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Besucherinnen blättern auf der Frankfurter Buchmesse durch Neuerscheinungen.
© Boris Roessler/dpa

Mit Beratung und Instagram: Wie sich kleine Buchhändler gegen Amazon behaupten

Der Onlinehändler will den Buchmarkt dominieren – vom Verlag bis zum Verkauf. Doch manches kann der Konzern den kleinen Läden nicht nehmen.

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Wer den Laden am Columbus Circle in Manhattan betritt, der muss sich erst mal zurechtfinden. Die Regale sind nicht nach Genre sortiert. Stattdessen suchen Kunden nach Kategorien wie im Internet: Romane mit den besten Leserbewertungen; Werke, die jeder gelesen haben sollte. Und will ein Gast wissen, ob ein Buch zu viel Zeit einfordert, bekommt er einen Hinweis zur durchschnittlichen Lesedauer. Für eine klassische Buchhandlung ist die Einrichtung ungewöhnlich, zu ihrem Betreiber passt sie: Amazon.

Der größte Onlinehändler der Welt betreibt mittlerweile 19 Filialen in den USA. Weitere sollen bald folgen, etwa in Nashville, wie das Unternehmen vor wenigen Wochen angekündigt hat. Dass ausgerechnet ein Internetkonzern immer mehr stationäre Buchläden eröffnet, mag zunächst verwundern. Doch es offenbart Amazons großes Ziel: Der Onlinehändler will den gesamten Buchmarkt dominieren – vom Verlag bis zum Verkauf.

Schon heute verdient Amazon einer Studie der Universität St. Gallen zufolge an jedem fünften weltweit verkauften Buch. Der Anteil am Vertrieb von E-Books dürfte noch höher ausfallen. In keinem anderen Geschäftsfeld hat Amazon eine so große Marktmacht, kein anderes Unternehmen hat einen so enormen Einfluss im Buchhandel.

Eine Erfolgsspirale. So kann der Konzern gegenüber den Verlagen Konditionen aushandeln, von denen andere Händler nur träumen dürften. Seinen Mitarbeitern soll Gründer Jeff Bezos einmal gesagt haben: Macht es so mit ihnen „wie ein Gepard mit einer kranken Gazelle“.

Dabei hilft dem Konzern nicht nur seine Verhandlungsmacht, sondern auch die wertvollen Daten der Onlinekäufer. Amazon weiß, welche Kunden am liebsten Romane und welche eher Sachliteratur lesen. Über seine E-Books kann der Konzern nachverfolgen, wie lang ein Leser auf welcher Seite verharrt. Ein Vorteil, den Amazon auch in seine stationären Läden wie in New York trägt. Dort kann das Unternehmen durch die Masse an Kundendaten den Buchgeschmack sogar nach Stadtteilen unterscheiden.

Amazon macht auch dem Verlagsgeschäft zunehmend Konkurrenz

Der Buchhandel war einer der ersten Märkte, den der Onlinehandel durcheinandergewirbelt hat. Auch Amazon ist vor einem Vierteljahrhundert als Buchhändler gestartet. Bezos und seine Mitarbeiter kauften die Exemplare anfangs noch selbst ein, verpackten und verschickten sie an Kunden. Erst später eroberte das Unternehmen dann andere Bereiche wie Musik und Kleidung.

Eine Amazon-Buchhandlung in Seattle.
Eine Amazon-Buchhandlung in Seattle.
© AFP

Der bloße Handel scheint dem Internetkonzern aber längst nicht mehr zu reichen. Seit einigen Jahren können Hobbyschriftsteller ihre Manuskripte über Amazon als E-Books verkaufen, im Selbstverlag namens Kindle Direct Publishing. Das Modell läuft von selbst: Will das hochgeladene Werk niemand lesen, entsteht für Amazon kaum ein Verlust. Startet ein E-Book richtig durch, kassiert der Onlinehändler in der Regel gut 30 Prozent an Tantiemen. Hinzu kommt: Über seine mehr als ein Dutzend Verlagsmarken vertreibt Amazon zunehmend eigene Werke. Erst im Juli hat der Konzern den internationalen Bestsellerautor Dean Koontz für einen Deal mit fünf Büchern und eine Sammlung von sechs Kurzthrillern unter Vertrag genommen.

Buchhändler fürchten Übermacht

Der deutsche Buchhandel ist wütend: „Amazon legt seit Jahren ein sehr aggressives Geschäftsgebaren an den Tag und missbraucht seine Marktmacht, um Verlage und Buchhandlungen aus dem Markt zu drängen“, kritisiert Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. „Amazon möchte alleiniger Vermittler zwischen Autor und Leser werden.“ Und das könnte eine ganze Branche überflüssig machen.

