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Der Kampf gegen den Klimawandel ist Christine Lagarde wichtig - auch als Präsidentin der EZB.
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Exklusiv

„In 50 Jahren getoastet, geröstet und gegrillt“: Wie grün die EZB mit Lagarde wird

Der Klimawandel ist ein Risiko für den Finanzmarkt, sagen Notenbanker. Doch sie streiten darüber, ob auch die Geldpolitik "grün" werden muss. Eine Analyse.

„Wenn wir jetzt nichts gegen den Klimawandel unternehmen, werden wir in 50 Jahren getoastet, geröstet und gegrillt.“ Das sagte Christine Lagarde, als sie noch Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) war. Immer wieder hat sie in dieser Funktion Staaten und Institutionen dazu aufgerufen, mehr gegen die Erderwärmung zu tun und den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Nun hat Lagarde einen neuen Job, seit fast einem Monat ist sie Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB). Als solche stellt sie sich die Frage, was eigentlich die EZB gegen den Klimawandel tun sollte. Und wie die Geldpolitik grüner werden kann.

Für die nächsten Monate hat Lagarde sich vorgenommen, die Strategie der Zentralbank grundsätzlich zu überprüfen. Es geht zum Beispiel um die Frage, ob das Inflationsziel noch angemessen ist. Zugesagt hat Lagarde allerdings auch, bei dieser Überprüfung bewusst Nachhaltigkeitsaspekte einzubeziehen. Bereits vor ihrer Ernennung zur EZB-Präsidentin hatte sie vor dem EU-Parlament gesagt: „Klimawandel und Umweltschutz sollten für jede Institution im Mittelpunkt stehen.“ Nur was bedeutet das konkret? Das lässt Lagarde derzeit offen – wohl auch, weil eine „grüne“ Geldpolitik unter Ökonomen und Notenbanker höchst umstritten ist.

Rückendeckung bekommt die Französin in der Angelegenheit jetzt jedoch von einem überraschend breiten, internationalen Bündnis aus fast 60 Institutionen und NGOs. Gemeinsam haben sie einen offenen Brief an Lagarde verfasst. „Wir glauben, dass die mächtigste Finanzinstitution in Europa angesichts einer wachsenden Umweltkrise nicht nur passiv bleiben kann“, heißt es in dem Schreiben. Zu den Verfassern des Briefs gehört unter anderem die Nichtregierungsorganisation Finanzwende, geleitet von Grünen-Mitglied Gerhard Schick. Er sagt: „Wir nehmen Frau Lagarde beim Wort, das EZB-Mandat auf Linie mit Aspekten des Umweltschutzes zu bringen.“

Die EZB will unter der neuen Chefin Christine Lagarde ihre Strategie in den kommenden Monaten überprüfen.
Die EZB will unter der neuen Chefin Christine Lagarde ihre Strategie in den kommenden Monaten überprüfen.
© dpa

Dorothea Schäfer, Finanzexpertin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), meint: „Dem Finanzsystem und damit auch den Zentralbanken kommt bei der Transformation in eine ’grüne’ Wirtschaft eine Schlüsselrolle zu.“ Auch sie hat den Brief an Lagarde deshalb unterschrieben. Ebenso wie Adair Turner, der frühere Chef der britischen Finanzaufsicht. Mit dabei sind auch das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, Attac Deutschland, der „Club of Rome“ und das Stockholm Resilience Centre.

Das erhöht den Druck auf Lagarde, die Geldpolitik der EZB tatsächlich grüner zu gestalten. Einfach wird das aber nicht. Vor allem dann nicht, wenn sie – wie das Bündnis es fordert – das Anleihekaufprogramm neuaufstellen will. Denn das ist umstritten. Aktuell kauft die EZB jeden Monat Anleihen von Staaten und Unternehmen aus der Eurozone im Wert von 20 Milliarden Euro. Es ist eine der Maßnahmen, mit denen die Zentralbank ihrem Inflationsziel von zwei Prozent näher kommen will. Kritiker werfen ihr jedoch vor, dabei besonders viele Anleihen von Unternehmen zu kaufen, die für einen hohen CO2-Ausstoß stehen. Nach Angaben der EZB kauft sie aktuell 20 Prozent der infrage kommenden grünen Anleihen an.

Sollte die EZB nur noch "grüne Anleihen" kaufen?

Das Bündnis fordert: „Die EZB sollte sich unverzüglich dazu verpflichten, kohlenstoffintensive Vermögenswerte schrittweise aus ihren Portfolios zu streichen.“ Für den Anfang fordern die Unterzeichner den „sofortigen Verkauf von Vermögenswerten mit Bezug zu Kohle“. DIW-Forscherin Schäfer findet das richtig. Die EZB könne so einen Beitrag zur „schnelleren Transformation der Wirtschaft in Richtung Klimaverträglichkeit“ leisten. Denn kauft die EZB die Anleihen bestimmter Konzerne nicht mehr an, heißt das, dass diese sich im Vergleich zur Konkurrenz schlechter refinanzieren können.

