Baukasten Bahn: Wie Bahn-Chef Rüdiger Grube den Konzern umbaut
Fernbusse und Riesen-Lkw setzen die Deutsche Bahn unter Druck. Bahn-Chef Rüdiger Grube hat viel zu tun auf den Baustellen des Staatskonzerns. Am Dienstag präsentiert er die Halbjahresbilanz.
Baustelle 1: Personal
Mindestens vier der weltweit mehr als 300.000 Bahn-Mitarbeiter werden in Kürze ihren Job verlieren. Es handelt sich um mehr oder weniger verdiente Führungskräfte, die dem Konzernumbau und der Neujustierung des Geschäfts zum Opfer fallen werden. Offiziell ist bislang nur, dass Technikvorstand Heike Hanagarth ihr Amt zum 31. Juli aufgibt. Die einzige Frau im Vorstand, die 2013 von BMW kam und nach außen wenig Profil gewann, überwachte zuletzt ohne größere Turbulenzen die Produktion der neuen ICx-Züge von Siemens. Ihr Ressort soll dem Vernehmen nach Volker Kefer zufallen, der im Bahn-Vorstand Infrastruktur und Dienstleistungen verantwortet.
Sicher ist auch, dass Transport- und Logistikvorstand Karl-Friedrich Rausch Ende 2015 in den Ruhestand geht. Sein Vorstandssessel bleibt unbesetzt, Finanzvorstand Richard Lutz soll das renditeschwache Logistikgeschäft von Schenker sowie die – einst teuer eingekaufte – Auslandstochter Arriva womöglich für den Verkauf hübsch machen.
Im von acht auf sechs Posten verkleinerten Vorstand wird der glücklose Personenverkehrsvorstand Ulrich Homburg offenbar ersetzt. Für ihn rückt Berthold Huber auf – der neue starke Mann hinter Vorstandschef Rüdiger Grube.
Huber, dem als bisherigem Fernverkehrschef der gute Ruf eines erfahrenen Eisenbahners vorauseilt, soll künftig im Vorstand für den Nah- und Fernverkehr sowie den Schienengüterverkehr verantwortlich sein. Eine Mammutaufgabe für den 51-Jährigen, der seit 18 Jahren beim Schienenkonzern arbeitet.
Seinen Posten als Güterverkehrschef verliert Alexander Hedderich, der es nicht vermochte, das Geschäftsfeld richtig profitabel zu machen.
Die Bundesregierung hat offenbar ihren Einfluss auf die umstrittenste Neubesetzung im Vorstand geltend gemacht: Früher als geplant wird dem Vernehmen nach Ronald Pofalla in die Topetage der Bahn aufrücken und Rechts- und Compliance-Vorstand Gerd Becht beerben, der vorzeitig und nicht erst 2017 in den Ruhestand geht. Der CDU-Politiker Pofalla, früherer Kanzleramtsminister, der sich gerade vor dem Bundestagsuntersuchungsausschuss in der NSA-Affäre verantworten muss, ist bislang oberster Lobbyist des Konzerns in Berlin und Brüssel.
Baustelle 2: Personenverkehr
Die Branche spricht von einem „Befreiungsschlag“ nach der Marktöffnung, die Unternehmen überbieten sich mit Wachstumszahlen: Reisen mit dem Bus sind beliebt wie nie. Ob Urlaub oder Wochenendtrip – der Bus lockt seit der Liberalisierung 2013 viele Kunden von der Schiene auf die Straße. In drei Jahren sollen Schätzungen zufolge 27 Millionen Menschen mit dem Fernbus unterwegs sein, 20 Millionen waren es im vergangenen Jahr.
Im Personenfernverkehr der Bahn sind die Spuren des Wettbewerbs unschwer zu erkennen: 111 Millionen Euro weniger als 2013 verdiente die Bahn zuletzt mit ihren ICEs und ICs, unter dem Strich 212 Millionen Euro. Im ersten Halbjahr 2015 soll sich das Ergebnis sogar halbiert haben. Viel zu spät hat der Schienenkonzern die Dramatik erkannt. Erst in diesem Frühjahr kündigte Bahn-Chef Grube „die größte Kundenoffensive in der Geschichte des DB Fernverkehrs“ an.
Sie soll mehr Menschen direkter und komfortabler von A nach B befördern, bis 2030 soll das Angebot um 25 Prozent ausgebaut werden. Dann sollen 50 Millionen Fahrgäste mehr mit ICE oder IC unterwegs sein als heute (129 Millionen).
Der Fahrgastverband Pro Bahn hat Zweifel, dass dies gelingt, und mahnt mehr Tempo an. „Die Bahn muss schneller sein“, fordert der Ehrenvorsitzende Karl-Peter Naumann mit Blick auf die bevorstehenden Umbauten im Konzern. Eine der größten Baustellen sei das lückenhafte Informationssystem: „Reisende werden zu spät oder falsch über Verspätungen und Anschlüsse informiert“, kritisiert Naumann. „Das System funktioniert nicht. Das ist symptomatisch für die Bahn.“
Und dies sei nicht nur eine Frage der Technik, hier würden auch Managementfehler gemacht. „Die Bahn muss besser mit ihren personellen und technischen Schnittstellen umgehen.“ Das heißt: Pünktlicher werden, komfortabler – und am Ende wohl auch preiswerter für Kunden, die heute noch im Bus unterwegs sind.
