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In-vitro-Befruchtung
© Alamy, mauritius images

Kinderwunsch-Behandlung im Ausland: „50 Jahre ist ein faires Limit“

Die Reproduktionsmedizinerin Françoise Shenfield vom University College London über gespendete Eizellen, deutsche Verbote und die 65-jährige Berlinerin, die Vierlinge erwartet.

Eine 65-jährige Berlinerin, die bereits 13 Kinder hat, ist nach einer künstlichen Befruchtung in der Ukraine abermals schwanger. Sie brauchte dazu Eizell- und Samenspende. Wenn sie zu Ihnen gekommen wäre: Was hätten Sie der Frau gesagt?
Dass ich mit ihrem Vorhaben nichts zu tun haben will und dafür keine Verantwortung übernehme. In Großbritannien würden wir uns sehr schwer damit tun, eine Frau zu behandeln, die älter als 50 Jahre ist.

Manche meinen, eine Altersgrenze für Frauen sei diskriminierend.

Das hat mit Diskriminierung gar nichts zu tun. Es geht auch nicht darum, alle Grenzen zu akzeptieren, die uns die Natur vorgibt. Die Medizin greift ständig in die Natur ein. Aber Ärzte müssen einen Kompromiss finden, der das Wohl der Mutter und der künftigen Kinder berücksichtigt. Eine Schwangerschaft ist bereits mit 40 Jahren risikoreich. Es kommt öfter zu Schwangerschaftsdiabetes, zu hohem Blutdruck, Thrombosen, Präeklampsie. Es kann Schwierigkeiten mit der Plazenta geben, somit besteht die Gefahr einer Fehl- oder Frühgeburt. 50 Jahre ist ein faires Limit. Wir haben für eine Studie mehr als 1200 Frauen befragt, die außerhalb ihres Heimatlandes eine Kinderwunschbehandlung gemacht haben. Keine war älter als 51. Die Berlinerin ist eine Ausnahme.

Sie ist in der 21. Woche, ihren Vierlingen geht es bislang gut.

Es ist sehr unwahrscheinlich, dass das so bleibt. Sie werden aller Voraussicht nach viel zu früh geboren, mit schweren Folgen für die Kinder. Die Tatsache, dass ihr in der Ukraine vier oder mehr Embryonen eingesetzt wurden, kann ich absolut nicht gutheißen. Unabhängig vom Alter der Frau. Es widerspricht jeder Berufsethik, eine solche Mehrlingsschwangerschaft herbeizuführen. Standard ist, immer nur einen Embryo einzusetzen, höchstens zwei. Zusätzliche Embryonen können ja für künftige Behandlungszyklen eingefroren werden.

Françoise Shenfield
Françoise Shenfield, Reproduktionsmedizinerin am University College London, analysiert für die Europäische Fachgesellschaft ESHRE grenzüberschreitende Kinderwunschtherapien.
© privat

Lassen sich viele Frauen ihren Kinderwunsch im Ausland erfüllen?

EU-Bürger haben das Recht, in anderen Mitgliedsstaaten Therapien in Anspruch zu nehmen, zu der sie zu Hause keinen Zugang haben. Das gilt auch für die Reproduktionsmedizin. In der Vergangenheit gab es jedoch kaum verlässliche Zahlen darüber, wie oft Frauen diese Möglichkeit nutzen. Eine Arbeitsgruppe der europäischen Fachgesellschaft ESHRE macht deshalb Stichproben, zum Beispiel von Oktober 2008 bis März 2009 in 46 Kliniken in sechs europäischen Ländern. Auf dieser Grundlage schätzen wir, dass zu diesem Zeitpunkt mindestens 11 000 bis 14 000 Patienten pro Jahr für eine Kinderwunschbehandlung ins europäische Ausland fuhren, meist in die Nachbarstaaten.

Warum?

Sie wollen restriktive Gesetze umgehen, Geld sparen oder eine Wartezeit verkürzen. In Großbritannien ist die Eizellspende erlaubt, aber die Behandlung ist teuer und es gibt lange Wartelisten. Also weichen die Frauen auf Spanien aus. Französische Lesben nehmen in Belgien eine Samenspende in Anspruch, denn in Frankreich wird ihnen dies versagt. Wenn die Krankenkassen deutschen Paaren keinen weiteren Versuch der künstlichen Befruchtung mehr bezahlen, fahren viele in die Tschechische Republik, weil dort die Behandlungszyklen billiger sind. Ungefähr die Hälfte von ihnen will es mit einer Eizellspende versuchen – was in Deutschland verboten ist.

