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Selfie nach dem Interview
© Stefan Weger/Tagesspiegel

Bauernprostest gegen Landwirtschaftspolitik: „Herr Hofreiter, haben Sie schon mal ein Ferkel kastriert?“

Gerade Bauern sollten sich für Klimaschutz einsetzen, sagt der Grüne Hofreiter. Dafür müsse es aber mehr Geld geben, fordert Landwirt Andresen. Ein Interview.

Der Bayer Anton Hofreiter ist Vorsitzender der Grünen-Bundestagsfraktion. Vor seiner politischen Karriere hat der promovierte Biologe über Artenvielfalt geforscht. Dirk Andresen ist Landwirt in Schleswig-Holstein und Sprecher der Bauernbewegung "Land schafft Verbindung". Beim Interview im Jakob-Kaiser-Haus in Berlin treffen die beiden zum ersten Mal aufeinander.

Herr Hofreiter, demonstrieren gehört für Sie als Grüner zum Job, früher gegen Wackersdorf, heute für eine Agrarwende. Die neue Bauernprotestbewegung „Land schafft Verbindung“ ist inzwischen mehr auf der Straße anzutreffen als auf dem Feld. Imponiert Ihnen das?

Hofreiter: Ich verstehe, dass viele Bauern unzufrieden sind. In den letzten 15 Jahren haben fast jeder zweite Milchbauer und drei Viertel der Schweinehalter ihren Hof verloren, weil sie das wirtschaftlich nicht mehr stemmen konnten. Klar ärgern die sich über die Agrarpolitik der Bundesregierung.

Herr Andresen, beruhigt es Sie, dass Herr Hofreiter Ihnen zur Seite springt?

Andresen: Ich freue mich, wenn jetzt auch Politiker merken, wie schwierig die Lage für uns ist. Es ist ein ernsthaftes Problem, dass mehr als die Hälfte der Bauern in den letzten Jahren aufhören mussten.

Sie gehen gegen strengere Düngeregeln und Umweltauflagen auf die Straße. Ist Herr Hofreiter als Grüner nicht das Feindbild schlechthin für Sie?

Andresen: Früher haben wir nach Feindbildern gesucht. Aber Polarisierung hilft nicht. Wir wollen keine Fronten aufbauen, sondern im Dialog weiterkommen. Umweltministerin Svenja Schulze hat ja neulich wieder über einen Gesellschaftsvertrag gesprochen. Das müssen wir dann aber auch mit Leben füllen.

Das klingt ganz anders als auf der großen Bauerndemo im Dezember. Da war sehr viel Wut zu spüren, die Umweltministerin wurde ausgebuht.

Andresen: Wir sind auf der Straße, weil es um unser Überleben geht. Die Politik gefährdet mit den Rahmenbedingungen, die sie im Moment setzt, unsere Existenz. Wenn wir uns jetzt nicht wehren, sterben wir. Trotzdem wollen wir den Dialog. Was nutzt es uns denn, wenn jeder nur auf seinem Standpunkt beharrt? Unser Motto lautet: Wir rufen zu Tisch.

Herr Hofreiter, welche Gemeinsamkeiten sehen Sie?

Hofreiter: Die Landwirte sollten ein Eigeninteresse daran haben, dass die Klimakrise nicht aus dem Ruder läuft. Die verschwindet ja nicht dadurch, dass wir sie ignorieren. Es geht um die Rettung unserer Lebensgrundlagen. Und da kann und muss auch dieser Sektor noch mehr leisten. Die Landwirtschaft trägt nicht nur einen Teil der Verantwortung für die Klimakrise, sondern sie bekommt auch ein Riesenproblem, je unvorhersehbarer das Wetter wird. Dürren werden intensiver, Regenfälle auch. In den Jahren 2018 und 2019 hatten wir starke Dürren, da ist ein Teil der Ernte vertrocknet. Und 2017 kamen die Bauern mit ihren Schleppern kaum auf die Äcker, weil die Böden so durchmatscht waren.

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter und der Schleswig-Holsteiner Bauer Dirk Andresen (Sprecher der Initiative "Land schafft Verbindung")
Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter und der Schleswig-Holsteiner Bauer Dirk Andresen (Sprecher der Initiative "Land schafft Verbindung")
© Stefan Weger/Tagesspiegel

Sehen Sie überhaupt ein gemeinsames Interesse am Kampf gegen die Klimakrise?

