nicht teurer als entsprechende Kettenverträge hintereinander. „Im Gegenteil, die ständigen Ausschreibungen und Neueinstellungen verursachen Kosten.“ Insofern sei ein Mehrbedarf nur bei der Frage der Tarifstufen zusehen: „Dieser muss im Rahmen der Hochschulverträge berücksichtigt werden.“
Einen Vorschlag, der nicht das Land, sondern den Bund in die Pflicht nimmt, hat TU-Präsident Christian Thomsen gemacht. Thomsen schlägt vor, dass bei über Bundesmittel finanzierte Forschungsprojekten die „Programmpauschale“ von 20 auf 40 Prozent erhöht wird. Diese Mittel könnten die Unis für Promovierende ausgeben – und das würde in einer Art Kettenreaktion Landesgeld für die benötigten neuen Postdoktorandenstellen freimachen.
Hoffnungslos ist dieser Vorschlag nicht: SPD, Grüne und FDP im Bund werden beim Thema Wissenschaft zweifellos auch das Thema #IchBinHanna angehen.