Tempolimit, Stickoxide, Bahn: Wohin steuert Verkehrsminister Andreas Scheuer?
An diesem Mittwoch lädt Andreas Scheuer (CSU) die Bahn-Spitze zum dritten Krisen-Gipfel – manche sehen den Verkehrsminister selbst als Krisenfall
Für Ausfahrten mit seinem historischen BMW, Baujahr 1987, dürfte Andreas Scheuer die Zeit fehlen. Das letzte Auto des CSU-Patriarchen Franz Josef Strauß, das Scheuer sein Eigen nennt, muss warten. Der Bundesverkehrsminister hat zu tun: An diesem Mittwoch hat der CSU-Politiker zum dritten Mal die Führung der Deutschen Bahn ins Ministerium geladen, um über die Finanzierung und Struktur des notorisch kriselnden Staatskonzerns zu reden. Allein das Thema Bahn würde einen Verkehrsminister schon auslasten. Doch der Terminkalender ist übervoll, die Debatten um Stickoxid-Grenzwerte, das Tempolimit und die Dieselmisere sind im vollen Gange. Lautstark mittendrin: Andreas Scheuer.
Nicht wenige in Berlin beobachten den Aktionsradius des Verkehrsministers mit Erstaunen. Binnen weniger Tage hat Scheuer seine Expertenkommission zur Zukunft der Mobilität demontiert („gegen jeden Menschenverstand“), das Tempolimit gegeißelt („ständige Gängelung“) und die wissenschaftlich zweifelhafte Intervention von Lungenfachärzten geadelt – als „Versachlichung der Debatte“ um NOx-Grenzwerte.
"In seinem Amt überfordert"
Kabinettskollegin Svenja Schulze (SPD), die als Umweltministerin mit Scheuer schon seit Amtsantritt überkreuz liegt, zeigte sich zuletzt offen sauer über die Einlassungen des Ministers. Fakten würden verdreht, Emotionen geschürt, Verunsicherung statt Versachlichung sei das Ergebnis, ätzte Schulze. Die SPD-Politikerin muss sich ihrerseits böse Spitzen von Scheuer gefallen lassen. Die Opposition läuft sich derweil für die Personaldebatte warm: Es werde klar, „dass dieser Verkehrsminister in seinem Amt überfordert“ sei, sagte Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter am Dienstag in Berlin.
Doch nicht nur im Kabinett und Parlament rumpelt es. Auch Verkehrsexperten irritiert die emotionsgeladene Öffentlichkeitsarbeit Scheuers. Zumal selbst Gegner dem Minister bescheinigen, dass er – anders als sein Vorgänger Alexander Dobrindt (CSU) – kenntnisreich und leidenschaftlich in seinem Ressort arbeite. Von 2009 bis 2013 war Scheuer dort bereits parlamentarischer Staatssekretär.
Ärger in der Nationalen Plattform Mobilität
In der von ihm selbst eingesetzten Nationalen Plattform „Zukunft der Mobilität“ – ein breit aufgestelltes Expertengremium, das nicht unter Ideologieverdacht steht –, fragt man sich allerdings, ob sich der Minister verfahren hat. Nachdem Überlegungen der Fachleute über die Sinnhaftigkeit eines Tempolimits oder von Diesel-Steuererhöhungen an die Medien durchgestochen und anschließend von Scheuer und der „Bild“-Zeitung zerrissen worden waren, zweifelt das Gremium an seiner Unabhängigkeit. Plattform-Leiter Henning Kagermann, Vertrauter und Berater der Kanzlerin in Innovationsfragen, äußert sich nicht. Aber zu hören ist, dass der moderate Ex-SAP- Chef und Physiker höchst verärgert über die Polterei des Verkehrsministers ist.
Politik ist eben mühsam und man muss den Leuten unpopuläre Entscheidungen sorgfältig erklären, um sie zu überzeugen. Wenn man wichtige Reformen ewig aufschiebt [...] muss man sich nicht wundern, wenn die Bürger meutern.
schreibt NutzerIn Sokratis
In der Plattform-Arbeitsgruppe 1, deren Diskussionspapier an die Öffentlichkeit gelangte, weiß man nicht mehr, ob Scheuer tatsächlich an einer Diskussion über eine nachhaltige Verkehrswende interessiert ist. Eine Sitzung des Gremiums in der vergangenen Woche hatte Scheuer kurzerhand abgesagt. Bis dahin war es laut Teilnehmerkreise vor allem um Autothemen gegangen – zu wenig aber um die Frage, wie der Schienenverkehr eine größere Rolle im Verkehrsmix bekommen solle. Dabei hatte sich die Regierung in ihrem Koalitionsvertrag ambitionierte Ziele für ihre Bahnpolitik gesetzt, die in der Branche auf viel Wohlwollen gestoßen waren. Scheuer könnte also in den Gesprächen mit der Bahn- Spitze die Wogen glätten, die er selbst aufgeworfen hat.
Scheuer: Über Ticketpreise entscheidet die Bahn
Den Vorstoß für höhere Ticketpreise seines Staatssekretärs Enak Ferlemann (CDU) kassierte der Minister schon einmal vorsorglich ein. Die Festlegung von Preisen sei eine „unternehmerische Entscheidung“ und obliege der Deutschen Bahn, erklärte das Ministerium am Dienstag.
Die Erwartungen an den dritten Bahn-Gipfel sind indes verhalten bis pessimistisch. Der Druck auf den Bund wächst. Die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) erinnerte an die finanzielle Verantwortung des Eigentümers des Konzerns. Der EVG-Vorsitzende Alexander Kirchner sagte, die Regierungsfraktionen hätten sich verpflichtet, die Fahrgast- und Frachtzahlen auf der Schiene bis 2030 verdoppeln zu wollen. „Dafür brauchen wir Geld; jedes Jahr mindestens sechs bis acht Milliarden Euro, die in das Netz investiert werden müssen, damit mehr Züge fahren können und dann vor allem pünktlich.“ Dies wären zusätzliche Mittel vom Bund in Höhe von zwei bis drei Milliarden Euro pro Jahr.
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Die Verbraucherzentralen bekräftigten ihre Forderungen nach besserer Pünktlichkeit, Information und Entschädigung sowie attraktiven Preisen. Matthias Gastel, bahnpolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, forderte den Verkehrsminister auf, seine bahnpolitischen Weichen zu stellen. Gastel: „Wenn die Bundesregierung nicht schnell verkehrspolitische Ziele für den Bahnsektor festlegt und darauf abgestimmte Maßnahmen auf den Weg bringt, dann driftet der Tanker Deutsche Bahn in schwieriges Fahrwasser ab.“
So viele Bahn-Reisende wie nie
Mit guten Nachrichten fährt Bahn-Chef Richard Lutz an diesem Mittwoch ins Ministerium in der Invalidenstraße. So viele Menschen wie nie sind 2018 mit der Deutschen Bahn gefahren – auch dank der Sparpreise und 19-Euro-Tickets. Nach rund 142 Millionen Reisenden 2017 könnte die Zahl 2018 bei mehr als 145 Millionen liegen. Auch Umsatz und Gewinn sollen in der Sparte Fernverkehr im Vergleich zu 2017 übertroffen worden sein. Die Bilanzzahlen veröffentlicht die Bahn im März.
Bis dahin hofft Andreas Scheuer, seinen größten Widersacher widerlegt zu haben: Jürgen Resch, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, der deutsche Städte vor Gericht mit Fahrverboten überzieht. Scheuer, so giftete Resch in einem Interview, sei „der offizielle Vertreter der Automobilindustrie im Bundeskabinett“.