Özdemir will Ende von „Ramschpreisen für Lebensmittel“: Sozialverband fordert Ausgleich für finanziell Schwache
Mehr Bio, weniger Fertigprodukte: Der neue Landwirtschaftsminister plant umfassende Reformen im Ernährungssektor. Das allerdings könnte Arme stärker belasten.
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir plant strengere Vorgaben für Fertigprodukte, damit sich die Menschen gesünder ernähren. „Deutschland ernährt sich insgesamt zu ungesund“, beklagte der Grünen-Politiker in der „Bild am Sonntag“.
Mehr als 50 Prozent der Erwachsenen seien übergewichtig. „Der Grund dafür sind zu viel Zucker, Fett und Salz, vor allem in Fertigprodukten“, sagte er. „Die Politik hat zu lange versucht, die Industrie mit freiwilligen Selbstverpflichtungen zur Reduktion dieser Inhaltsstoffe zu bewegen. Damit ist jetzt Schluss. Mit mir wird es verbindliche Reduktionsziele geben“, machte Özdemir deutlich.
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Aus Sicht von Özdemir müssen zudem die Preise für Lebensmittel und Agrarprodukte steigen. „Es darf keine Ramschpreise für Lebensmittel mehr geben, sie treiben Bauernhöfe in den Ruin, verhindern mehr Tierwohl, befördern das Artensterben und belasten das Klima. Das will ich ändern“, sagte der Grünen-Politiker.
Özdemir äußerte das Ziel, dass die Menschen in Deutschland ihre Lebensmittel genauso wertschätzten wie ihre Autos. „Manchmal habe ich das Gefühl, ein gutes Motoröl ist uns wichtiger als ein gutes Salatöl“, kritisierte der Minister. Lebensmittel dürften zwar kein Luxusgut werden. „Doch der Preis muss die ökologische Wahrheit stärker ausdrücken“, sagte Özdemir.
Sozialverband fordert sozialen Ausgleich
Der Paritätische Wohlfahrtsverband fordert einen sozialen Ausgleich für Arme, wenn Lebensmittel zum Schutz der Umwelt und bäuerlicher Betriebe teurer werden sollten. Der Geschäftsführer des Verbandes, Ulrich Schneider, forderte in der „Welt“ mit Blick auf Sozialhilfeempfänger, entsprechende Preissteigerungen müssten „zwingend mit einer deutlichen Erhöhung der Regelsätze einhergehen. Man kann Ökologisches und Soziales nicht trennen. Es geht nur ökosozial, sonst verliert man die Unterstützung der Bevölkerung.“
Auch die Union verlangte, das Soziale im Auge zu behalten. „Wir werden jedenfalls sehr genau auf die sozialen Auswirkungen achten, denn nicht jeder kann sich Bio-Produkte leisten“, sagte CDU/CSU-Fraktionsvize Steffen Bilger der „Welt“. Der CDU-Politiker verwies auch auf einen möglichen Import günstigerer Lebensmittel aus dem Ausland.
Darüber hinaus strebt Özdemir eine Ausweitung der Fläche ökologisch bestellter Felder bis 2030 von derzeit knapp 10 auf 30 Prozent an. Der Staat solle hierbei „seine Nachfragemacht nutzen“: Die Verpflegung in öffentlichen Einrichtungen sollten auf mehr regionale und Bio-Produkte umgestellt werden. „Der Staat muss da Vorbild sein“, so der Agrarminister.
Vorfreude auf Cannabis-Legalisierung und Seitenhieb auf CDU
Zudem machte Özdemir deutlich, dass er bei deutschen Landwirten großes Interesse an der Legalisierung von Cannabis sehe. „Viele Bäuerinnen und Bauern stehen in den Startlöchern, um Hanf anzubauen“, sagte er.
„Sobald der Bundestag das Gesetz des Gesundheitsministers verabschiedet hat, wird die Landwirtschaft auch diese Nutzpflanzen anbauen. Die CDU kann es uns ja nun nicht mehr verbieten“, fuhr er mit einem Seitenhieb auf die Regierungspartei der vergangenen 16 Jahre fort.
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Die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP plant eine „kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften“. Dadurch würden „die Qualität kontrolliert, die Weitergabe verunreinigter Substanzen verhindert und der Jugendschutz gewährleistet“, heißt es im Koalitionsvertrag.
Der Anbau von Hanfpflanzen ist bislang für medizinische Zwecke erlaubt. Die Polizeigewerkschaften haben sich in der Vergangenheit skeptisch zu den Legalisierungsplänen der bisher als illegale Droge eingestuften, aber in weiten Bevölkerungsteilen dennoch konsumierten Substanz, geäußert. Auch die Unionsparteien sind strikt gegen Cannabis an der Ladentheke und verweisen auf Risiken.
Özdemir wies diese Kritik nun zurück. „Niemand soll sich die Birne wegkiffen, aber ich freue mich, dass der Irrsinn des Cannabis-Verbots endlich endet“, sagte er der Zeitung. Wer bei einem illegalen Dealer kaufe, wüsste nicht, was enthalten sei und womöglich Nebenwirkungen habe.
„Eine Legalisierung, wie wir sie jetzt planen, stärkt also den Jugend- und Verbraucherschutz - und er entlastet unsere Polizei, die sich auf den Schwarzmarkt mit harten Drogen konzentrieren kann“, argumentierte er. (dpa)