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Drohne überm Feld. Der Präsident der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG), Carl-Albrecht Bartmer, meint, der Datenschutz sei eher "in Städten ein hochsensibles Thema".
© dpa

Schöne neue Landwirtschaft: Automatisch bis in die letzte Furche

Satellitennavigation und Roboter sind auf dem Feld und im Stall schon Alltag. Nun folgt mit dem "Smart Farming" der nächste Schritt.

David Tinker aus Cranfield, England, steht auf einem Feld in Bernburg, Sachsen-Anhalt, mit dem Rücken zur Gegenwart. Da rummelt die internationale Pflanzenbaumesse vor sich hin: Über Lautsprecher kommentiert ein Bayer Traktorvorführungen, Brauer lassen Bier verkosten, der Produzent eines Schneckenschreckmittels präsentiert eine Flugshow mit Weißkopfseeadlern. Monsanto, Bayer und Dow Chemical werben auf ihren von Weizenbeeten gesäumten Pavillons für Saatgut und Pestizide.

Vor den Augen des schlanken Mannes mit halbgrauem Vollbart und Brille aber, am äußersten Rand des Messegeländes, liegt die Zukunft. Dabei sollte sie eigentlich rollen: Agro-Bot, Helios und Tractacus, von Studenten zusammengeschraubte und programmierte Roboter, kämpfen hier um jeden Meter, haben aber immer wieder Aussetzer, kommen vom Weg ab und müssen dann von Hand wieder in die Spur gebracht werden. Die nicht einmal kniehohen Fahrzeuge, alle nur um die 30 Kilo schwer und bestückt mit Kameras, Laser-Sensoren und elektronischen Wasserwagen, sollen – vollautomatisch versteht sich – durch ein Feld mit geschwungenen Furchen rollen, ohne die Pflänzchen rechts und links umzureißen. Und das ist noch die einfache Übung. Später liegen Golfbälle im Feld, um Hindernisse zu simulieren. Die sollen die Roboter erkennen, wegräumen – oder umkehren. Und dann sollen sie auch noch miteinander „sprechen“, Daten austauschen, über W-Lan zum Beispiel.

Prüfer in gelben Westen, mit Klemmbrett und Kuli bewaffnet, notieren jeden Austritt der Maschinen bei dieser 12. Internationalen Feld-Roboter-Meisterschaft, die vor gut einer Woche in Bernburg ausgetragen wurde. Dazu waren 23 Studenten-Teams aus zehn Ländern angereist, fast ausschließlich männliche Agrar-Ingenieure, unter anderem aus Dänemark, Finnland und der Türkei. Der Brite David Tinker bleibt gelassen, als ein Roboter der TU Kaiserslautern gegen das Absperrgitter knallt.

Er ist Präsident der Europäischen Gesellschaft der Agrar-Ingenieure (EurAgEng). Seine Organisation sponsort den Wettbewerb mit ein paar Euro – Bayer, Bosch und der weltgrößte Traktorhersteller John Deere aus den USA sind mit ein paar paar Tausend am Start. „Wir haben keine Eile“, behauptet Tinker. Um die Jahrtausendwende, als Satellitennavigation für Traktoren und die Melkroboter Einzug in die Landwirtschaft hielten, hätten viele Hersteller den Landwirten unausgereifte Technik angedreht. Die Bauern hätten entsprechend viel Geld investiert – und verloren. Die Kosten waren höher als die Ertragssteigerungen. Das habe dem Glauben an den Fortschritt geschadet. „Plötzlich kein Geld mehr da. Auch mein Institut für Landwirtschaft wurde irgendwann geschlossen“, berichtet Tinker.