Hofreiter: Das ist von Landwirt zu Landwirt unterschiedlich, es gibt halt nicht die Bauern. In den letzten sechs Jahren habe ich über hundert landwirtschaftliche Betriebe besucht. Manche sind sehr aufgeschlossen gegenüber mehr Klima- und Umweltschutz, andere nicht.

Andresen: Es stimmt, dass wir unter Wetterextremen besonders leiden. Zugleich sind wir der einzige Bereich, der CO2 reduzieren kann. Wir können zum Beispiel durch den Anbau von Früchten und Gras dazu beitragen, die Klimaziele zu erreichen. Ich glaube, da bin ich mir mit Herrn Hofreiter einig.

Die Landwirtschaft trägt allerdings auch dazu bei, dass das Grundwasser mit Nitrat belastet wird und das Insektensterben voranschreitet.

Andresen: Natürlich läuft nicht alles gut. Beim Insektensterben brauchen wir aber mehr transparente Forschung. Meine Frau kommt aus Lettland, deshalb waren wir dort schon öfter unterwegs. Im letzten Sommer bin ich im Urlaub mit dem Auto fast 2000 Kilometer durchs Land gefahren. Ich hatte kein einziges totes Insekt an der Windschutzscheibe. Das ist für mich der Gradmesser. Wenn ich durch Vorpommern fahre, ist die Scheibe voll mit Insekten. In Schleswig-Holstein sind es wieder etwas weniger.

Welche Schlüsse ziehen Sie daraus?

Andresen: Ich kann mir nicht erklären, warum das so ist. In Vorpommern gibt es entlang der Straße intensive Landwirtschaft und große Windräder. Lettland hat wenig Ackerbau, nur Wälder, Wasser, extensive Weiden.

Bestreiten Sie auch, dass die Landwirtschaft für einen großen Teil der Nitratbelastung des Grundwassers verantwortlich ist?

Andresen: Schwarz-Weiß-Denken hilft da nicht weiter. Ich würde zumindest gerne einiges hinterfragen. Ich plädiere dafür, alle Messstellen zu überprüfen. Natürlich gibt es auf der Landkarte rote Gebiete…

… das sind die Regionen, in denen die Nitratbelastung zu hoch ist…

Andresen: ...aber ich bezweifle, dass die Messungen immer seriös und aussagekräftig sind. Es gibt eben auch veraltete Messstellen. Neulich habe ich mit dem Wasserwerker von den Stadtwerken Schleswig gesprochen. Der sagte mir: Wir haben das beste Wasser der Welt.

Hofreiter: Da muss ich entschieden widersprechen. Wir haben ein Netz aus Nitratmessstellen mit 700 Messpunkten, das sehr exakt ist. Und was das Artensterben angeht: Auch da sind die Ursachen klar. Ich war Biologe und Artenvielfaltsforscher, die Wissenschaft ist da null Komma null intransparent. Sie können die Studien alle nachlesen, viele davon findet man im Internet. Oder Sie gehen mal mit einem Artenvielfalts-Forscher mit, wenn der eine seiner Erhebungen macht und Insekten oder Gräser bestimmt. Wir können gerne darüber streiten, wie man das Problem des Artensterbens behebt. Aber der Fakt, dass es ein Artensterben gibt, ist nicht in Frage zu stellen.

Andresen: Die Uni Rostock hat neulich festgestellt, dass es heute in Mecklenburg-Vorpommern mehr Insekten gibt als früher.

Hofreiter: Bei Artenvielfalt geht’s doch um mehr als um Insekten in Mecklenburg-Vorpommern. Das Artensterben trifft zum Beispiel auch die Vogelwelt. Klar ist: Artensterben gibt es nicht nur in den tropischen Regenwäldern und Korallenriffen, sondern auch massiv bei uns. Die Hauptgründe dafür sind lange erforscht. Erstens haben wir zu viel Dünger in der Landschaft. Zweitens tötet der Pestizideinsatz viele Tiere. Und drittens haben wir immer weniger Vielfalt an Feldrändern, immer weniger Feldbäume und Feldhecken. Erst geht die Artenvielfalt der Blumen und Gräser zurück, dann die der Insekten, dann die der von den Insekten lebenden Vögel. Und immer so weiter.

