Wegweisendes BGH-Urteil: Wie viel darf in der Wohnung geraucht werden?
Lange galt: In den eigenen vier Wänden darf nach Belieben geraucht werden. Doch es deutet sich eine Trendwende an. Am Mittwoch entscheidet der BGH über Deutschlands berühmtesten Kettenraucher.
Aschermittwoch, danach sieht es derzeit aus, wird für Friedhelm Adolfs ein Tag der Niederlage. Durch alle Instanzen hat sich Deutschlands berühmtester Kettenraucher geklagt, nachdem ihm 2013 die Wohnung gekündigt worden war. Seine Nachbarn hatten sich jahrelang über den starken Gestank beschwert, der beim Lüften aus seiner Wohnungstür drang. Jetzt liegt der Fall beim Bundesgerichtshof (BGH). Entscheidet dieser am Mittwoch, dass die Kündigung rechtens war, werden das auch viele andere Raucher als Niederlage begreifen.
Denn aus Hotels, Restaurants, Zügen und U-Bahnhöfen wurde die Zigarette schon verbannt. Doch die Wohnung, das war bislang noch ein Ort, an dem jeder ungestört und beliebig viel rauchen durfte. Auch hier deutet sich aber eine Wende in der Rechtsprechung an. „Der Trend geht in Richtung mehr Rauchfreiheit“, sagt der Kölner Anwalt und Mietrechtsexperte Norbert Schönleber. Das hatte sich schon in einer BGH-Entscheidung von Mitte Januar gezeigt. In dem Verfahren ging es um einen Nachbarschaftsstreit: Ein Ehepaar hatte sich massiv dadurch gestört gefühlt, dass die Mieter auf dem Balkon unter ihnen mehrere Zigaretten am Tag rauchten und sie selbst ihren Balkon nicht mehr in vollem Umfang nutzen konnten. Der BGH urteilte nun, dass unter Umständen feste Rauchzeiten auf dem Balkon eingerichtet werden müssten – wenn das Rauchen eine erhebliche Belastung für die Nachbarn darstellt.
Und so gibt es wohl kaum einen Konflikt in Deutschland, der derart leidenschaftlich ausgefochten wird wie der zwischen Nicht-Rauchern und Rauchern. Die einen pochen auf ihre Gesundheit, die anderen auf ihre Freiheit. Das sorgt für dicke Luft, auch zwischen Nachbarn.
Was Raucher in der Wohnung dürfen
Noch gilt allerdings, dass in der Wohnung gequalmt werden darf. Juristen wie Schönleber sagen: „Das Rauchen gehört weiterhin zum normalen Mietgebrauch.“ Das kann auch nicht durch eine Rauchfrei-Klausel im Mietvertrag ausgeschlossen werden – zumindest nicht in einem Formularmietvertrag. „Fraglich ist, ob das per individuell ausgearbeiteter Klausel gehen würde“, erklärt Ulrich Ropertz, Geschäftsführer beim Deutschen Mieterbund.
So etwas plant zur Zeit der Verein Pro Nichtraucher. Er will gemeinsam mit einer Wohngenossenschaft in Halle eine komplett rauchfreie Wohnanlage mit 33 Appartements errichten. „Der Grundstein ist gelegt, wir haben dreimal mehr Interessenten als Wohnungen im Angebot“, sagt Pro-Nichtraucher-Vorstand Siegfried Ermer. Per individueller Vereinbarung soll jeder Mieter zusichern, dass in der Wohnung nicht geraucht wird – das gilt dann auch für Gäste. „Wird dagegen verstoßen, droht im Wiederholungsfall die Kündigung.“ Das auch vor Gericht durchzusetzen, könnte allerdings schwierig werden – auch wenn Ermer betont, dass die Vereinbarung rechtlich Bestand hat. Er ist sich sicher, dass es für die Modellanlage einen hohen Bedarf gibt. Das macht er auch daran fest, dass ihn fast täglich Beschwerden von Menschen erreichen, die sich von ihren rauchenden Nachbarn gestört fühlen.
Was für den Balkon gilt
Besonders häufig gibt es Streit um das Rauchen auf dem Balkon. Die jüngste BGH-Entscheidung dazu lässt einiges offen – denn der Fall wurde zurückverwiesen ans Landgericht, wo individuell geklärt werden soll, ob die Belästigung durch den Tabakrauch gravierend oder gesundheitsschädigend für die Mieter ist. „Gerade was die Geruchsbelästigung betrifft, lässt sich das schwer feststellen. Es macht wohl die Menge der Zigaretten – aber soll man dann anfangen, die Kippen zu zählen?“, fragt Ropertz. Ebenfalls unklar ist, wann ein zeitweiliges Rauchverbot beziehungsweise rauchfreie Zeiten stattfinden sollten. Den Nachbarn nützt es wenig, wenn die rauchfreie Zeit mit ihren Arbeitszeiten zusammenfällt. Der BGH hat auch das bewusst offengelassen. Daher ist durchaus denkbar, dass die Rauchfrage ähnlich gehandhabt werden könnte wie das Musizieren in der Wohnung, für das es auch feste Zeiten gibt.