"Precision Farming", das Zauberwort der Forschung

Also: zurück zur Forschung. „Precision Farming“, „Präzisionslandwirtschaft“, ist deshalb seit 15 Jahren Reiz- und Zauberwort zugleich. Unter dem englischen Begriff lassen Unternehmen wie Fendt, New Holland und John Deere auch auf der Landwirtschaftsmesse in Bernburg ihre Zehntonner über eng abgesteckte Stoppelfelderstrecken rollen. Sensoren zeichnen die Bewegungen auf und übertragen die Daten fürs Public Viewing live auf eine Großleinwand. So können die Messebesucher in Echtzeit verfolgen, wie viele Zentimeter der Traktor bei der Feldfahrt aus der Spur gerät: Grün bedeuten rund drei bis fünf Zentimeter Abweichung, Gelb sind zehn und mehr. Bei Rot wird's peinlich. 72-Kanal-GPS-Empfänger im Kabinendach, Touchpad am Steuerrad, digitale Streckenaufzeichnung und Hardwareschnittstellen für den Datenaustausch, etwa über ausgebrachte Düngemittelmengen – das ist heute schon Standard auf einem moderneren Großbetrieb hierzulande. Neuere Bordcomputer können auch Bewegungen der Zugmaschine herausrechnen und Befehle an die Hydraulik eines angehängten Pfluges geben, damit diese gegensteuert, und so trotzdem gerade Furchen zieht. Viele Landwirte können heute praktisch freihändig über ihr Feld treckern. Sie sitzen in Robotern.

Eine vom EU-Parlament in Auftrag gegebene Studie, die im März veröffentlicht wurde, dokumentiert den Siegeszug einiger Precision-Farming-Technologien: Demnach ließen sich noch 2004 gerade einmal fünf Prozent der EU-Landwirte Maschinen automatisch mit Hilfe der Satellitennavigation übers Feld führen, 2013 waren es schon mehr als 60 Prozent. Und der Anteil der Landwirte, die Satellitenbilder oder Bilder von Drohnen auswerten, um die Feldbewirtschaftung zu optimieren, stieg allein von 2011 bis 2013 von 30 auf knapp 40 Prozent. Ähnlich läuft es in der Viehwirtschaft. Agrarexperte Tinker schätzt, dass rund 40 Prozent aller Rinder im agrartechnologisch hochgerüsteten Mittel- und Nordeuropa nur noch selten einen Menschen zu Gesicht bekommen: Futtergabe, Melken und Gülleentsorgung erfolgen vollautomatisch. Bald auch die tierärztliche Versorgung?

Der EU-Bericht verweist auf eine Studienreihe, bei der englische Landwirte ihren Rindern Sonden durchs Maul einführen. Diese landen im ersten Kuhmagen, messen dort permanent den PH-Wert und funken diesen an eine Basisstation. Ist der Wert zu niedrig, könnte das auf eine Pansenazidose, eine bei der Rinderhaltung verbreitete Stoffwechselerkrankung, hindeuten. 60 Prozent der Landwirte, die an der Studie teilnahmen, gaben an, dass sie ihren Gewinn durch die Anwendung dieser Technologie steigern konnten. Der Gedanke des beziehungsweise der wirtschaftliche Zwang zum Precision Farming ist in unseren Breiten etabliert. In Japan, wo Landwirte im Schnitt deutlich älter sind als in der EU – 65 statt 54 Jahre – ist der Automatisierungsgrad in dem Sektor allerdings noch höher. Dort kann und muss kaum ein Senior-Bauer noch den Buckel krumm machen.

Neue Geschäftsmodelle

Nun drängen die Ausrüster im Agrarsektor die Landwirte weltweit zum nächsten Schritt: dem „Smart Farming“. Die Begriffswahl dürften sie sich bei den Marketingfachleuten der Mobilfunkindustrie abgeschaut haben. Smart, also intelligent, klingt gut. Welcher Handynutzer will schon ein dummes Telefon, welcher Bauer dumm wirtschaften? Präziser wäre wohl der Begriff „Networked Farming“. Zentrales Kennzeichen dieser Geräte ist nämlich der Grad ihrer Vernetzbarkeit mit anderen Geräten beziehungsweise anderen Nutzern. Denn erst daraus ergeben sich neue Geschäftsmodelle. Smart.

