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Sonderangebotsware: Billiges Fleisch fehlt in keinem Werbeprospekt.
© picture alliance / Rolf Vennenbe

Debatte über faire Lebensmittelpreise: „Wir verschleudern keine Lebensmittel“

Die Bundesregierung verhandelt mit den Chefs von Edeka, Rewe, Aldi und Lidl über Billigpreise für Lebensmittel. Diese sehen sich zu Unrecht angegriffen.

Während am Montag Morgen im Bundeskanzleramt die Spitzen von Politik und Handel über faire Lebensmittelpreise sprechen, steht Bianka Steffens draußen im Berliner Regen. Die 43-jährige ist mit ihren zwei Töchtern von Lamstedt bei Cuxhaven nach Berlin gekommen, weil es auch um ihre Existenz geht.

Die Familie hat einen Hof mit 120 Milchkühen. Für den Liter Milch bekommen sie derzeit 32 Cent von der Molkerei. Große Sprünge, sagt Steffens, kann man davon nicht machen. Der Preis decke gerade einmal die Kosten. "Wir überlegen aufzuhören", erzählt die Bäuerin, die Kinder sollen auf jeden Fall später etwas anderes machen. "Wir wollen unseren Kindern das nicht antun".

Steffens Mann ist aktiv beim Bauernbündnis "Land schafft Verbindung". Seit Oktober gehen die Bauern auf die Straße, legen mit ihren Treckern Metropolen lahm. Eine ihrer Forderungen: mehr Wertschätzung für ihre Arbeit und bessere Preise für ihre Erzeugnisse.

Handelsgipfel im Kanzleramt: Top-Besetzung

Der Protest zeigt Wirkung. Im Dezember hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bereits die Vertreter der Bauern zum Landwirtschaftsgipfel ins Kanzleramt geladen, am Montag bat Merkel die Chefs von Edeka, Rewe, Aldi, der Schwarz-Gruppe (Lidl/Kaufland) und Vertreter der Handelsverbände in den Regierungssitz. Ebenfalls dabei: Bundesagrarministerin Julia Klöckner, Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier und Kanzleramtschef Helge Braun (alle CDU).

Die großen vier Handelsketten haben einen Marktanteil von mehr als 85 Prozent. Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner spricht angesichts dieser Marktverhältnisse von "David gegen Goliath", die kleinen Bauern hätten keine Chance, sich gegen die Handelsriesen zu wehren.

Im Kanzleramt: Angela Merkel (links) und Agrarministerin Julia Klöckner wollen "faire Beziehungen" zwischen Handel und Erzeugern.
Im Kanzleramt: Angela Merkel (links) und Agrarministerin Julia Klöckner wollen "faire Beziehungen" zwischen Handel und Erzeugern.
© imago images/Mike Schmidt

Klöckner will Landwirte und Lebensmittelproduzenten per Gesetz vor unlauteren Handelspraktiken schützen. Die entsprechende UTP-Richtlinie, die dem Handel etwa kurzfristige Stornierungen von Aufträgen, einseitige Änderungen von Lieferbedingungen und monatelangen Zahlungsaufschub verbietet, will sie "sehr schnell" umsetzen, kündigte die Ministerin nach dem Handelsgipfel an.

Dabei sollen auch Praktiken im Graubereich, die nicht ausdrücklich verboten sind, aber dennoch Landwirte und Lebensmittelproduzenten benachteiligen, verschwinden. Der Handel werde darauf per Selbstverpflichtung verzichten.

Protest vor dem Kanzleramt: Greenpeace und Bauern fordern höhere Preise für Nahrungsmittel.
Protest vor dem Kanzleramt: Greenpeace und Bauern fordern höhere Preise für Nahrungsmittel.
© dpa

Zudem sollen sich Erzeuger künftig an eine Beschwerdestelle wenden können, wenn sie sich unfair behandelt fühlen, erklärte Klöckner. Der Handel habe außerdem zugesagt, den Verkauf von Produkten aus der Region zu stärken. Diese regionalen Partnerschaften bringen den Erzeugern in der Regel bessere Preise als das Massengeschäft.