Noch entwickelt sich der deutsche Buchmarkt relativ stabil. 2018 wurden rund 9,1 Milliarden Euro umgesetzt, genau so viel wie im Vorjahr. Zum Vergleich: Die Filmwirtschaft setzte 2,9 Milliarden Euro um, die Musikindustrie 1,6 Milliarden. Computer- und Videospiele kamen auf 3,5 Milliarden. Laut den Marktforschern von der GfK gab es im vergangenen Jahr sogar rund 300.000 Menschen mehr als im Vorjahr, die Bücher gekauft haben. Erstmals seit 2012 ist diese Zahl wieder etwas gestiegen. Von 2013 bis 2017 war die Zahl der Käufer auf dem Publikumsbuchmarkt um ganze sechs Millionen gesunken.

Immer weniger kleine Buchhandlungen

Der stationäre Buchhandel blieb mit einem Anteil von 46,8 Prozent am Gesamtmarkt zwar der größte Vertriebsweg für Bücher. Der Umsatz ging in den Läden vor Ort aber wieder einmal leicht zurück, während jener des Internet-Buchhandels weiter zugenommen hat. Über Online-Shops machte der Buchhandel mit 1,8 Milliarden Euro vier Prozent mehr Umsatz. Der Marktanteil stieg auf 19,5 Prozent.

Auf Grund dieser Entwicklung gibt es in Deutschland immer weniger kleine Buchhandlungen. Manche finden keinen Nachfolger. Andere spüren, wie sich die Menschen vom Buch abwenden und lieber auf dem Smartphone lesen. Oder sie befinden sich in Straßen, die niemand mehr zum Einkaufen aufsucht. Derzeit existieren rund 5000 Läden. Einer von ihnen: ocelot in Berlin-Mitte. „Mit der Lage haben wir schon eine luxuriöse Situation“, erzählt Maria-Christina Piwowarski am Telefon. „Viele Leute, die hier wohnen und arbeiten, wollen Geld für gute Literatur ausgeben.“ Und so individuell wie der Mensch in Mitte ist, soll auch das Buch sein, das er liest. Ein Roman von Stephen King, überall zu haben, würde nicht funktionieren.

Mitarbeiter bestimmen Auswahl

Die Auswahl der Bücher bestimmen hier die Mitarbeiter, keine Einkaufsabteilung. Kunden sollen in Ruhe stöbern, handgeschriebene Empfehlungen lesen, zwischendrin einen Kaffee trinken. „Das soll hier ein Ort sein, wo man seinen freien Tag verbringt“, sagt Piwowarski. Das Persönliche, das Versprechen, sich wohlzufühlen, zieht Menschen an, Veranstaltungen – und Instagram. Mehr als 8000 Menschen folgen dem Account von ocelot. Ein Glück: Bücher sind fotogen. Einmal legte eine Frau einen Stapel mit sämtlichen Lieblingen von Piwowarski auf den Verkaufstisch. Hatte sie mal gepostet. Die Frau sah das Bild. Kam vorbei.

So gut wie jetzt lief es nicht immer. 2012 eröffnete ocelot. 2014 meldete der damalige Chef Insolvenz an. Die B. Service GmbH aus Heidelberg, die bundesweit acht Buchhandlungen betreibt, übernahm. Ein Grund für die Probleme waren damals zu hohe Kosten bei der Programmierung eines Webshops.

Abholen statt Verschicken

Heute ist ocelot Teil von genialokal.de, einem gemeinsamen Onlineshop von 700 Buchhandlungen. 1,5 Millionen Menschen suchen dort im Jahr nach Büchern. Nur zwei von zehn Bestellungen werden zu ihnen nach Hause geschickt. Die große Mehrheit reserviert sich, was sie möchte, und holt es im gewünschten Laden ab.

Das passt zu dem, was Eleni Efthimiou beobachtet. Sie ist Inhaberin der Buchhandlung Leseglück in der Nähe des Görlitzer Parks und hört immer öfter: Bei Amazon kaufe ich nicht mehr! Miese Arbeitsbedingungen – und die ganzen Pakete! So was geht im grünen Kreuzberg nicht. „Außerdem wollen die Stammkunden hier einen schönen, lebendigen Kiez haben“, sagt Eleni Efthimiou. Manche kennt sie schon seit zwölf Jahren. Die müssen gar nicht sagen, was sie suchen.

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