Vor allem aus Sicht externer Dienstleister. Die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG), der Verband der Feldbewirtschafter, sieht in dieser Entwicklung mehr Chancen als Risiken. Er regt an, dass die Bauern noch stärker im Sinne des Precision Farming aufrüsten, um dann Smart Farming betreiben zu können. So propagieren DLG-Vertreter in Bernburg bei einer Pressekonferenz die „Datenrevolution“ auf dem Feld. In Sachsen-Anhalt hört man Begriffe, die sonst eher im Silicon Valley oder in Berlin-Mitte gehandelt werden: "Big Data" zum Beispiel. DLG-Präsident und Landwirt Carl-Albrecht Bartmer schwärmt von Drohnen, also Flugrobotern mit modernster Sensorik, die den Landwirten weitere Daten liefern, um ihm eine exakte Analyse des Bedarfs der Pflanzen zu liefern. „Die Kombination aus Geo-Daten und intelligenten Düngestreu-Geräten sowie Pflanzenschutzspritzen sorgt für eine bedarfsgerechte, zentimetergenaue Applikation von Düngern und Pflanzenschutzmitteln“, erklärt er. Das käme insbesondere dem Gewässerschutz zu gute. Dann bemüht Bartmer eine Bauernweisheit. „Das Auge des Herrn mästet das Vieh.“ Je genauer ein Landwirt sein Feld kennt, desto besser könne er es bewirtschaften. „Auge des Herrn“ verstehen die Funktionäre der DLG also auch wörtlich.

Drohnen-Systeme zur Überwachung

Es geht um den Blick von oben. Drohnen-Systeme zur Überwachung großer Betriebe seien heute für 45000 Euro zu haben, werben sie und spazieren im Anschluss zum Stand der Firma CIS aus Rostock. Die bietet kleine Flugroboter samt Kartierungssoftware sogar schon ab etwa 7000 Euro an. Bei der Vorführung, surrt ein per Fernsteuerung und Windows-PC geführter Miniroboter mit sechs Rotoren in die Luft – und zieht in zehn Metern Höhe über ein Testfeld, dort macht er alle vier Sekunden ein Foto. Die mitgelieferte Software fügt diese am Ende zu einem Gesamtbild zusammen. Das dient zum Beispiel der Biomassekartierung, der Dokumentation von Wasser-, Hagel- oder Wildschäden – und vielleicht auch bald der Vernetzung mit dem Traktor, der das Saatgut, Düngemittel oder Pestizid verteilen soll. Sein Verband sei bereit, jeden Hersteller von Drohnen oder Anbieter entsprechender Dienstleistungen neutral zu prüfen, erklärt DLG-Präsident Bartmer. Was den Datenschutz angeht – der sei eher „in Städten ein hochsensibles Thema“. Man solle die Landwirte auf den Feldern damit erstmal Erfahrungen sammeln lassen und das Thema „jetzt nicht überbürokratisieren“, fordert Bartmer.

Bis die Mehrheit der Landwirtschaftsbetriebe im Sinne von Industrie und Verband smart betreiben werden, dürften noch Jahre vergehen. Die Fahrversuche der kleinen Roboter von Bernburg im Blick verweist Agrarexperte Tinker auf führerlose Personenzüge wie etwa am Flughafen London-Stansted. Aber auf dem Feld? „Ich glaube, das wird es nicht ohne Menschen gehen.“ Erde, Steine, Stroh, Tiere: Irgendwas sei immer im Weg, sagt Tinker. Außerdem wolle niemand einen Trecker treffen, der sich wegen eines Computerfehlers selbstständig mache. „Es sollte immer jemand an Bord dieser Maschinen sein, der sie notfalls einfach abschalten kann.“

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