DB Cargo: Warum der Güterverkehr die größte Baustelle der Bahn ist
Der Großteil des Frachtverkehrs rollt nach wie vor auf der Straße. Das liegt nicht nur an der Politik, sondern auch an jahrelanger Misswirtschaft bei der Bahn.
Eine bunte Initiative: Mit „Noah's Train“ werben Europas Güterbahnen derzeit für mehr umweltschonenden Frachtverkehr auf der Schiene. Mitte Dezember startete der von Künstlern bemalte Zug von der Weltklima-Konferenz im polnischen Katowice gen Wien, machte gerade in Berlin Halt und steuert nun bis Mitte Februar über Paris sein Ziel Brüssel an.
Die Werbefahrt hat eine klare Botschaft: Die Politik soll die Weichen stellen, damit der weiter stark wachsende Güterverkehr in Europa mehr auf Züge verlagert wird. Das Ziel lautet, den Anteil der Frachtbahnen bis 2030 von bisher kümmerlichen 18 auf wenigstens 30 Prozent zu steigern.
Bisher rollt der allergrößte Teil der Fracht über die Straßen. Und das mit weiter steigender Tendenz und europaweiten Folgen: überlastete Autobahnen, erhöhte Unfallrisiken, hohe Luft- und Lärmbelastung. Lkw-Transporte sind viel klimaschädlicher als die mit Zügen, aber oft schneller, billiger und zuverlässiger. Ein Grund dafür: das jahrelange Missmanagement bei der bundeseigenen Deutschen Bahn AG, zu der Europas größte Frachtbahn gehört.
DB Cargo hat Probleme seit der Finanzkrise
Die DB Cargo AG sei „in keinem guten Zustand“, heißt es in der internen „Agenda für eine bessere Bahn“ von Konzernchef Richard Lutz. Die DB-Spitze muss am kommenden Mittwoch zum dritten Mal bei Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) zum Rapport antreten. Denn der gesamte hoch verschuldete Staatskonzern mit seinen weltweit mehr als 300.000 Beschäftigten steckt in der Krise. Mit seiner Agenda will Lutz die DB im Personen- und Güterverkehr auf der Schiene wieder nach vorn bringen.
„Wir wollen wachsen – und die schlechten Jahre der Vergangenheit hinter uns lassen“, verspricht die Konzernspitze im als streng vertraulich klassifizierten 200-seitigen Strategiepapier für den Aufsichtsrat. DB Cargo werde vom wachsenden Güterverkehr in Europa und der unumgänglichen Verlagerung auf die Schiene profitieren und „bis 2030 eine erfolgreiche Wachstumsstory schreiben“. Der Weg werde anstrengend, aber es gebe „eine echte Zukunftsperspektive“.
Die Unterlagen zeigen indes auch, wie dramatisch die Lage ist – und das nicht erst seit gestern. Bereits seit der Finanzkrise, als die Wirtschaft weltweit einbrach, sei die wirtschaftliche Situation von DB Cargo „nicht zukunftsfähig“. Seit 2008 sank der Marktanteil von DB Cargo in Deutschland von 79 auf 52 Prozent (2017). Andere Güterbahnen operierten erfolgreicher und jagten dem Ex-Monopolisten viele Aufträge ab. Die Verluste lägen „über den Erwartungen“, heißt es selbstkritisch.
Die Folgen sind beträchtlich. Seit 2015 hat die DB mit ihrer Frachtbahn 555 Millionen Euro Verlust (EBIT) eingefahren, allein 200 Millionen voriges Jahr. Obwohl der Güterverkehr stark wächst, schrumpfte zudem der Umsatz seit 2013 von 4,8 auf noch 4,5 Milliarden Euro. Als Ursachen der Misere werden neben margenschwachen Geschäften ausdrücklich „operative Schwächen“ und eine „instabile Produktion“ benannt.
Es gibt zu wenige Lokführer
Der Niedergang der DB Cargo AG gilt als krasses Beispiel für Missmanagement hoch bezahlter Manager. Allein seit 2008 gab es sechs Sanierungskonzepte und mehr als 20 Wechsel im Vorstand, fast die Hälfte im wichtigsten Bereich Produktion. 4000 Stellen wurden gestrichen, Loks verkauft und Waggons verschrottet, viele Verladestellen geschlossen. Das alles habe „den Verfall nur beschleunigt“, kritisierte die Gewerkschaft EVG schon vor Jahren.
Ex-Bahnchef Rüdiger Grube bekam den Ärger der Beschäftigten zu spüren. Gegen sein mit McKinsey erarbeitetes Rotstiftkonzept „Zukunft Bahn“ gab es massive Proteste. Cargo-Chef Jürgen Wilder wurde abgelöst und auch Grube warf schließlich entnervt hin. Sein Nachfolger Lutz versucht seither mit dem früheren Daimler-Manager Roland Bosch, die größte Güterbahn Europas wieder in die Spur zu bringen.