Baustelle 3: S-Bahn
Lange war es fast selbstverständlich, dass S-Bahnen nur unter Regie der Deutschen Bahn unterwegs waren. Der Konzern wollte sich sogar den Begriff schützen lassen. Daraus wurde nichts – und auch das Monopol ist verloren. In Nürnberg hat Anfang des Jahres das britische Unternehmen National Express den Auftrag für den Betrieb der dortigen S-Bahn gewonnen, wobei die Klage gegen die Vergabe aber noch nicht entschieden ist.
Und auch beim künftigen Städteschnellverkehr RRX in Nordrhein-Westfalen ist der Bahn-Konzern leer ausgegangen. Das Tochterunternehmen Abellio der niederländischen Staatsbahn und National Express machten an Rhein und Ruhr das Rennen.
Nur in Berlin, wo Bahnchef Rüdiger Grube auf keinen Fall den Auftrag verlieren will, fährt der Konzern noch mit. Dank komplizierter Ausschreibungsbedingungen durch das Land, die alle Mitbewerber zum Aufgeben getrieben haben, ist die Bahn der einzige Interessent geblieben, mit dem der Senat noch verhandeln kann.
Und gesprochen werden muss noch viel. Die Bahn verlangt nach Tagesspiegel-Informationen als Zuschuss vom Land rund 350 Millionen Euro – 50 Prozent mehr als bisher. Bleibt es dabei, müsste der Senat kräftig zulegen oder das Angebot drastisch kürzen. Undenkbar bei einer wachsenden Stadt, in der der Verkehr zunehmen wird. Vor allem auf der Schiene.
Ausgeschrieben ist bisher nur der Verkehr auf dem Ring und seinen Zulaufstrecken im Südosten. Das Ost-West-Netz mit der Stadtbahn und die Nord-Süd-Strecken werden noch folgen. Die Bahn muss damit rechnen, dass der Senat die künftigen Ausschreibungen nicht so vergeigt wie jetzt und es dann wieder Konkurrenten für die Bahn geben wird. Ein Selbstläufer für den Konzern wird die S-Bahn dann nicht mehr sein.
Den Wettbewerb spürt sie bereits bundesweit im Regionalverkehr. Auch wenn es der Bahn zuletzt gelungen ist, Strecken von Mitbewerbern zurückzuholen, musste sie bereits einen großen Teil der einst lukrativen Aufträge abgeben.
Baustelle 4: Digitalisierung
Ein Blick zum Handgelenk. Ist der Zug im Plan? Ein zweiter Blick auf die Smartwatch. Wie ist das Wetter an meinem Zielort? Bei beiden Fragen kann die Bahn helfen. Jedenfalls ist das ihr Ziel.
Wer eine Apple Watch hat, kann sich den Reiseverlauf mit dem DB-Navigator in Echtzeit anschauen. Wer dann noch seine Wetter-App startet, könnte genaue Vorhersagen dank der Weichen entlang der Strecke bekommen. Da die auch bei Eis und Schnee funktionieren müssen, verfügen sie über Heizungen, die sich ab einer bestimmten Temperatur selbst einschalten. Jede einzelne Weggabelung eine potenzielle Wetterstation.
„Wir sitzen auf einem riesigen Berg von Daten“, sagte Bahn-Vorstand Kefer kürzlich auf einer Veranstaltung in Berlin. Täglich sind auf dem 35.000 Kilometer langen Streckennetz rund 39.000 Züge unterwegs. Jede Steuerung, jede Klimaanlage, jede Weiche produziere Daten.
Kefer, Infrastrukturvorstand und auch als Stellvertreter von Bahn-Chef Rüdiger Grube im Gespräch, will aus dem Berg einen Schatz machen und ihn heben. Stahl und Schotter, das analoge Schienennetz der Bahn, sollen digital werden.
Dabei will sich der Konzern nicht ausschließlich auf die Kompetenz im eigenen Haus verlassen. In Berlin hat der Konzern kürzlich Start-ups unter seine Fittiche genommen, die IT-Lösungen rund um das Thema Mobilität entwickeln. Mit Wissen und Geld werden die Gründer jeweils drei Monate lang unterstützt. Die Bahn erhofft sich von diesem Accelerator – viele große Firmen betreiben bereits ähnliche Programme – neue Ideen und Produkte. „Wir wollen die Geschwindigkeit und Kreativität der Start-ups mit unseren Daten zusammenbringen“, sagte Kefer.
Insgesamt 150 Projekte hat die Bahn identifiziert, die das Unternehmen fit für die digitale Zukunft machen sollen. Grube bezeichnete die Vorhaben als den größten Umbruch, seit die Bahn 1994 von der Behörde zum Unternehmen umgebaut wurde.