Andresen: Ich bin kein Biologe. Trotzdem kann ich mir nicht erklären, warum es zum Beispiel in Lettland so wenig Insekten gibt. Bei mir auf dem Betrieb brauche ich Insektenschutzfenster. Alles ist voll mit Insekten und Fliegen. Hier in Berlin brauchen Sie das nicht.

Hofreiter: Es geht nicht nur um Fliegen, sondern auch ganz stark um Schmetterlinge und Wildbienen.

Andresen: Auch Schmetterlinge habe ich jede Menge bei mir. In Wahrheit geht es doch auch um einen Stadt-Land-Konflikt. Großstädte und Ballungsräume emittieren Schadstoffe. Das Land beliefert die Stadt mit Trinkwasser, mit Nahrung und mit grünem Strom. Wenn das so weiter gehen soll, müssen die Städte mehr Verantwortung übernehmen.

Hofreiter: Wir haben inzwischen in vielen Städten eine höhere Artenvielfalt, Stadtbienen produzieren zum Teil mehr Honig als Bienen auf dem Land. Das ist doch absurd. Das Artensterben ist keine Erfindung.

Der Grüne Hofreiter fordert einer andere Tierhaltung
Der Grüne Hofreiter fordert einer andere Tierhaltung
© Stefan Weger/Tagesspiegel

Was stört Sie an der Landwirtschaftspolitik, Herr Andresen?

Andresen: Die Lebenswirklichkeit des Bauern findet im Bundestag nicht mehr statt. Hier machen Rechtsanwälte, Politologen, Journalisten und Lehrer die Politik. Das ist eine Parallelwelt. Ich erlebe, dass es hier in Berlin viele Gesprächsrunden gibt, die aber nie zu Resultaten führen. Hier werden keine Entscheidungen getroffen, sondern Debatten geführt. Nur 13 von 700 Bundestagsabgeordneten haben einen landwirtschaftlichen Bezug.

Hofreiter: Dafür sind die Landwirte im Agrarausschuss, der die für die Landwirtschaft wichtigen Entscheidungen vorbereitet, überrepräsentiert.

Herr Hofreiter, Sie haben mal erzählt, dass Sie selbst Schweine zerlegt haben. Glauben Sie, dass Sie genug vom Beruf des Bauern verstehen?

Hofreiter: Zuhause bei meinen Eltern haben wir Bioschweine gekauft und selbst zerlegt, weil das kostengünstiger war. Das ist auch gar nicht so schwer, wenn man das ein paar Mal gemacht hat. Aber darum geht es hier nicht. Wir wollen drüber reden, wie wir die Probleme der Landwirtschaft angehen können.

Andresen: Wir Bauern wehren uns, weil wir mit dem Rücken zur Wand stehen. Wir sind auf der Straße, um deutlich zu machen, dass es ohne Kompensation nicht gehen wird. Es kann doch nicht sein, dass wir Entwicklungen wie in Dänemark in Kauf nehmen. Dort hat die Regierung eine neue Düngeverordnung durchgesetzt. Der Weizen hat nicht mehr genug Dünger bekommen. Die dänischen Bauern können deshalb nur noch billigen Futterweizen produzieren, der Weizen zum Brotbacken wird aus Russland importiert. Ich bezweifle, dass das der richtige Weg ist.

Hofreiter: Klar ist, dass die Bauern auch von ihrer Arbeit leben können müssen. Aber wir müssen auch über die Probleme reden, an denen die Landwirtschaft eine Mitschuld trägt. Das Artensterben, die Belastung des Grundwassers, die massiven Probleme beim Tierschutz. Das Ziel muss doch sein, dass die Landwirtschaft auch in 10, 20 Jahren noch funktioniert.

Andresen: Mehr Tierschutz oder Umweltschutz kann es nur geben, wenn wir das auch bezahlt bekommen. Ohne Investitionen können die Betriebe sich nicht weiterentwickeln. Wir sind Unternehmer. Die Zahlen müssen stimmen.

Sind Tierfabriken mit 60.000 Schweinen oder 100.000 Hühnern der richtige Weg?

