zum Hauptinhalt
Auf dem Weg ins Digitale: Bereits Anfang Juni präsentierte Bahn-Chef Rüdiger Grube neue Dienste für Smartphone und Smartwatches.
© Bernd von Jutrczenka/dpa

Bunter denken: Start-ups sollen der Bahn einen kreativen Schub geben

Die Deutsche Bahn will ihren Datenschatz heben - und dabei von Gründer profitieren. An der Jannowitzbrücke entsteht ein Accelerator. Mit dieser Idee ist der Konzern nicht allein.

Das passt schon. Die riesige halbrunde Fensterfläche öffnet den Blick auf die Spree. Über das Wasser spannt sich die Jannowitzbrücke. Die Decke in den S-Bahnbögen vibriert, als ein Zug in die Station einfährt. Ein Knotenpunkt, dynamisch, mittendrin – hier fühlen sich Start-ups wohl. Jedenfalls hofft Volker Kefer das. Der Infrastrukturvorstand der Deutschen Bahn steht in dem leeren Raum, Boden und Wände sind nackt, es riecht nach Brackwasser.

Im September soll hier alles schick sein. Auf rund 700 Quadratmetern entstehen bis dahin in der „Netzwerkstatt“ etwa 30 Arbeitsplätze, Raum für Meetings und Pitches. Kicker und Tischtennisplatte werden sicher auch nicht fehlen. Die Bahn hat die Start-up-Szene für sich entdeckt – und will von ihr profitieren. In der kommenden Woche treten die ersten Jungunternehmer gegeneinander an, um sich für drei Monate einen Platz in der Netzwerkstatt zu sichern, 25.000 Euro und kostenlose Expertenberatung inklusive: Die Bahn startet ihren Accelerator.

In den Weichen steckt viel Potenzial

Alleine ist sie mit dieser Idee nicht, eher schon ein bisschen spät dran, Accelerator sind in Mode. In ganz Deutschland öffnen sich Großunternehmen, suchen sich unter den frischen Ideen der Gründer jene heraus, die gut zu ihrem Geschäft, zu ihrer Branche passen – und auf die sie selbst wohl nicht gekommen wären. Das Prinzip ist dabei immer gleich. Für einen begrenzten Zeitraum gewähren die Konzerne den jungen Unternehmen Einblick in ihre Strukturen. Sie richten Arbeitsplätze ein, betreuen die Start-ups individuell mit ihren Fachleuten und unterstützen sie finanziell.

„Wir sitzen auf einem riesigen Berg von Daten“, sagt Bahn-Vorstand Kefer an diesem Juniabend in den S-Bahnbögen. Täglich sind auf dem 35.000 Kilometer langen Streckennetz rund 39.000 Züge unterwegs, listet er auf. Jede Steuerung, jede Klimaanlage, jede Weiche produziere Daten. Und aus denen lässt sich einiges ableiten. „Wir haben 70.000 Weichen – wenn nur 99 Prozent funktionieren, ist das schlecht.“

Die Digitalisierung helfe bereits jetzt dabei, die Fehlerquote möglichst gering zu halten. Anhand des Stroms, der durch die Weiche fließt, lasse sich ermitteln, in welchem Zustand sie sich befindet: Der Stromfluss ändert sich schon einige Zeit, bevor das wichtige Schienenelement seinen Dienst versagt – und kann rechtzeitig ausgetauscht werden.

Und da sie auch bei Eis und Schnee funktionieren müssen, verfügen sie über Heizungen, die sich ab einer bestimmten Temperatur selbst einschalten. Damit werde jede einzelne Weggabelung zu einer kleinen Wetterstation, die Daten für Meteorologen produziere.

Eine Frage von Struktur und Kultur

Kefer setzt auf viele Ideen dieser Art. „Wir wollen die Geschwindigkeit und Kreativität der Start-ups mit unseren Daten zusammenbringen.“ An beidem – Geschwindigkeit und Kreativität – mangelt es in Unternehmen ab einer gewissen Größe oft. Die Arbeitsabläufe sind eingeschliffen, schnelle Entscheidungen durch mehrere Hierarchieebenen kaum möglich.

Während Technologieunternehmen wie die Deutsche Telekom oder Microsoft schon seit Langem auf den Lerneffekt durch die Gründer setzen und entsprechende Förderprogramme in Berlin betreiben, tun sich gerade traditionelle Branchen schwer. „Aus der Industrie kommt noch wenig“, berichtet Gisbert Rühl von seinen Erfahrungen. Er ist Chef des Duisburger Stahlhändlers Klöckner und spätestens seit einem Besuch im Silicon Valley vor einiger Zeit überzeugt vom Nutzen der Zusammenarbeit. Damals habe ihn ein Jungunternehmer gefragt, wie sie als Unternehmen, das vom Baugewerbe abhängt, eigentlich mit Wetterdaten umgehen. Gar nicht, musste Rühl zugeben. Er hatte noch nie darüber nachgedacht.

Seither ist viel passiert. Klöckner betreibt zwei Tochterunternehmen in Berlin, die sich um die Digitalisierung des eigenen Geschäfts und um die Finanzierung von Gründerideen kümmern. Vor allem an der Lieferkette lasse sich einiges verbessern. Weil die Abnehmer häufig kleine und mittelständische Betriebe seien, sei die Bedarfskalkulation sehr schwierig. „Wir lagern Stahl für 1,3 Milliarden Euro“, sagt Rühl. Wenn sich das Volumen nur um ein Drittel reduzieren lasse, wäre das „super“. Mit digitalen Tools, die den künftigen Bedarf besser voraussagen können, sei dies möglich.

Der Bahn-Tower ist nicht der richtige Ort

Trotz der Chancen stehen vor allem Mittelständler der Digitalisierung kritisch gegenüber. Betriebsdaten mit anderen Unternehmen zu teilen, um Lieferketten zu verbessern oder Maschinen besser auszulasten, sehen viele von ihnen eher als Bedrohung denn als Innovation, wie Umfragen zeigen. Doch nicht nur deutsche Maschinenbauer tun sich schwer. Selbst Technologiekonzerne aus dem Silicon Valley haben lange gebraucht, um sich den Gründern zu öffnen. Microsoft beispielsweise setzt erst seit relativ kurzer Zeit auf das Open-Source-Prinzip, das es Entwicklern von außerhalb ermöglicht, auf Programmcodes zuzugreifen. Mit dem Berliner Accelerator ist das Unternehmen nach eigenen Angaben jedoch hochzufrieden. Erst in dieser Woche hat der inzwischen dritte Schwung das Programm verlassen. Und mit Sensorberg hat sich eines der Start-ups aus der ersten Runde sogar im neuen Betriebssystem Windows 10 verewigen dürfen.

Auf ähnliche Erfolge hofft nun auch die Bahn. Von den 120 Bewerbern sei man völlig überrascht gewesen. „Wir hätten das niemals gedacht.“ Elf von ihnen dürfen sich am Dienstag präsentieren. Nicht etwa im Bahn- Tower, sondern im Kreuzberger Beta-Haus, einer Keimzelle der Berliner Start-up-Szene. „Wir wollen eben bestimmte Dinge anders machen“, sagt Vorstand Kefer.

Zur Startseite