Rede vor EU-Währungsausschuss: Lagardes Worte sind ein Alarmsignal für Deutschlands Sparer
Die designierte EZB-Chefin stellte sich den Fragen der EU-Abgeordneten. Am Abend billigte der Wirtschaftsausschuss ihre Nominierung.
Der Wirtschaftsausschuss des EU-Parlaments hat die Nominierung von Christine Lagarde als Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB) gebilligt. Mit einer breiten Mehrheit von 37 zu 11 Stimmen und vier Enthaltungen sprachen sich die Ausschussmitglieder am Mittwoch in Brüssel für die Kandidatur der Französin aus. Zuvor hatte die frühere Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) sich in einer Anhörung den Fragen der Parlamentarier gestellt.
Pünktlich um 10:30 Uhr erscheint Christine Lagarde vor dem Wirtschafts- und Währungsausschuss im Europaparlament. Die 63 Jahre alte Französin, die seit 2011 Chefin des Internationalen Währungsfonds IWF ist, stellte sich für zweieinhalb Stunden den Fragen der rund 50 Abgeordneten. Sie trat an, um Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB) zu werden und brauchte dafür nicht nur die Benennung durch die Staats- und Regierungschefs, die sie Mitte Juli bekommen hat.
Sie brauchte eben auch die Zustimmung des Ausschusses. Ganz zu Beginn ihrer 15-minütigen Eingangsrede sagte sie denn auch: Zentralbanker seien unabhängig und würden nicht direkt von der Bevölkerung ins Amt gewählt, umso wichtiger sei ihr die Meinung des Europa-Parlaments.
Lagarde, die ein akzentfreies Englisch spricht und charmant, schlagfertig und freundlich auf die Fragen der Parlamentarier antwortete, musste sich da keine großen Sorgen machen. Das wurde schon am Beginn deutlich. Etliche Abgeordnete schickten ihrer Frage eine Bemerkung der Wertschätzung der Kandidatin voraus. Die Parlamentarier interessierte am meisten, welchen geldpolitischen Kurs die Französin an der Spitze der Notenbank steuern will.
In vielen Ländern, nicht nur in Deutschland, sind die Sparer verärgert, weil die Banken wegen der Niedrigzinspolitik seit Jahren so gut wie keine Zinsen auf Guthaben mehr zahlen. Lagarde bereitet die Menschen darauf vor, dass es womöglich noch schlimmer kommen könnte. Das geht bereits aus ihren schriftlichen Antworten auf 76 Fragen des Ausschusses hervor, die den Abgeordneten einige Tage zuvor zugeschickt worden sind.
Gründer Sven Giegold verteidigt die EZB
Demnach sieht sie bei den Zinsen weiteren Spielraum „nach unten“. Die effektive Untergrenze bei den Zinsen sei noch nicht erreicht. „Die EZB hat ihren breit gefächerten Werkzeugkasten zur Verfügung und muss bereit stehen zu handeln“, sagt sie. Immer wieder betonte sie in der Anhörung aber auch, dass sie eben noch nicht Chefin der EZB ist und dass sie Entscheidung auch nicht allein fällen könne, sondern nur gemeinsam mit dem Rat der Zentralbank. Immer wieder sagte sie, dass sie sich vor allem dem Mandat der EZB verpflichtet fühle, für Preisstabilität zu sorgen.
Die Geldpolitik soll also dafür sorgen, dass die Inflation knapp unterhalb der zwei-Prozent-Marke liegt. Derzeit beträgt die Geldentwertung im Euroraum deutlich weniger, nämlich ein Prozent. Vermutlich schließt sie auch deswegen eine weitere Senkung der Zinsen nicht aus. Sie macht zudem deutlich, dass ein verändertes geldpolitisches Umfeld womöglich auch ein Überdenken der EZB-Strategie notwendig mache.
Lagarde wird Anfang November die Nachfolge von Draghi antreten. Die Amtszeit beträgt acht Jahre. Es wird nicht ausgeschlossen, dass die EZB noch unter Draghis Führung am 12. September den Einlagezins für Banken, der derzeit bei minus 0,4 Prozent liegt, noch weiter absenken wird. Der grüne Finanzexperte Sven Giegold sieht die EZB zu Unrecht in der Kritik für die negativen Folgen der Niedrigzinspolitik. „Es war die EZB, die in der Staatsschuldenkrise den Euro gerettet hat, nicht die Politik.“
Deutsche Bank klagt über Negativzinsen
Diesen Ball griff Lagarde auf. Sie wies darauf hin, dass die Regierungen der Mitgliedstaaten etwas tun könnten, um das Wirtschaftswachstum zu beschleunigen. In etlichen Euro-Staaten, die ihre Hausaufgaben bei der Sanierung des Staatshaushaltes erledigt haben, gebe es Spielraum für Investitionen „bei der Fiskalpolitik“. Außerdem mahnte sie „wachstumsfreundliche Strukturreformen“ in jenen Ländern an, die ihre Hausaufgaben noch nicht erledigt haben. Namen der Länder nannte sie nicht, klar ist aber, dass Italien und Frankreich etwa gemeint sind.
Soweit bewegte sie sich in den Spuren von Draghi. Doch die Kandidatin ließ auch durch neue Töne aufhorchen. Sie will das Augenmerk der Notenbank auf den Klimawandel richten. Die EZB könne etwa analysieren, welche Risiken der Klimawandel für die Finanzstabilität der Banken ausmachten. Die EZB könne bei ihren eigenen Investmententscheidungen, etwa beim eigenen Pensionsfonds, auch nachhaltige Anlageformen bevorzugen. Lob bekam sie dafür von Giegold: „Lagarde hat verstanden, dass Ökonomie und Ökologie zusammengehen müssen.“
Der Finanzexperte der Christdemokraten, Markus Ferber, mahnte unter Lagardes Führung einen Abschied von der lockeren Geldpolitik der EZB an: „Sie muss aufzeigen, wie sie die Eurozone langfristig von der Droge des billigen Geldes wegführen will.“ Heftige Kritik am Festhalten des Draghi-Kurs' kommt hingegen von der Deutschen Bank: „Langfristig ruinieren diese Niedrigzinsen das Finanzsystem“, sagte Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing. Die Negativzinsen, die europäische Kreditinstitute auf Einlagen bei der EZB zahlen müssen, kosteten allein die Deutsche Bank „einen dreistelligen Millionenbetrag in diesem Jahr. Auf vier Jahre hochgerechnet sind das mehr als zwei Milliarden Euro.“
Sven-Christian Kindler, haushaltspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, sieht jedoch nicht nur die EZB in der Pflicht sondern auch die Eurostaaten: "Nur wenn die Regierungen in Europa insgesamt mehr investieren, kann die EZB ihre Geldpolitik ändern", sagte er. Die FDP wiederum hat Zweifel an der Rolle, die Lagarde künftig ausüben wird. Schließlich ist sie anders als ihre Vorgängerinnen an der Spitze der EZB keine Ökonomin - sondern Juristin und Politikerin. "Wir können nur hoffen, dass eine Politikerin im Chefsessel der EZB eine Politisierung der Geldpolitik, wie man sie zurzeit in den USA befürchten muss, verhindert", sagte Christian Dürr, Stellvertretender Vorsitzender der FPD-Fraktion im Bundestag. (mit AFP)