Interview mit dem Chef des Bioverbands BÖLW: „Wird Bio jetzt für alle bezahlbar?“
Peter Röhrig, Geschäftsführender Vorstand des Bioverbands BÖLW, über die geplante Ökowende, sinkende Preise fürs Bioessen und eine Bioquote für Kantinen.
Nichts weniger als die Agrarwende versprechen die Ampel-Koalition und der neue Grünen-Agrarminister Cem Özdemir: Mehr Bio auf dem Feld, mehr Bio in den Kantinen. Wie realistisch ist das und was heißt das für die Kunden? Fragen an Peter Röhrig, Geschäftsführender Vorstand des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW). Der BÖLW ist der Spitzenverband der Bio-Lebensmittelbranche und vertritt Bauern, Lebensmittelproduzenten und die Händler.
Herr Röhrig, 16 Jahre nach Renate Künast leitet mit Cem Özdemir jetzt wieder ein Grüner das Agrarministerium. Knallen in der Biobranche die Korken?
Es haben sich ja alle Ampel-Koalitionäre zu Veränderungen bekannt, das freut uns sehr. Wir hatten in den letzten Jahren eine Entwicklung, die weder den Landwirten nützt noch den Verbrauchern oder der Umwelt. Die Probleme sind bekannt. Jetzt geht es darum, sie konkret zu lösen, um den Höfen, der Umwelt und einer gesunden Ernährung eine gute Perspektive zu bieten.
Der Koalitionsvertrag liest sich wie ein Konjunkturprogramm für die Biobranche: 30 Prozent Ökoflächen in der Landwirtschaft und deutlich mehr Bioessen in Kantinen.
Ein Weiter so kann es in der Landwirtschaft ja auch nicht mehr geben. Das haben die Ampel-Parteien erkannt. Jede vierte Messstelle meldet, dass zu viel Nitrat im Grundwasser ist. Arten verschwinden, Landwirtschaft und Ernährungsbranche verschärfen das Klimaproblem. Bio funktioniert einfach gut, um viele dieser Probleme in einem Rutsch zu lösen. Das 30-Prozent-Bioziel richtet sich vor allem an die Landwirte, die jetzt noch konventionell wirtschaften.
Die sollen Biobauern werden?
Viele Landwirte stehen mit ihrer bisherigen Art zu wirtschaften vor dem Aus und müssen ihre Höfe schließen, allen voran die Schweinehalter. Das Problem betrifft aber nicht nur die Bauern, sondern die ganze Wertschöpfungskette. Handwerkliche Bäckereien kämpfen damit, dass Supermärkte billige Aufbackbrötchen verkaufen. Auch mittelständische Mühlen oder Schlachtereien suchen nach ihrem Platz im Markt. Bio bietet ihnen allen eine gute Perspektive.
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Derzeit hat der Ökolandbau nur einen Anteil von zehn Prozent an den Agrarflächen. Wie realistisch ist es, in den nächsten vier Jahren auf 30 Prozent zu kommen?
Wenn wir unseren Enkeln gesunde Böden hinterlassen wollen, brauchen wir sogar noch mehr als 30 Prozent Bio. Der Stillstand der letzten Jahre hat den Handlungsdruck mächtig erhöht.
Nachdem früher viele Bauern auf Bio umgestellt haben, war zuletzt die Luft raus.
Im letzten Jahr wagten weniger Bauern die Umstellung, das stimmt. Das muss eine Warnung sein. In den fünf Jahren davor war die Biofläche um 50 Prozent gewachsen. Mit den richtigen Rahmenbedingungen lässt sich das Tempo wieder aufnehmen. Bauern wollen das, Verbraucher auch. Jetzt ist die Politik am Zug.
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Wie muss der Rahmen aussehen?
Die Verbraucher müssen bio kaufen, die Förderung muss stimmen, und die gesamte Bundesregierung muss an einem Strang ziehen, um gute Voraussetzungen für eine Ernährungswende zu schaffen – bis hin zur Forschungspolitik: Bei der Agrarforschung entfallen derzeit weniger als zwei Prozent auf den Ökolandbau. Die letzte Bundesregierung hat den Ökolandbau sträflich vernachlässigt. Die Verbraucher wollten Bio-Lebensmittel, aber die Anbieter wussten zum Teil gar nicht, woher sie die Waren bekommen sollen.
Wie viele Betriebe müssten jedes Jahr auf Bio umstellen, damit die 30 Prozent erreicht werden können?
Wir bräuchten jedes Jahr zwölf Prozent mehr Fläche. Das geht! In der Vergangenheit hatten wir schon solche Wachstumsjahre. Der Plan ist sehr ambitioniert, aber machbar.
Bisher ist Landwirten die Umstellung auf Bio mit der Aussicht auf höhere Preise vergoldet worden. Aber was passiert, wenn künftig massenhaft Bio auf den Markt kommt? Verdienen sie dann weniger?
Wenn die Nachfrage im gleichen Umfang wächst, lohnt sich die Biolandwirtschaft auch weiterhin. Es ist daher gut, dass die Ampel die gesamte Wertschöpfungskette im Blick hat. Der Absatz muss stimmen.
Im ersten Coronajahr haben viele Verbraucher Bio gekauft. Der Umsatz mit Bio-Lebensmitteln ist um 20 Prozent gestiegen, hat der Trend im zweiten Jahr angehalten?
Der Umsatz ist im vergangenen Jahr weiter gewachsen, aber nicht mehr so stark. Konkrete Zahlen haben wir noch nicht.
Wird Bio-Essen billiger, wenn mehr deutsche Ware auf den Markt kommt?
