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Amazon Gründer Jeff Bezos. Der Schreck aller Buchhändler.
© DPA

Amazon, das Alleskaufhaus: Alles fing mit einem Buch für 27,95 Dollar an

Seit 25 Jahren mischt Amazon den Onlinehandel auf und bestimmt den weltweiten Konsum wie kaum ein anderes Unternehmen. Das sind die Gewinner und Verlierer.

Von Laurin Meyer

John Wainwright darf sich heute zu einem der prominentesten Kunden der Welt zählen. Dafür musste der US-amerikanische Computerwissenschaftler gar nicht mehr tun, als ein Buch im Internet zu bestellen. Es war ein 500 Seiten dicker Wälzer über Modelle zur Künstlichen Intelligenz – zum Preis von läppischen 27,95 Dollar. Was heute Normalität ist, war damals völlig neu: Wainwright war der erste Kunde von Amazon. Als vor genau 25 Jahren der Onlinehändler gegründet wurde, ebnete sein Kauf den Weg eines der mittlerweile mächtigsten Konzerne der Welt.

Heute bestimmt Amazon den weltweiten Konsum wie kaum ein anderes Unternehmen. In den USA und Deutschland läuft gut die Hälfte des Onlinehandels über die Internetseite des Konzerns aus Seattle. Und jeder vierte Euro, der hierzulande im Handel umgesetzt wird, ist zumindest von Amazon beeinflusst – etwa durch Produktempfehlungen oder Werbung. Das zeigt eine aktuelle Studie der Marktforscher vom IFH Köln.

Für die Wirtschaft ist Amazons Macht Fluch und Segen zugleich. Vor allem der stationäre Handel leidet: Denn im Internet einzukaufen, ist für Verbraucher meist bequemer und günstiger. Wer heutzutage noch eine Beratung braucht, gehe zwar in die Läden, bestelle dann aber doch über Amazon, beklagen die Händler.

Verzweifelte Versuche des Einzelhandels

Manch ein Versuch, sich dagegen zu wehren, wirkt schon fast verzweifelt. Amazon-Kunden können ihre Lieferungen seit Juni etwa in den Filialen der Warenhäuser von Galeria Karstadt Kaufhof abholen. Die Hoffnung: Wer wegen seiner Lieferung kommt, kauft vielleicht noch etwas im Laden.

Andere zerren den Internetkonzern regelmäßig vor Gericht, etwa der Fahrradtaschenhersteller Ortlieb. Denn obwohl Ortlieb selbst gar keine Taschen über Amazon vertreibt, stoßen Nutzer in den Suchmaschinen auf Amazon-Werbung für eben jene Taschen. Das Problem aus Sicht des Herstellers: Wer nach Ortlieb sucht, landet so womöglich bei einem Konkurrenzprodukt auf Amazon. Erst Donnerstag ging der Streit vor dem Bundesgerichtshof in die nächste Runde. Ein Urteil wird Ende Juli erwartet.

Chance für kleine Verkäufer

Für kleine Händler und Start-ups kann Amazon hingegen eine Chance sein: Über den sogenannten Marketplace können sie ihre Produkte verkaufen – und benötigen deshalb keinen eigenen Onlineshop oder einen professionellen Vertrieb. Das spart Kosten. Doch auch seinen Dritthändlern zeigt Amazon regelmäßig, wer der Chef im Haus ist. Früher hatte der Konzern den kleinen Verkäufern vorgeschrieben, auf der Amazon-Website stets den günstigsten Preis anzubieten. Das Bundeskartellamt hatte daraufhin ein Verfahren eingeleitet, Amazon änderte diese Vorschrift dann freiwillig.

Seit einigen Monaten will der Onlinehändler außerdem Einfluss auf die Produktbeschreibungen der Drittanbieter nehmen. Erste Verkäufer berichten, dass Amazon die Titelbeschreibungen der Produkte eigenmächtig geändert habe. Für Amazon ist das lukrativ: Der Konzern verdient mit seinem Marketplace mittlerweile mehr als mit den Verkäufen seiner eigenen Produkte.

Amazon sorgt für Paketboom

Amazons Erfolg hat aber auch andere Branchen regelrecht beflügelt. Die Paketzusteller können sich nahezu jährlich über neue Rekorde im Transportaufkommen freuen. Insgesamt fast drei Milliarden Pakete verschickten die fünf größten Zusteller in Deutschland allein im vergangenen Jahr – ein Großteil davon im Auftrag von Amazon.

Doch obwohl die Paketdienste profitieren, beklagen auch sie die Marktmacht des Onlinehändlers. Amazon drücke den Preis zulasten der Marge, heißt es aus der Branche. Außerdem ist der Konzern zuletzt selbst unter die Lieferdienste gegangen. Mit Amazon Logistics stellt der Konzern in den USA bereits mehr als die Hälfte seiner Pakete selbst zu, auch in Deutschland wächst der Anteil.

