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Moderne Traktoren haben GPS-Sender und andere Hightech bereits an Bord. Bei der Vernetzung und Auswertung gibt es aber noch viel Potenzial.
© picture alliance / dpa

Raus aufs Feld: Wie Start-ups die Landwirtschaft verändern

Die Grüne Woche ist die Leistungsschau der Landwirtschaft. Doch professionelle Höfe haben oft eine Verwaltung von gestern: Ein Start-up aus Berlin will das ändern. Die Konkurrenz betrachtet das mit Argwohn.

Kein Acker weit und breit. Wenn Miro Wilms seine Kunden besuchen will, muss er raus aus der Stadt. Von seinem Bürofenster reicht der Blick gerade mal bis zum Alten Stadthaus in Berlin-Mitte. Und statt Landluft schlagen dem Besucher in den Räumen des Berliner Start-ups Trecker.com die Ausdünstungen des ehemaligen DDR-Verwaltungsbaus entgegen. „Wir haben überhaupt keinen Hintergrund in der Landwirtschaft“, sagt Wilms. Genau darin sehen er und Benedikt Voit als sein Mitgründer ihre Chance. Mit ihrer Software, die sie in der Klosterstraße entwickeln, wollen sie Bauern ins digitale Zeitalter katapultieren.

Als die beiden auf der Suche nach einer Idee für ein Start-up waren, gab ein Kumpel aus dem Landwirtschaftsministerium ihnen den entscheidenden Anstoß. Zwar erfassen auf den Äckern der Republik längst Traktoren mit Sensortechnik ihre nähere Umgebung. Mähdrescher senden ihre Position metergenau mit GPS-Technologie. In den Büros aber gehe es teilweise zu wie in den 1960er Jahren.

Das Zettelchaos als Geburtsstunde

Das wollten sich die beiden selbst anschauen – und machten ein Praktikum auf dem Bauernhof. „Mitten in der Maisernte saßen wir dort im Büro, und alles war voller Zettel“, erinnert sich Voigt. Wie lange war die Maschine im Einsatz, wie lange die andere, wie viel Sprit haben sie verbraucht, wie lange waren die Arbeitskräfte draußen? Die Antworten auf all diese Fragen standen auf Papier, handschriftlich, teils unleserlich. „Die Betriebe, in denen wir hospitiert haben, waren professionell – aber in der Verwaltung ein bisschen von gestern“, sagt Wilms.

Das war 2012 und das Zettelchaos die Geburtsstunde von Trecker.com. Wilms, der Betriebswirt, und Voigt, der Programmierer, kehrten zurück in ihr kleines Büro in der Humboldt-Uni und fingen an zu tüfteln. „Es gab natürlich schon Software für Landwirte, aber niemand hatte sie je gefragt, was sie denn speziell für ihre Zwecke brauchten“, sagt Voigt. Das sollte sich ändern. Immer wieder suchten sie Kontakt zu den Landwirten, entwickelten mit ihnen zusammen vernetzte Lösungen zwischen Feld und Verwaltung.

Teure Maschinen werden besser ausgelastet

„Früher haben unsere Mitarbeiter alles auf Zettel geschrieben und in Excel-Tabellen eingegeben“, sagt Andreas Osters. „Heute bekommen wir die Daten zu Einsatzzeiten und -orten in Echtzeit übermittelt.“ Osters ist Geschäftsführer von Osters & Voß, das als Lohnunternehmen große Landmaschinen und das Personal, das sie bedienen kann, an Landwirte ausleiht. Für einzelne Höfe lohnt sich die Anschaffung nämlich nicht. „Ein Beispiel: Die Getreideernte dauert nur 18 Tage. Das heißt, die teuren Maschinen sind nur wenige Tage im Jahr im Einsatz“, sagt Osters.

Doch auch für Großbetriebe ist Zeit Geld. Und wer rund 750 Traktoren, Mähdrescher, Lkws, Hänger und andere Feldfahrzeuge koordinieren muss, weiß es zu schätzen, wenn er dabei auf Zettelwirtschaft verzichten kann. „Wir konnten unseren Umsatz in den letzten drei Jahren um etwa 50 Prozent erhöhen, ohne die Verwaltung entsprechend aufzustocken“, sagt Osters. „Das wäre ohne die Software sicherlich nicht zu leisten gewesen.“ Den Ruhm will der gestandene den beiden Jungunternehmern aber nicht allein überlassen. „Die Gedanken und die jahrzehntelange Praxis, die in der Software stecken, sind von uns“, betont er. „Trecker.com sind die Konstrukteure.“