Das wird nicht einfach. DB Cargo hat viele Kunden an effizientere private Güterbahnen verloren, wichtige Auftraggeber aus der Stahl- und Chemiebranche kritisierten wiederholt massive Lieferprobleme beim Staatskonzern, die sogar die Produktion gefährdeten. Die wochenlange Sperrung der zentralen Rheintalstrecke wegen der Tunnelhavarie der DB Netze AG bei Rastatt vergraulte Mitte 2017 zudem viele Partner nachhaltig und verursachte Milliardenschäden.
Klar ist, dass wie auch im Personenverkehr Personal und Züge fehlen. Die „belastete Betriebsqualität“ bei DB Cargo werde vor allem durch „akuten Ressourcenmangel“ verursacht, heißt es in der vertraulichen Agenda der DB-Spitze. Demnach kamen 2018 bis Oktober fast 3000 Zugtransporte nicht zustande, weil Lokführer fehlten. Zudem standen aus dem gleichen Grund im Schnitt 40 Züge pro Tag still, Lieferungen verzögerten sich. Die „Personallücke“ wird auf 130 Lokführer, 330 Rangierer und 140 Wagenmeister beziffert. Zudem mangelt es an Loks und Waggons, um Aufträge erledigen zu können.
Die Politik ist in der Mitverantwortung
Bessere Qualität und Verlässlichkeit soll mit der Anschaffung von 100 neuen Loks und 4000 Güterwagen, effizienterer Organisation sowie mehr Personal erreicht werden. Konzernweit will die DB allein 2019 rund 20.000 neue Mitarbeiter einstellen, allerdings gehen ähnlich viele in Ruhestand. Für höheren Frachtumsatz sollen Aufträge aus der Auto-, Erz- und Logistikbranche sorgen. Es soll zusätzliche Umschlagterminals in Europa geben und die Kooperation mit Chinas Staatsbahn soll für noch mehr Transporte aus und nach Fernost ausgebaut werden.
2,1 Milliarden Euro will die DB-Spitze zwischen 2018 und 2023 für die erhoffte Wende bei DB Cargo investieren. 2023 soll die Frachtbahn dann 340 Millionen Euro Gewinn einfahren und den Umsatz um ein Drittel auf sechs Milliarden Euro erhöht haben. Ob das gelingt, ist völlig offen. Das vormalige Ziel, 2018 wieder die Verlustzone im Frachtverkehr zu verlassen, wurde weit verfehlt. Ein Grund dafür, dass DB-Chef Lutz in der neuen Mittelfristplanung die bis 2023 erwarteten Betriebsgewinne des klammen Staatskonzerns um insgesamt fast 2,9 Milliarden Euro nach unten korrigieren musste.
Mit einem Wort: Die Güterbahn ist im Jahre 2019 noch immer eine Digitalisierungswüste.
schreibt NutzerIn RVahrenkamp
Das löste vor allem beim Bund als Eigentümer einigen Missmut aus. Allerdings trägt die Regierung nach Ansicht von Kritikern einige Mitverantwortung für die Krise ihres größten Konzerns. Die Politik habe bei der Stärkung des Schienengüterverkehrs in Europa über viele Jahre weitgehend versagt, bilanzierte der Europäische Rechnungshof bereits 2016 in einem 100-seitigen Sonderbericht.
Die Schweiz gilt als Vorbild
Die seit 1992 verkündeten Verlagerungsziele seien wiederholt verfehlt worden, stattdessen sei der Anteil der Schiene am Verkehr im Binnenmarkt sogar weiter gesunken. Die Prüfer kritisieren staatlich verursachte Benachteiligungen der Güterbahnen gegenüber dem Lkw-Verkehr, unnötige Bürokratie und die Bereitstellung von mehr Geld für die Straße als für die Schiene unter anderem in Deutschland.
Als leuchtendes Beispiel, wie es anders gehen kann, wurde die Schweiz genannt. Daran hat sich bis heute wenig geändert. Bei der Ankunft von „Noah's Train“ in Berlin warb nun Cargo-Chef Bosch für den Neustart und besseren Klimaschutz: „Die Verkehrswende kann nur gelingen, wenn wir mehr Güter auf die Schiene holen.“ Schöne Worte werden dafür nicht genügen, warnen Experten und sehen die Politik in der Pflicht.
So könnten Maut und Dieselsteuern für Lkw erhöht werden und die Behörden schärfer gegen Lohndumping, Überladungen und Verstöße bei Lenk- und Ruhezeiten im Speditionsgewerbe vorgehen. Schon das würde die Bahn wieder attraktiver machen – vor allem, wenn der Neustart gelingt und künftig der Ausbau der Schiene so stark gefördert würde wie seit Jahrzehnten der Straßenverkehr.