Andresen: In Deutschland brauchen wir 160.000 Schweine und 1,5 Millionen Hühner – jeden Tag. Wenn wir das nicht produzieren, machen das andere. In Russland stehen ganz große Fabriken, wenn wir nicht mehr liefern, werden uns halt die Russen ernähren. Im Moment importieren wir jedes Jahr 6,5 Milliarden Eier, die gehen nicht über die Ladentheke, sondern zu den Spaghetti-Produzenten in die Nudeln. Das sind knapp 40 Prozent des Eierumsatzes. Wenn wir eine Ernährungsumstellung wollen, die der Verbraucher bezahlen soll, müssen wir das einvernehmlich tun. Am besten wäre so eine Art Fairtrade Siegel für Deutschland, das deutsche Lebensmittel, die nach deutschem Recht produziert werden, kennzeichnet. Aber ich vermute, EU-rechtlich ist das nicht möglich. Aber so konkurrieren wir mit Importen, die staatlich subventioniert sind. Ein guter Freund in Lettland hat gerade einen Förderbescheid über 1,1 Millionen Euro zum Bau eines Kuhstalls bekommen. Da wird genau die Landwirtschaft gebaut, die wir hier in Deutschland nicht mehr betreiben dürfen.

Hofreiter: Aber das ist doch nicht die Realität. Die Realität ist, dass wir in Deutschland deutlich mehr Fleisch produzieren als konsumieren. Wir sind stark im Export und relativ kostengünstig. Afrikanische Geflügelhalter müssen aufgeben, weil sie mit den Europäern und den Deutschen nicht mithalten können. Gentechnisch verändertes Soja für unser Tierfutter kommt aus Brasilien, Argentinien und Paraguay. Die deutsche Landwirtschaft wollte immer Weltmarktfähigkeit erreichen. Wir Grüne wollen seit jeher eine regionale Wirtschaft, die aus der Region für die Region produziert. Wenn die Landwirte sich jetzt anders aufstellen wollen, haben sie uns sofort als Verbündete. Aber dann brauchen wir auch eine andere Landwirtschaft.

Die Grünen wollen innerhalb von 20 Jahren aus der Massentierhaltung aussteigen. Wäre das auch für Sie eine positive Vision?

Andresen: Was ist Masse? Ich finde es besser, wenn wir über Intensiv-Tierhaltung sprechen. Letztlich geht es darum, wie ein Tier gehalten wird, und das ist keine Frage der Größe. Ich kenne sehr, sehr große Betriebe, die eine hervorragende Tierhaltung haben mit neuen Ställen, die nach den neuesten Anforderungen gebaut sind. Und ich kenne kleine Höfe, etwa in Bayern, wo die Kühe die ganze Zeit angebunden im Stall stehen. Das ist doch nicht besser, sondern schlechter.

Was haben Sie für einen Hof?

Andresen: Ich betreibe Ackerbau und mäste Schweine, ich habe ungefähr 2500 Tiere.

Wie halten Sie die?

Andresen: Ganz konventionell, in Boxen.

Würden Sie bei Ihren eigenen Schweinen von Intensivtierhaltung sprechen?

Andresen: Die Größe sagt nichts aus. Es ist entscheidend, wie viel Land hinter der Tierhaltung steckt. Und wie gut die Tiere betreut werden. Das sieht man daran, wie viele Ferkel geboren werden oder wie viele Liter Milch eine Kuh gibt.

Versprühen Sie die Gülle Ihrer Tiere komplett auf Ihrem Land oder bleibt was übrig?

Andresen: Ich nutze sie komplett. Das wird auch kontrolliert. Wir machen eine Düngebilanz und werden regelmäßig überprüft. Wir sind QS zertifiziert. Wir haben einen relativ hohen Standard, was die Rahmenbedingungen angeht. Nur wenn dieser Standard immer weiter angehoben wird, können wir nicht mithalten, dann haben wir keine Zukunft mehr. Mein Sohn ist 18, er macht gerade Abitur, spricht fließend Französisch und Englisch.

Der will nicht mehr Schweinebauer werden?

Andresen: Ich habe den Traum, dass er eines Tages mal diesen schönen Beruf ergreift. Aber ich glaube, er wird es nicht tun. Er wird Wirtschaftsjurist. Wir sind auf unserem Hof jetzt in der vierten Generation. Ich glaube, die fünfte Generation wird es nicht mehr geben.

Woran liegt das?

Andresen: Wir können nicht mehr investieren, weil sich das angesichts der niedrigen Lebensmittelpreise nicht lohnt. Und dann kann man natürlich auch nichts für den Tierschutz tun. In meiner Gemeinde gab es vor 20 Jahren noch 20 Betriebe, aktuell sind es noch vier. Unter diesen vier Betrieben ist nur einer, in dem der Sohn noch Landwirtschaft lernt. Vor über 100 Jahren gab es eine Bauernbefreiung, da haben sich viele Bauern das Land von den Adeligen zurückgeholt. Heute sind wir auf dem entgegensetzten Weg. Stiftungen und Privatpersonen kaufen Land. Die Tierhaltung wird beendet. Dagegen wehren wir uns.