Dabei will sich die Bahn nicht nur auf Personenverkehr, Schienennetz oder IT beschränken. In Zeiten genau getakteter Lieferketten muss auch die Logistik automatisiert werden, wie Jörg Sandvoß, Vorstand bei DB Netz, erläuterte. Vor allem also Güterzüge müssten zur richtigen Zeit mit der richtigen Ladung am richtigen Ort sein.
Baustelle 5: Infrastruktur
Die Summe klingt gewaltig: Rund 28 Milliarden Euro will die Bahn bis 2019 in ihr Netz stecken. 17 000 Kilometer Schiene, 8700 Weichen und mindestens 875 Brücken sollen erneuert werden. Das meiste Geld davon kommt vom Bund.
Was sich gut anhört, ist allerdings auch dringend erforderlich. Denn in den vergangenen Jahren hat die Bahn ihre Anlagen erheblich vernachlässigt. Dringend erforderliche Arbeiten wurden verschoben, Gleise, auf denen ein Güterzug stehen kann, um einen schnellen ICE überholen zu lassen, abgebaut.
Die Bahn investierte in der Vergangenheit so wenig in ihre Infrastruktur, dass sie nach Ansicht der Allianz pro Schiene im Vergleich mit anderen Industrieländern den Anschluss zu verlieren droht. 2014 waren es nach Berechnungen der Allianz pro Schiene lediglich 49 Euro pro Bürger. Am ausgabefreudigsten war die Schweiz mit 351 Euro pro Kopf, gefolgt von Österreich mit 210 Euro. Auch Italien lag mit 82 Euro in dieser Statistik vor Deutschland, das auf den hinteren Rängen verharrte. Noch schlechter finanzierte nur Spanien sein Eisenbahnnetz.
Die Spitzenreiter Schweiz und Österreich gaben für ihre Bahnen mehr Geld aus als für den Straßenbau, der in Deutschland nach wie vor den größten Brocken abbekommt. Ausbleibende Investitionen spüren auch die Fahrgäste, weil die Züge auf maroden Gleisabschnitten bremsen müssen und so nicht mit der theoretisch möglichen Höchstgeschwindigkeit fahren können.
Der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) hat ermittelt, dass sich die hieraus theoretisch errechneten Fahrzeitverluste bei einer Fahrt über alle Strecken auf 2:40 Stunden summieren. Aber immerhin ist es ein wenig besser geworden: Ein Jahr zuvor lag der errechnete Fahrzeitverlust noch bei drei Stunden.
Investitionen in die Infrastruktur zahlen sich aus. Nach Ansicht von Allianz-pro-Schiene-Geschäftsführer Dirk Flege müssten es mindestens 80 Euro pro Kopf sein.
Baustelle 6: Güterverkehr
Ein Streik bei der Bahn nervt nicht nur Reisende, sondern auch gewerbliche Kunden, die ihre Güter per Eisenbahn transportieren lassen wollen. Wegen „imageschädigender Streikmaßnahmen“ habe die Bahn 2014 Einbußen hinnehmen müssen, teilte das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) unlängst mit. Die Bahn beziffert den Streikeffekt auf DB Schenker Rail 2014 auf 50 Millionen Euro.
Ein Rückschlag für eine Sparte, die 2014 bei einem stagnierenden Umsatz von fast 4,9 Milliarden Euro und einem sinkenden Transportvolumen nur einen Gewinn von 46 Millionen Euro erzielte – trotz mannigfaltiger Effizienzprogramme. Zuletzt rutschte sie ins Minus. Dabei hat die Bahn im Schienengüterverkehr mit mehr als 78 Prozent Marktanteil eine starke Position. Vor allem bei Massenware ist sie stark: Zement, Kalk, Erz oder Kohle.
Mehr Wettbewerb herrscht bei Containern oder Chemieprodukten. Doch der Druck wird wachsen, wenn sich Lang-Lkw durchsetzen sollten. Der umstrittene Test mit Riesenlastern wird auf neue Straßen ausgeweitet, wie das Verkehrsministerium diese Woche mitteilte. Am Feldversuch bis Ende 2016 sind nun zwölf Bundesländer beteiligt. Der Anteil der per Lkw in Deutschland beförderten Güter stieg 2014 laut BAG insgesamt auf 73,1 Prozent. Doch selbst auf der Straße, wo die Bahn mit ihrer Speditionstochter DB Schenker Logistics unterwegs ist, die einen guten Teil des Konzerngewinns einfährt, läuft es nicht richtig rund. Das Ergebnis war 2014 rückläufig, die Rendite hinkt den Wettbewerbern hinterher. Nun wird auch über einen möglichen Verkauf spekuliert.
Bahnexperte Christian Böttger von der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin sieht neben Managementfehlern bei DB Schenker Rail die Ursachen auch bei der Politik: „Die Verkehrspolitik läuft gegen die Bahn.“ Statt den Lkw-Verkehr stärker an den Kosten für die Straßeninfrastruktur zu beteiligen, sei die Maut gesenkt worden. „Das ist kein einfacher Markt für die Bahn“, sagt Böttger.
Simon Frost, Klaus Kurpjuweit, Henrik Mortsiefer