Unter Notenbankern aber ist dieser Schritt umstritten. Sabine Mauderer, die im Vorstand der Bundesbank sitzt, sagte dazu kürzlich auf einer Konferenz ihres Hauses: „Als Klimafeuerwehr taugen Zentralbanken nicht.“ „Die Rahmenbedingungen für ein klimaverträgliches Handeln von Wirtschaft und Gesellschaft setzt die Politik. Dazu ist sie demokratisch legitimiert. Zentralbanken nicht.“ Bundesbank-Vorstand Jens Weidmann, der zudem mit Lagarde im EZB-Rat sitzt, sieht das genauso. „Unser Mandat lautet Preisstabilität, und bei der Umsetzung unserer Geldpolitik ist der Grundsatz der Marktneutralität zu beachten“, sagt er. „Nun etwa bevorzugt grüne Anleihen zu kaufen, würde diesem Grundsatz widersprechen.“

Bundesbank-Präsident Jens Weidmann sagt, einzig "grüne" Anleihen zu kaufen, widerspreche dem Grundsatz der Marktneutralität.
Bundesbank-Präsident Jens Weidmann sagt, einzig "grüne" Anleihen zu kaufen, widerspreche dem Grundsatz der Marktneutralität.
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Mit Marktneutralität ist gemeint, dass die EZB nicht bevorzugt die Papiere einzelner Unternehmen oder Staaten kaufen darf. Stattdessen soll sie eine möglichst breite Auswahl treffen, um den Markt nicht zu verzerren. Dazu kommt, dass die EZB in einem solchen Ausmaß Anleihen kauft, dass sie schon jetzt an ihre Grenzen stößt. „Würde die Auswahl auch noch auf grüne Anleihen beschränkt, würde das ihren Spielraum zu stark einschränken“, sagt Holger Bahr, der bei der Dekabank die Abteilung Volkswirtschaft leitet.

Auch der Leipziger Ökonom Gunther Schnabl lehnt den Kauf ausschließlich grüner Anleihen durch die EZB ab. Er fürchtet, dass das zu Greenwashing führen könnte. Firmen könnten also verleitet werden, sich ein grünes Image zu geben – einzig, damit die EZB ihre Finanzpapiere kauft. „Projekten könnte ein grüner Anstrich gegeben werden, wobei die so gewonnenen billigen Kredite nicht zwingend für den Umweltschutz eingesetzt werden“, sagt Schnabl.

Das zeigt: Wollte Lagarde auf die Forderung des Bündnisses eingehen, müsste sie sich auf lautstarke Diskussionen einstellen. Dabei sind Zentralbanker und Ökonomen sich in einem Punkt durchaus einig: Der Klimawandel kann Folgen für die Finanzstabilität haben. So sagt Bundesbank-Vorständin Mauderer: „Klimarisiken bergen erhebliche finanzielle Risiken.“

Auch für Banken birgt der Klimawandel ein Risiko.
Auch für Banken birgt der Klimawandel ein Risiko.
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Banken zum Beispiel sind über mehrere Ecken vom Klimawandel betroffen. So drohen Kreditausfälle, wenn Unternehmen in Regionen aktiv sind, die besonders durch Extremwetter oder einen Anstieg des Meeresspiegels gefährdet sind. Bei Überschwemmungen verlieren zudem Immobilien an Wert, die bei der Bank als Sicherheiten hinterlegt sind. Auch bei den Rohstoffpreisen kann es aufgrund von Extremwettern zu Marktverwerfungen kommen. Bislang jedoch berücksichtigen zwei Drittel der deutschen Banken solche klimabezogenen Risiken nicht in ihren Berechnungen, zeigt eine Umfrage der Finanzaufsicht Bafin und der Bundesbank unter 1400 Geldinstituten.

Um das zu ändern, haben sich bereits Ende 2017 mehrere Zentralbanken und Finanzaufseher zu einem internationalen Netzwerk zusammengeschlossen. Die Bundesbank zählt ebenso zu den Gründungsmitgliedern des „Networks for Greening the Financial System“ (NGFS) wie die Zentralbanken aus Frankreich, den Niederlanden und Großbritannien. Die EZB ist der Gruppe letztes Jahr im Mai beigetreten. Derzeit arbeiten die Mitglieder des Netzwerks an einer internationalen Datenbasis, damit Zentralbanken ebenso wie Geschäftsbanken die finanziellen Auswirkungen des Klimawandels besser einschätzen können.

Auch Mauderer von der Bundesbank hofft darauf. Sie sagt: „Die Finanzaufsicht braucht eine kluge Methodik, um Verwundbarkeiten durch Klimarisiken besser zu identifizieren.“ Ist die vorhanden, könne man Banken künftig zum Beispiel auch einem „Klimastresstest“ unterziehen. Bislang testen Aufseher lediglich, wie gut die Geldhäuser etwa für einen abrupten Einbruch der Konjunktur gewappnet sind. Künftig könnten sie ebenso selbstverständlich daraufhin untersucht werden, wie sehr sie Extremwetter oder ein Anstieg des Meeresspiegels treffen. Die britische Zentralbank arbeitet bereits an einem solchen Klimastresstest für die Banken auf der Insel. 2021 soll er stehen. Neben der Zunahme von Wetterphänomenen soll dabei auch untersucht werden, wie sehr der Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft die Banken in die Bredouille bringt.

Dem Bündnis, das sich nun mit seinem Appell an Lagarde gewandt hat, geht das jedoch nicht weit genug. „Der Fortschritt ist zu langsam und wir verlieren Zeit“, heißt es in dem Schreiben. „Wir können nicht jahrelang die langfristigen finanziellen Risiken lediglich abschätzen.“ Lagarde selbst will sich einem Sprecher zufolge am Montag zu dem Thema vor dem Wirtschafts- und Währungsausschuss des Europäischen Parlaments äußern.

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