Hofreiter: Einer der Gründe, warum die Höfe verschwinden, ist, dass sie immer größer und effizienter werden müssen. Da können kleine Betriebe nicht mithalten. Aber schauen Sie sich doch die Schweineproduktion mal an. Bei den jetzigen Produktionsbedingungen müssen die Tierhalter den Schweinen die Ringelschwänze kupieren. Warum? Weil sie sich sonst die Schwänze gegenseitig abbeißen. Dabei verlangt unser Tierschutzrecht, dass sich nicht die Tiere an die Haltungsbedingungen anpassen müssen, sondern die Haltungsbedingungen zu den Tieren passen müssen. In der Schweinehaltung ist das aber nicht so. Deshalb müssen wir die Gesetze zur Tierhaltung verändern. Und natürlich muss die Politik dann auch Geld reinstecken und die Bauern beim Umbau der Ställe unterstützen.

Der Schleswig-Holsteiner Dirk Andresen sucht den Dialog
Der Schleswig-Holsteiner Dirk Andresen sucht den Dialog
© Stefan Weger/Tagesspiegel

Muss man die Agrarsubventionen anders verteilen?

Hofreiter: Ja. Die Agrarwirtschaft bekommen jedes Jahr über sechs Milliarden Euro Steuergeld. Diese Milliarden werden überwiegend dafür ausgegeben, einfach Fläche zu prämieren. Wenn man sich darauf einigen könnte, das Geld für den Klima- und Umweltschutz auszugeben, wäre viel gewonnen. Landwirtschaft kann zur Klimakrise beitragen. Sie kann aber auch etwas gegen die Klimakrise tun, indem sie CO2 im Boden bindet. Wir müssen das Geld für mehr Klimaschutz ausgeben und für vernünftigen Vertrags-Naturschutz mit weniger Bürokratie und länger laufenden Verträgen. Und wir brauchen Geld für eine bessere Tierhaltung. Das ist unser Konzept. Bis jetzt haben wir dafür keine Mehrheiten. Ich fände es schön, wenn nicht nur die Biobauern, sondern auch die konventionelle Branche in Zukunft Druck ausüben würde, dass das Geld aus der Agrarförderung etwa in eine bessere Tierhaltung fließt.

Andresen: Wir Bauern können alles umsetzen, wenn wir das finanziert bekommen. Von den derzeit gezahlten Agrarprämien profitieren aber doch nicht nur die Bauern, sondern auch die Verpächter und die Verbraucher, die letztlich günstige Lebensmittel bekommen. Die 50 größten Subventionsempfänger sind überhaupt keine Landwirte, dafür ist der Naturschutzbund dabei. Wenn man die Prämien auf den einzelnen Steuerzahlerhaushalt umlegt, sind das 50 Euro pro Haushalt im Jahr. Der Rundfunkbeitrag kostet 210 Euro im Jahr. Wenn wir ökologischer produzieren sollen, muss das bepreist werden. Ich brauche eine Perspektive für meinen Betrieb.

Herr Andresen, eigentlich sollte die betäubungslose Kastration von Ferkeln schon längst verboten sein. Die Praxis ist aber noch einmal verlängert worden. Was geht in den Bauern vor, die das tun? Ist Ihnen egal, was mit dem Ferkel passiert?

Hofreiter: In dem Fall muss ich mal die Bauern verteidigen. Die Schuld liegt beim Bundeslandwirtschaftsministerium. Das hat die Alternativlösungen, die es gibt, auf die lange Bank geschoben. Und jetzt verschieben sie es wieder. Klar ist: Die betäubungslose Kastration muss aus Tierschutzgründen beendet werden.

Andresen: Ich nehme an, Herr Hofreiter hat schon mal ein Ferkel kastriert.

Hofreiter: Nein.

Andresen: Nun gut. Dann sage ich Ihnen mal, wie das geht. Sie nehmen das Ferkel von der Sau weg. Es dauert geschätzt 30 Sekunden, dann ist das Ferkel kastriert, mit Skalpell und betäubungslos, dann setzen Sie das Ferkel wieder an die Sau. So ist das Standard in Deutschland. Das Ferkel geht sofort wieder ans Gesäuge. Das liegt nicht komatös in der Ecke.