Wie Raucher für Schäden haften
Eindeutiger ist die Rechtslage bislang, was Schäden betrifft, die durch das Rauchen in der Wohnung entstehen. Dass beim Rauchen vergilbte Tapeten oder andere Spuren zurückbleiben, muss der Vermieter nämlich hinnehmen. Zumindest wenn die Schäden mit normalen Renovierungsarbeiten wie Streichen oder Tapezieren beseitigt werden können. So hat es der BGH vor einiger Zeit in einem recht raucherfreundlichen Urteil festgelegt.
Schadensersatz darf der Vermieter von seinem rauchenden Mieter nur verlangen, wenn er die Wohnung einer Sonderbehandlung unterziehen muss, also wenn sich etwa hartnäckige Rückstände in einer Vertäfelung oder im Putz festgesetzt haben, die man nicht beschädigungsfrei entfernen kann. „Solche Substanzschäden sind aber relativ schwer zu produzieren. Da müsste man schon mehr als Kette rauchen“, sagt Mietrechtsexperte Schönleber. Deshalb bleiben die Vermieter häufig auf den Renovierungskosten sitzen. „Der Mieter kann sich entspannt zurücklehnen“, kritisiert Schönleber. Er will aber auch nicht ausschließen, dass sich auch hieran in Zukunft etwas ändern könnte.
Was Eigentümer beachten müssen
Wer in seiner eigenen Wohnung oder im Eigenheim raucht, muss sich darum keine Sorgen machen. „Hier kommen eher die nachbarschaftsrechtlichen Fragen auf den Tisch, wenn der Nachbar in der Doppelhaushälfte ständig auf der Terrasse raucht“, erklärt Inka-Marie Storm vom Eigentümerverband Haus und Grund. Die Problematik sei ähnlich wie bei der Balkon-Entscheidung des BGH. Nicht-Raucher-Lobbyist Ermer weiß zudem von einem Streit zwischen zwei benachbarten Reihenhausbesitzern zu berichten. Da seien die Decken nicht richtig abgedichtet worden, sodass der Rauch eines Nachbarn sich immer in der anderen Haushälfte verteilte.
Ermer ist dafür, dass Eigentümer von Mietshäusern neue Mieter vor dem Einzug fragen, ob sie rauchen oder nicht – dann könnten sie dem Nichtraucher eher einen Platz in den unteren Etagen zuweisen. Sie würden in der Folge nicht von hochziehendem Qualm belästigt. So etwas könnte auch im Interesse der Eigentümer sein. „Denn wenn die Wohnung durch aufsteigenden Rauch nicht mehr so genutzt werden kann, wie es vertraglich vereinbart war, dann dürfen Bewohner die Miete mindern“, sagt Storm.
Was am Mittwoch zu erwarten ist
Mietrechtsexperten gehen davon aus, dass der BGH am Mittwoch gegen Kettenraucher Adolfs entscheiden wird. Das hat einen einfachen, prozessualen Grund: „Adolfs hat immer damit argumentiert, dass er in seiner eigenen Wohnung rauchen darf. Er hat aber versäumt, zu bestreiten, dass er damit die anderen unzumutbar beeinträchtigt hat“, erklärt Anwalt Schönleber. In einem Zivilprozess sei das damit ein „unstreitiger Tatbestand“, auf dessen Grundlage das Gericht am Ende entscheidet. Diese – etwas verunglückte – Sachlage spielt nun all jenen in die Hände, die sich durch ihre rauchenden Nachbarn gestört fühlen. Am Ende könnte die Botschaft des BGH lauten: Ein extremes Rauchverhalten in der Wohnung ist unzulässig und kann sogar zur Kündigung führen – zumindest wenn andere dadurch unzumutbar belästigt werden. Oder anders: Rauchen in der Wohnung ist erlaubt – aber nur in Maßen.
So oder so wird sich der Ton unter Nachbarn im Bezug auf das Rauchen in Zukunft nur noch verschärfen. Wer dem entgehen will, dem bleibt noch der Griff zur E-Zigarette. Die riecht kaum – und ist auch nicht verboten.
Wenn Sie wissen wollen, was sonst in der Wohnung erlaubt und verboten ist, können Sie hier nachlesen.
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