Gegen die Verödung der Stadtzentren: Wie Altmaier die Innenstädte zu „Erlebnisräumen“ machen will
Der Bundeswirtschaftsminister diskutiert mit dem Handel über Wege, die Innenstädte attraktiver zu gestalten. Sonntagsöffnungen sind eine Option.
Die Debatten um Sperrstunden, Reisen und Beherbergungsverbote dürften die Laune der Gewerbetreibenden in den Innenstädten nicht gerade gehoben haben. Auch wenn sich in Deutschland weder Restaurants noch Geschäfte bislang – von singulären Hotspots abgesehen – als Ansteckungsherde erwiesen haben, sorgt die allgemeine Verunsicherung in vielen Geschäften für noch weniger Kunden als ohnehin schon.
Dass die Politik dabei gerne strenger reguliert, als es die Gerichte für zulässig erachten, hilft den Händlern am Ende kaum. Nach Angaben des Einzelhandelverbandes HDE könnten am Ende der Krise bis zu 50.000 Geschäfte vom Markt verschwunden sein. Wer geht schon gerne shoppen, wenn die Kanzlerin zum Zuhause-Bleiben aufruft?
Um den Gewerbetreibenden in den Innenstädten dennoch eine Perspektive zu bieten, hat Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) am Dienstag Branchenvertreter eingeladen. Denn dass die Innenstädte veröden, ist nicht erst seit der Coronakrise ein Problem, sondern wird spätestens seit dem Aufkommen des Onlinehandels beklagt.
Doch so soll es nicht bleiben. „Erlebnisräume“ mit Kultur und Gastronomie sollten geschaffen werden, sagte Altmaier nach dem Treffen. Zudem soll kleinen Geschäften bei der Digitalisierung geholfen werden.
Was steckt hinter den blumigen Phrasen?
„Unsere Innenstädte sind ein wichtiger Teil unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens und unseres Wirtschaftsstandortes“, sagte Altmaier. „Sie sollen wieder Lieblingsplätze für die Menschen werden.“ In den nächsten Monaten sollen nun in Workshops Ideen zu den Themen „Innenstädte und Digitalisierung des Handels“, „kreative Neu-Nutzung leerstehender Ladengeschäfte“ und „Entwicklung von Stadtteilkonzepten“ gesammelt werden.
Was sich hinter dieser Ansammlung blumiger Phrasen verbergen soll, lässt sich anhand sogenannter Best-PractiseBeispiele erahnen, die das Wirtschaftsministerium zusammengestellt hat. Dort findet sich ein Click-und-Collect-Service aus Mönchengladbach, bei dem online bestellte Kleidung an einem zentralen Ort in der Innenstadt anprobiert, mitgenommen oder direkt zurückgeschickt werden kann. Diesen Ort können Kunden bei der Bestellung auswählen.
Ebenfalls erwähnt wird Südtirol, wo Daten genutzt werden, um Besucherströme zu prognostizieren. Zudem ist viel von Stadtmarketing und Aufwertung von Stadtzentren die Rede. Doch all das kostet Geld. Der HDE fordert deshalb schon lange ein 100-Millionen-Euro–Paket, mit dem die Digitalisierung des stationären Handels vorangetrieben werden soll.
"Es geht nicht um Subventionen"
Die Coronakrise macht das besonders dringlich. „Es geht hier nicht um Subventionen“, sagte HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth nach dem Treffen mit Altmaier. „Es geht darum, Unternehmen zu helfen, die durch die Corona-Krise unverschuldet in Not geraten sind und nun keine finanziellen Mittel mehr haben, um in ihre Zukunft zu investieren.“
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Vor allem Mittelständler seien auf einen solchen Digitalisierungsfonds angewiesen. Wichtig sei zudem daher, dass die Bundesregierung ihre Überbrückungshilfen für kleine und mittelständische Unternehmen ins Jahr 2021 hinein verlängere.
Altmaier signalisierte hier Zustimmung, im Kabinett ist das allerdings noch nicht beschlossen. Schon am Sonntag hatte der Wirtschaftsminister angekündigt die Überbrückungshilfen so umzudeklarieren, dass beispielsweise Gastronomen Unterstützung bei der Bewirtschaftung von Außenflächen auch im Winter erhielten.
Verkaufsoffene Sonntage in der Vorweihnachtszeit?
Der Wirtschaftsminister stellte sich noch in einem anderen Punkt an die Seite der Gewerbetreibenden: bei den Sonntagsöffnungen. Das habe er bereits nach dem Lockdown im März und April angeregt. „Für mich ist eine einheitliche Regelung für das Weihnachtsgeschäft nach wie vor das, was ich gerne anstreben möchte“, sagte er und kündigte an, das im Bundeskabinett erneut vorzuschlagen.
Damit sprach er Tina Müller, Geschäftsführerin von Douglas, aus dem Herzen, die ebenfalls an dem Treffen teilgenommen hatte. „So würden sich die Besucherströme noch besser entzerren“, sagte sie. Müller zeichnete noch ein größeres Bild, um zu illustrieren, wie die Geschäfte in den Innenstädten auch im Online-Zeitalter ihre Bedeutung behalten könnten.
„Man müsste die gesamte Ware der Innenstädte auf einer Plattform digitalisieren“, schlug sie vor. Natürlich müsse man die Händler dabei schulen, um jeden davon zu überzeugen, doch dann könne man auf diesem Wege die Vorteile von Online- und Offline-Shopping verbinden. „Stationärer Handel ist mehr als Produktabverkauf“, sagte sie. „Es ist Erlebnis, Service, Beratung, Begegnung.“
Gewerbemieten in den Innenstädten sehr hoch
Der deutsche Städtetag hatte vor einigen Wochen noch einen anderen Hebel ins Spiel gebracht, um die Innenstädte auch für kleinere Händler attraktiv zu machen: die Gewerbemieten. Da es hier nach wie vor keinerlei Deckelung gibt, können sich häufig nur noch große Konzerne die besten Lagen leisten.
Im Sinne einer guten Durchmischung plädiert der Städtetag für einen Bodenfonds. Damit könnten Kommunen leichter Immobilien in zentralen Innenstadtlagen vorübergehend erwerben. Insgesamt fehle es derzeit an Geld. "Um die Innenstädte gezielt zu stärken, brauchen wir auch mehr Städtebauförderung durch Bund und Länder als die derzeit 790 Millionen Euro", sagte Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, dem Tagesspiegel. "Wir brauchen wieder mehr Menschen, die in den Innenstädten wohnen und arbeiten und nicht nur zum Einkaufen dorthin kommen."
Dem Ziel der Durchmischung schloss sich Genth nach dem Treffen mit Altmaier an und nahm gleich den nächsten Unions-Minister in die Pflicht: „Bundesbauminister Horst Seehofer ist hier am Zug.“