Bei Lebensmitteln versagt der Markt. Viele Kosten spiegeln sich nicht in den Preisen wider. Die konventionelle Landwirtschaft verursacht jedes Jahr Umweltschäden in Höhe von 60 Milliarden Euro, hat die Zukunftskommission Landwirtschaft ausgerechnet. An der Ladentheke schlägt sich das aber nicht nieder, die Kosten werden an anderer Stelle von den Menschen bezahlt – etwa über höhere Wasserrechnungen. Wenn Umweltkosten in den Lebensmittelpreis einfließen würden, wären die für Bio vermutlich günstiger.
Und bis dahin? Bleibt Bio teuer?
Je nachdem, wo und was Sie kaufen, gibt es jetzt schon große Preisunterschiede. Bei Bio und anderen Lebensmitteln. Nehmen Sie Milch, wo ein konventionelles Markenprodukt teurer sein kann als eine günstige Bio-Milch. Außerdem essen Biokäufer tendenziell mehr Gemüse und weniger Fleisch, sie kochen mehr selbst und verzichten auf teure Convenience-Produkte. Unterm Strich bestimmen viele Faktoren, was sie für Essen ausgeben. Und sie zahlen daher nicht unbedingt mehr. Aber ja, wenn größere Bio-Mengen auf dem Markt sind, verringert das auch Distributionskosten und das kann die Verbraucherpreise dämpfen.
Cem Özdemir will, dass Lebensmittel teurer werden. Wie soll das gehen?
Der Umbau zu mehr Tierwohl und mehr Ökologie kostet Geld. Ob man die Einnahmen über eine höhere Mehrwertsteuer für Fleisch, Milch und Eier, über eine Abgabe auf diese Produkte oder auf anderem Wege erzielt, muss man jetzt diskutieren. Klar ist: Die Landwirte brauchen Preise, von denen sie leben können.
Berlin schreibt vor, dass 50 Prozent des Schulessens Bio sein muss. Brauchen wir auch bundesweit eine solche Quote für Schul-, Klinik- oder Behördenkantinen?
Die Regierung arbeitet an einer Ernährungsstrategie, das ist richtig. Wir haben Gesundheitskosten von einer Milliarde Euro am Tag, 30 bis 50 Prozent davon sind ernährungsbedingt. Mehr Bio in den Kantinen ist ein Weg zu einer gesünderen Ernährung. In Kopenhagen ist das gelungen, von der Kita bis zum Seniorenheim beträgt dort der Bio-Anteil im Kantinenessen 90 Prozent – übrigens ohne, dass die Preise gestiegen sind.
Wie kann das gehen?
Es wird weniger Fleisch und mehr Gemüse serviert, frisch ersetzt Convenience, mehr Zutaten kommen aus der Region und sind saisonal. Die Berliner Vorgabe für das Schulessen ist ein guter Ansatz. Der Bund sollte diese Idee aufgreifen und in seinen Einrichtungen den Bio-Anteil deutlich steigern. 50 Prozent sollte das Minimum sein, besser wäre eine noch höhere Bio-Quote wie in Kopenhagen. Bei einem höheren Bio-Anteil reicht es nämlich nicht mehr, den Reis oder die Kartoffeln auszutauschen, sondern dann braucht man eine komplett neue Menüplanung und ein Umdenken. Nur so gelingt aber die dringend nötige Ernährungsumstellung.
Bei Bio denken viele an kleine Höfe und glückliche Tiere. Aber auch die Bio-Branche ist industrialisiert. Es gibt große Ställe mit 15 000 Hühnern. Kürzlich hat ein Bio-Schlachthof in Neuruppin für Schlagzeilen gesorgt, weil Tiere dort misshandelt worden sind. Ist Bio doch nicht besser?
Bio bleibt mit großem Abstand das strengste Gesetz. Jedes Huhn hat beispielsweise vier Quadratmeter Auslauf, egal ob 50 oder 3000 Hühner auf dem Hof leben. Und weil regelmäßig kontrolliert wird, fällt es überhaupt auf, wenn etwas nicht in Ordnung ist. In Deutschland gibt es aber unterschiedliche landwirtschaftliche Strukturen, daher brauchen wir auch im Biolandbau unterschiedliche Angebote. Wir haben kleine Direktvermarkter, die ihre Waren über Hofläden oder Biokosten an Verbraucher verkaufen, aber auch große Erzeuger, die große Handelsketten beliefern. Alle arbeiten im Rahmen der Standards, die in der Bioverordnung festgelegt sind.
Der Schlachthof aber nicht.
Nein. Über diesen Einzelfall hinaus, haben wir ein strukturelles Problem in der Weiterverarbeitung, unter der Bio leidet. Es fehlen Öko-Müller, die mit der wechselnden Qualität des Bio-Getreides zurechtkommen, Molkereien und auch Schlachthöfe. Es gibt zu wenige regionale Bio-Schlachthöfe, das ist ein ganz, ganz großes Problem.
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In der Ökolandwirtschaft haben die Tiere Auslauf. Wird das jetzt angesichts der Afrikanischen Schweinepest oder der Vogelgrippe zum Problem?
Beim Geflügel ist das ein kleineres Problem, weil fast alle Betriebe eine Art Wintergarten haben, auf den sie ausweichen können. Beim Schwein geht es dagegen um die Existenz. Wenn Schweinen der Auslauf genommen wird und sie gänzlich in den Stall müssen, treibt das die Betriebe in den Ruin. Die Tiere kommen häufig mit der Enge dort nicht zurecht und können aggressiv werden. Die behördliche Anordnung einer Stallpflicht sendet zudem ein verheerendes Signal an die Tierhalter aus, nämlich dass bei der erstbesten Krise die Haltung mit Auslauf nicht mehr funktioniert. Für den geplanten Umbau der Landwirtschaft und mehr Tierwohl ist so etwas verheerend.