In ihrer Befragung gab ein Drittel der deutschen Patientinnen an, dass sie zuvor zu Hause von einem Arzt beraten wurden. Obwohl das in Deutschland strafbar ist.

Sie konnten das zugeben, weil wir die Informationen vertraulich behandelt haben. Normalerweise würde von einer solchen Beratung niemand etwas erfahren. Offen gestanden: Wenn ein Gesetz nicht durchsetzbar ist, sollte man darüber nachdenken, was es eigentlich wert ist. Die Logik hinter dem deutschen Verbot erschließt sich mir nicht, die Samenspende ist ja auch erlaubt. Eizellspenden sind nicht verwerflich. Drei bis fünf Prozent der Frauen unter 40 können – etwa wegen einer Krankheit – selbst keine Eizellen bilden. Warum sollten sie nicht das Recht haben, Kinder zu gebären? Das erscheint mir ungerecht.

Wie können diese Frauen eine gute Klinik im Ausland finden, wenn ihr Arzt keine Tipps geben darf?

Die Beratung wäre wichtig, Laien müssen sich sonst auf die Selbstdarstellung im Internet oder auf Berichte in Foren verlassen. Ein Arzt würde darauf achten, ob sich die Klinik den Richtlinien der ESHRE für grenzüberschreitende Reproduktionsmedizin verpflichtet fühlt. Ob sie ein Labor innerhalb der EU nutzt, das der entsprechenden Direktive zum Umgang mit Gewebe und Zellen unterworfen ist. Ob die Ärzte überhaupt Erfahrung mit der Behandlung haben. Eine hohe Zahl an Mehrlingsgeburten wäre ein deutlicher Warnhinweis, denn solche Kliniken orientieren sich offenbar nicht am Stand des Wissens. Eine Arbeitsgruppe der ESHRE publiziert außerdem jedes Jahr, wie hoch der Anteil von Mehrlingsgeburten in einzelnen Staaten ist. Auch daran kann man sich orientieren. Von der Ukraine würde ich abraten, denn dort sind die Gesetze zum Schutz aller Beteiligten nicht ausreichend.

Hätte die Berlinerin eine Klinik innerhalb der EU finden können?

Man kann es nicht ausschließen. Aber in den meisten EU-Staaten gelten klare, umsichtige Regeln.

Eizell-Spenden seien Kommerz, sagen viele. Was kann eine Spenderin mit ihren Eizellen verdienen?

Innerhalb der EU gilt die Regel, dass Zellen und Körperteile nicht verkauft, sondern nur gespendet werden dürfen. Das schließt eine Aufwandsentschädigung für die Spenderin nicht aus, denn die Ei-Entnahme ist eine Operation, die durch Hormongaben vorbereitet wird. Das ist mit Verdienstausfall verbunden. Aber diese Aufwandsentschädigung ist ein schmaler Grat. In Großbritannien zahlen wir 870 Euro, damit kommt man in einer teuren Stadt wie London nicht weit. Trotzdem ist die Spende nicht unbedingt selbstlos, denn jeder Fünften wird ein Preisnachlass für ihre eigene Behandlung gewährt. Wenn in der Ukraine 400 bis 640 Euro gezahlt werden, muss man die Kaufkraft berücksichtigen: Der Betrag entspricht 1700 bis 2800 Euro.

Ist das Geld ausschlaggebend?

Wir haben mehr als 1400 Spenderinnen in elf Ländern nach ihren Motiven gefragt. Etwa die Hälfte wollte anderen Frauen helfen. Bei vielen war es ein Mix aus Altruismus, Geld und Vorteilen für die eigene Behandlung. Zehn Prozent der Spenderinnen ging es ausschließlich ums Geld. In einigen Ländern war dieser Prozentsatz deutlich höher: In der Ukraine waren es 28 Prozent, in Russland 59 Prozent, in Griechenland 39 Prozent. Die wirtschaftliche Lage ist also relevant. Generell spielte für jüngere Frauen das Geld eine größere Rolle als für ältere. Knapp 13 Prozent spendeten bereits zum dritten Mal. Mir persönlich und vielen meiner Patientinnen wäre eine hohe Bezahlung unangenehm. Solidarität unter Frauen ist als Teil der Entstehungsgeschichte eines Kindes doch schöner als der Satz: Mama ging auf den Markt und kaufte ein paar Eier.

Die Fragen stellte Jana Schlütter.

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