Und warum geht das nicht mit Betäubung?

Andresen: Künftig soll die Kastration nur noch mit Vollnarkose gehen. Dazu braucht man Gas und eine Atemmaske. Versuchen Sie mal, die Menge Gas so einzustellen, dass es die richtige Dosis für ein Ferkel von einem Kilo Gewicht hat. Das ist schwierig. Dann fehlt es oft an Personal, das für die Vollnarkose ausgebildet ist. Größere Betriebe können das vielleicht, aber kleine nicht. Die Apparatur kostet 11.000 Euro, die müssen ja auch irgendwo herkommen. Wir stehen im internationalen Wettbewerb. In Dänemark oder in Holland reicht es, die Schmerzen zu betäuben. Da wird eine Spritze gesetzt, die kostet fünf Euro pro Ferkel. Mit der Vollnarkose sind wir weg vom Markt, dann werden die dänischen Ferkel gekauft. Die Betriebe hören auf, das ist das Resultat. Ich weiß auch nicht, wie ich es besser machen soll. Das ist genauso mit den Ringelschwänzen. Im Buchtensystem mit Vollspalten lässt sich das nicht anders machen. Wir haben alles probiert. Mit Stroh zum Wühlen, Seilen aus Hanf oder was auch immer, die Ferkel haben sich in den Schwanz gebissen. Das gibt Schwanz-Entzündungen, das geht ins Rückenmark, Ausfall. Man könnte ganz auf Stroh-Haltung umstellen, aber der Aufwand ist höher. Und solange Verbraucher nur zehn Prozent des Einkommens für Lebensmittel ausgeben, klappt das nicht.

Hofreiter: Natürlich muss der Verbraucher mitmachen. Aber dazu muss man ihn auch ehrlich informieren. Im Moment haben wir einen Siegel-Urwald, den keiner versteht. Und eine Markenpolitik, die an Verbrauchertäuschung grenzt. Da gibt es zum Beispiel das Hofgut Drei Eichen, das Discounter beliefert. Das schaut auf dem Etikett super aus, ein bäuerlicher Betrieb, Fachwerkhäuschen, drei Eichen im Hintergrund. Doch dieses idyllische Hofgut gibt es gar nicht, das ist nur eine Marke. Dahinter steckt Fleisch aus großen Fleischfabriken.

Ändern Verbraucher wirklich ihr Kaufverhalten, wenn Lebensmittel anders gekennzeichnet werden?

Hofreiter: Davon bin ich überzeugt. Bei den Eiern gibt es eine klare Kennzeichnung, die hat Renate Künast vor 15 Jahren eingeführt. Drei, zwei, eins, null, das ist ganz einfach. Die Folge ist, dass es in den Supermärkten inzwischen keine Käfigeier mehr gibt. Wir wollen das auf alle tierischen Produkte übertragen und auch auf verarbeitete Produkte. Dann werden auch keine Käfigeier mehr für die Nudelproduktion importiert.

Wie kann eine solche Kennzeichnung aussehen?

Hofreiter: Im Prinzip genauso wie bei den Eiern. Drei wäre gesetzlicher Mindeststandard, zwei, die Tiere haben mehr Platz im Stall, eins, die Tiere dürfen ins Freie, null, bio. Im Moment gibt es bei allen tierischen Produkten nur die Unterscheidung zwischen bio und konventionell. Dabei haben wir auch zwischen den konventionellen Betrieben riesige Unterschiede. Einige halten ihre Schweine komplett auf Stroh, andere nicht. Manche konventionellen Betriebe halten ihre Tiere auch im Freien. Man sieht den Tieren direkt an, wie sie gehalten werden, da sie anders agieren und interagieren.

Im Supermarkt gibt es aber schon heute die Fleisch-Kennzeichnung der Initiative Tierwohl. Viele Leute kaufen trotzdem das billigere Schnitzel.

Hofreiter: Meine Erfahrung ist, dass die Leute kein Vertrauen in die privaten Labels haben. Mit den Eiern haben wir ein Positivbeispiel. Deshalb muss eine Kennzeichnung staatlich gestützt, transparent, einfach und vor allem verpflichtend sein.