Zudem soll es eine "Kommunikationsallianz" von Landwirten und Handel zur Wertschätzung von Lebensmitteln geben. "Zwei Kilo Äpfel für 1,11 Euro, wie soll das funktionieren?", kritisierte Klöckner Billigangebote von Discountern und Supermärkten. Dem Handelsgipfel sollen weitere Treffen unter der Leitung von Klöckner folgen, dann auch mit Beteiligung der Bauern.

Zwei Kilo Äpfel für 1,11 Euro, so etwas findet Klöckner nicht gut.
Zwei Kilo Äpfel für 1,11 Euro, so etwas findet Klöckner nicht gut.
© dpa

Auch die Bundeskanzlerin sieht die Kampfpreise des Handels kritisch. „Wir haben ein gemeinsames Interesse an einer starken regionalen Versorgung unserer Bevölkerung mit einheimischen Produkten“, sagte Merkel zum Auftakt des Handelsgipfels. Es gehe um "faire Bedingungen", betonte die Kanzlerin, aber nicht darum, "Ihnen irgendwelche staatlich verordneten Mindestpreise aufzuoktroyieren".

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) und die wirtschaftspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Katharina Dröge, sehen das anders. Sie sind für eine Preisuntergrenze bei Lebensmitteln. "Mindestpreise müssten wir im deutschen Recht verankern", sagte Dröge dem Sender RTL. Greenpeace und der Parteichef der Grünen, Robert Habeck, machen sich dagegen für eine Tierschutzabgabe auf Fleisch stark, um die Tierhaltung zu verbessern.

Handel: Die Hälfte des Fleisches wird exportiert

Der Handel sieht sich zu Unrecht angegriffen. "Wir halten uns an Recht und Gesetz", kontert der Handelsverband Deutschland (HDE). Er verweist darauf, dass die Branche aus "kartell- und wettbewerbsrechtlichen Gründen" keine Preisoptimierung vornehmen könne. Zudem laufe die Kritik am Handel in Zeiten der Globalisierung ins Leere: "Wir sehen sehr deutlich, dass die landwirtschaftliche Produktion sehr stark auf Export ausgerichtet wird", sagte HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. So gehe rund die Hälfte des Fleisches, das in Deutschland produziert werde, ins Ausland.

Bei der Frischmilch landeten ungefähr nur 20 Prozent im Supermarktregal, 50 Prozent gingen in den Export. Überschüsse am Weltmarkt sorgten vielfach dafür, dass Preise heruntergingen. "Wir verschleudern keine Lebensmittel", sagte Genth.

Auch sei es eine "Mär", dass in Deutschland die Preise dafür im europäischen Vergleich am niedrigsten seien, vielmehr lägen sie im Mittelfeld: 2019 seien die Lebensmittelpreise um 1,4 Prozent gestiegen und auch für dieses Jahr seien Erhöhungen abzusehen. 20 Prozent des gesamten Warenkorbs seien mittlerweile "wertebasierte Produkte – also Bio, Fair-Trade oder regional erzeugt. Tendenz steigend".

Auch Rewe-Chef Lionel Souque verteidigt die Preisgestaltung des Handels. „In Deutschland leben rund 13 Millionen Menschen in Armut oder an der Armutsgrenze“, gibt er zu bedenken. „Günstige Lebensmittelpreise ermöglichen diesen Menschen eine gesunde und sichere Ernährung.“ Das Treffen mit Regierungsvertretern lobte Souque als "offenen und kritischen Dialog“. Er habe zugesagt, die direkte Zusammenarbeit mit kleinen Lieferanten und Erzeugergemeinschaften weiter auszubauen. (mit dpa)

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