Und das Preisdumping bei den Versandkosten hat noch einen Leidtragenden: die Umwelt. Das Verpacken der Waren verschlingt Ressourcen, bei den Liefertouren werden Unmengen CO2 ausgestoßen. Und wer viel bestellt, schickt auch viel zurück. Bei den unter 30-Jährigen gehen laut Greenpeace von zehn Bestellungen durchschnittlich zweieinhalb als Retour zum Händler.

Jeff Bezos ging ins Risiko

Zu den großen Gewinnern zählen hingegen die Anleger. Wer zum Börsengang eine Aktie gekauft hatte, kann heute ein Plus von satten 10.000 Prozent verbuchen. Dabei hatte der rasant expandierende Konzern wegen chronisch roter Zahlen lange einen schweren Stand. Im ersten Quartal dieses Jahres liefen die Geschäfte allerdings prächtig: Der Überschuss wuchs im Jahresvergleich um ganze 125 Prozent auf 3,6 Milliarden Dollar. Schon im vergangenen September gelang es Amazon zudem als zweite Aktiengesellschaft nach Apple, zeitweise die magische Billionen-Marke beim Börsenwert zu knacken.

Obwohl die Paketdienste profitieren, beklagen sie die Marktmacht von Amazon.
Obwohl die Paketdienste profitieren, beklagen sie die Marktmacht von Amazon.
© picture alliance / dpa

Dass der Onlinehändler so weit aufsteigen konnte, ist vor allem der Verdienst von Gründer Jeff Bezos. Der 55-Jährige ist mit der Gründung nämlich ins Risiko gegangen: Vor seiner Karriere als Onlinehändler war Bezos bereits ein angesehener Banker an der Wall Street, ist jung zum Vizepräsidenten der Investmentbank D.E. Shaw & Co aufgestiegen.

Doch das Internet faszinierte ihn immer mehr. Bezos entschloss sich zu einem radikalen Schritt: Er tauschte sein Büro in einem New Yorker Wolkenkratzer gegen eine Garage in Seattle ein – und gründete dort mit seiner damaligen Frau MacKenzie einen Online-Buchhandel namens Cadabra. Die ersten 10.000 Euro dafür stammten aus seiner eigenen Tasche. Bezos war jedoch unzufrieden, laut seiner Biografie erinnerte ihn der Name an das Wort Kadaver. Kurze Zeit später folgte die Umbenennung, sein Unternehmen hieß fortan Amazon.

Niemand scheint mehr sicher

Nach rund einem Jahr Anlaufzeit verschickte Bezos das erste Buch an einen externen Kunden, eben jenen John Wainwright. Der Gründer und seine Mitarbeiter kauften die Bücher zunächst selbst ein, verpackten sie und brachten die Ware zur Post. Doch schon drei Jahre nach der Gründung ging Amazon an die Börse – es begann die große Expansion.

Amazon stieg ins Musikgeschäft ein, verkaufte fortan Kleidung und schuf mit dem CloudDienst Amazon Web Services einen der heutigen Umsatztreiber des Konzerns. In den vergangenen Jahren eroberte das Internetkaufhaus auch den Smarthome-Markt. Sein Spracherkennungsassistent Alexa wurde zum Verkaufsschlager. Außerdem ist Amazon mit Prime unter die Serien- und Filmproduzenten gegangen, eröffnete zuletzt sogar eigene Supermärkte.

Niemand scheint also mehr sicher vor dem einstigen Buchhändler. „Reiner Konkurrent im Onlinehandel ist Amazon längst nicht mehr“, sagt Eva Stüber, Mitglied der Geschäftsleitung des IFH Köln. Und wer sich als Anbieter nicht spezialisiert, werde künftig nicht mehr wahrgenommen. Experten sehen darin noch eine ganz andere Gefahr: Amazon entwickelt sich zunehmend zur Meinungsmacht. Mehr als die Hälfte der Verbraucher informiert sich hierzulande vor einem Kauf auf Amazon, ganze 90 Prozent vertrauen den privaten Bewertungen anderer Käufer. Damit entscheidet Amazon auch, was andernorts gekauft wird.

Haus nach erstem Käufer benannt

Im Hauptquartier in Seattle ist man John Wainwright für seine Starthilfe jedenfalls bis heute dankbar. Während andere Unternehmen ihren ersten Dollar an die Bürowand nageln, hat Amazon eines seiner Gebäude nach dem ersten Käufer benannt. Dass Wainwright für sein Buch zahlen musste, war übrigens ein Missverständnis, wie er in einem Interview sagte. Er dachte, er bekomme seine Bestellung kostenlos. Jetzt hofft Wainwright, dass Bezos das Buch irgendwann zurückkauft – für deutlich mehr als 27,95 Dollar.

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