"Landwirte sind sehr misstrauisch"

Und vielleicht sind sie noch ein bisschen mehr. Mit der Software, die auch Osters verwendet, könnten Voigt und Wilms maximal 4000 Lohnunternehmer hierzulande erreichen. Die insgesamt 280 000 landwirtschaftlichen Betriebe sind aber ein so viel größeres Potenzial, dass Trecker.com für sie inzwischen ein Farmmanagementsystem entwickelt hat. Wie war die letzte Ernte? Auf welchen Flächen ist der Hof profitabel? „Wenn eine Fläche nicht profitabel ist, kann das unterschiedliche Ursachen haben“, sagt Wilms. Das Feld könnte zu weit entfernt liegen, das Saatgut zu teuer sein, die Menge an Dünger zu hoch. All das lasse sich mit der Software herausfinden. „Wir erfinden das Rad nicht neu, aber durch die Vernetzung unterschiedlicher Faktoren können die Landwirte viel präziser arbeiten.“ Fünf Prozent mehr Gewinn seien für die Landwirte schon drin, behaupten die beiden Jungunternehmer.

Eine niedrige dreistellige Zahl von Kunden haben sie davon bereits überzeugt. Keine leichte Aufgabe. „Landwirte sind sehr misstrauisch“, hat Voigt erfahren müssen. Zum Beispiel, was ihre Daten angeht. Die seien aber sicher auf Servern in Deutschland gelagert und mehrfach gespiegelt, betonen die beiden.

Ärger mit der Konkurrenz

Für die Software zahlen Landwirte und Lohnunternehmen Lizenzgebühren. Darüber komme so viel zusammen, dass Trecker.com profitabel arbeiten könnte. Eine eher theoretische Rechnung. Denn wie in der Szene üblich, haben sich die Berliner inzwischen Sponsoren an Bord geholt, um schneller wachsen zu können. Und Wachstum kostet Geld. Gut zwei Millionen Euro haben sie vom Münchener Finanzierer Target Partners eingesammelt. Investoren wollen Ergebnisse: Binnen eines Jahres sei die Zahl der Mitarbeiter von fünf auf derzeit 45 gewachsen, berichtet Wilms. Ihr kleines Büro von damals würde locker in den neuen Meeting-Raum passen, in dem sie gerade sitzen. „Wir sitzen in Berlin wahrscheinlich am besten Standort weltweit.“ Deutschland sei in der Landtechnik führend und die Betriebe in Ostdeutschland groß und professionell. „Gleichzeitig findet man in Berlin die besten Entwickler – wir haben zehn von ihnen.“

Doch nicht nur Investoren sind auf das Start-up aufmerksam geworden. Auf der Agritechnica, neben der Grünen Woche eine der größten Landwirtschaftsmessen, fingen sich die Berliner eine Abmahnung von 365Farmnet ein. Der direkte Konkurrent sitzt in Berlin nur ein paar Straßen weiter am Hausvogteiplatz und ist ein Ableger des Landmaschinenherstellers Claas. Der Trecker-Slogan „Die einfachste Software der Landwirtschaft“ forderte 365Farmnet heraus – Superlative seien nicht zulässig. Dass es tatsächlich zur Abmahnung kam, sei aber ein Versehen gewesen, sagt 365-Sprecherin Katrin Polenz. Ein übereifriger Mitarbeiter sei vorgeprescht. „Wir sind für gesunden Wettbewerb.“

Eine Frage der Abhängigkeit

In den Augen von Voigt und Wilms sitzen die wahren Konkurrenten ohnehin dort, wo die Möglichkeiten unbegrenzt sind. Agrar-Start-ups wie Farmlogs oder Granular sammeln im kalifornischen Silicon Valley derzeit zweistellige Millionenbeträge ein. Zu den Investoren gehört unter anderem Google.

Hierzulande buhlen neben 365Farmnet unter anderem der Agrarhändler Baywa und der US-Landmaschinenhersteller John Deere um Bauern mit einem Sinn für Smart Farming. Trecker.com setzt dabei auch auf die sprichwörtliche Sturheit der Landwirte. Einmal überzeugt, würden die nicht so schnell wechseln. Die Rechnung könnte aufgehen. „Die Maschinenhersteller setzen auf Abhängigkeit durch ihre Software-Lösungen“, sagt Lohnunternehmer Osters. „Wir ziehen die Abhängigkeit von Trecker.com vor, da bleibt uns die freie Auswahl bei den Maschinen.“

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