Andresen: Ich habe nichts dagegen. Wenn der Verbraucher mehr Geld ausgeben will, bedienen wir diesen Markt gerne. Aber die Erfahrungen aus Dänemark zeigen, dass die Leute eben nicht das Fleisch mit Tierwohl-Label kaufen. Die Produkte fliegen aus dem Handel raus. Ein Freund von mir leitet einen Discountmarkt in Deutschland. Der sagt, wenn das Hackfleisch 50 Cent günstiger ist, wird es gekauft. Montags gibt es die Preisrallye mit den Angeboten von Aldi und Lidl, die anderen passen dann ihre Preise an.

Das Problem sind also die Einzelhändler?

Andresen: Wenn die Preise gedrückt werden, ist das ein Problem für uns Produzenten. Aber Preisdumping kann man leider nicht verbieten.

Hofreiter: Selbstverständlich kann man da auch gesetzgeberisch etwas machen. Die Marktsituation ist besonders: viele Produzenten, wenige Nachfrager, de facto nur vier Einzelhandelsketten, sehr viele Konsumenten. Da funktioniert das klassische Kartellrecht nicht. Man könnte es aber so ändern, dass die Landwirte sich zusammenschließen dürfen, um Preise unter Erzeugerniveau zu verhindern. Wir wollen außerdem prüfen, ob Dumpingpreise – also der Verkauf von Lebensmitteln unter dem Erzeugerpreis – auch verboten werden können. Wenn es dafür Unterstützung der Bauern gibt, freuen wir uns sehr.

Essen Sie selbst noch Fleisch aus dem Supermarkt?

Hofreiter: Ich esse Biofleisch. In manchen Gaststätten kann ich aber natürlich nicht 100 Prozent sicher sein, ob es bio ist.

Herr Andresen, essen Sie Lebensmittel, von denen Sie nicht wissen, woher die kommen?

Andresen: Das lässt sich nicht vermeiden. Ich war aber auch schon bei Grünen-Veranstaltungen, bei denen es konventionelles Essen gab.

Hofreiter: Bei uns in der Bundestagsfraktion setzen wir auf bio und regionale Produkte.

Andresen: In Kiel im Landeshaus gab es bei den Grünen normale Pizza, die habe ich ausgegeben bekommen.

Hofreiter: Bei unseren Veranstaltungen im Bundestag achten wir darauf.

Andresen: Das mag sein. Im Bundestag ist alles anders.

Spielt denn die Herkunft der Lebensmittel eine Rolle bei Ihrer Kaufentscheidung, Herr Andresen?

Andresen: Es muss mir schmecken. Und die Lebensmittel sollten, wenn möglich, aus Deutschland kommen.

Hofreiter: Ich habe nichts gegen französischen Käse.

Andresen: Mein Bruder lebt in Frankreich. Ich darf deshalb auch nichts gegen französische Lebensmittel sagen.

Herr Hofreiter, wenn Sie Herrn Andresens Sohn einen Rat geben sollten, was würden Sie ihm empfehlen: den Hof übernehmen oder an die Uni gehen?

Hofreiter: Ich würde ihm raten, das zu machen, wozu er Lust hat. Ich persönlich glaube, Bauer kann ein spannender, toller Beruf sein. Wir müssen nur wieder bessere Bedingungen schaffen. Einerseits indem wir dafür sorgen, dass die Bauern faire Preise für ihre Produkte bekommen. Aber auch durch eine andere Landwirtschaftspolitik, die Tierschutz und Artenschutz fördert. Auch die Landwirte haben doch keine Lust, die Buhmänner zu sein.

Sie raten dem Sohn also nicht davon ab, Bauer zu werden? Er soll nur grün wählen?

Hofreiter: Ich freue mich natürlich über jeden Grünen-Wähler. Wichtig ist, auf alle Fälle demokratisch zu wählen. Im Bundestag sind inzwischen zu viele Rechtsradikale.

Andresen: Wir müssen mit unserer Bewegung erfolgreich sein. Wenn es uns nicht gelingt, gemeinsam einen Gesellschaftsvertrag zu entwickeln, dann wird genau das passieren, was Herr Hofreiter gerade beschrieben hat. Die rechte Fraktion wird stärker, auch ein Teil der Bauern wird sich dann radikalisieren. Dann haben wir ein großes Problem, das wir auch an diesem Tisch nicht mehr werden lösen können.

Cordula Eubel, Heike Jahberg

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