Innenstädte leiden unter Corona: Schluss mit der Konsum-Verteufelung
Die Menschen wollen belebte Innenstädte. Lange hat man die im Kampf gegen Onlinehändler allein gelassen. Jetzt will Minister Altmaier etwas tun. Ein Kommentar.
Es sind ungewöhnliche Mahnmale, die ab dem Ende dieses Monats in vielen deutschen Städten stehen werden. 35 ehemalige Kaufhäuser von Karstadt Galeria Kaufhof werden in ihrer Dunkelheit und ihrer Verlassenheit alle Passanten daran erinnern, was hier fehlt: ein florierendes, lebendiges vielfältiges Stadtleben.
„Die Corona-Krise wirkt auf die Probleme der Innenstädte wie ein Brandbeschleuniger“, sagte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) am Dienstag anlässlich des Treffens mit Handelsvertretern, bei dem er eben jene Probleme angehen wollte. Damit hat er recht. Er kann mit dieser Wortwahl allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Feuer schon davor lichterloh entflammt war – und er wenig dafür getan hat, um es zu löschen.
Die Funktion der Innenstadt wird in der öffentlichen Debatte seit Jahren romantisiert – und damit verkannt. Da ist vom Schlendern durch die Fußgängerzone die Rede; davon, dass man sich am Trubel unter glitzernder Weihnachtsbeleuchtung erfreut. Doch der museale Blick auf bilderbuchhafte Fußgängerzonen hilft nicht weiter. Für die wenigsten Besucher ist die Fahrt in die Innenstadt ein Selbstzweck. Sie gehen dorthin, wenn sie dort etwas einkaufen oder etwas erledigen können. Der historische Kern der Städte ist der Handel. Und davon leben sie noch heute.
Dass Konsum mit Blick auf Nachhaltigkeit inzwischen per se negativ konnotiert ist, trug dazu bei, dass der Aufstieg von Onlinehändlern, von Amazon und Co. verteufelt wurde, statt daraus zu lernen, warum die Leute massenweise online einkaufen. Natürlich machen hohe Kundenorientierung, Kommunikation und stetige Weiterentwicklung Arbeit, doch die Kunden würden es auf offline honorieren. Die Mehrheit der Deutschen wünscht sich belebte Innenstädte zurück. Dass sie Kern unseres Zusammenlebens sein sollten und sich eine Gesellschaft hier spiegelt, ist unstrittig. Doch es muss klar sein: Erst muss das Angebot stimmen, dann wird es belebt.
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Was kurzfristig helfen würde, ist zudem eine andere Wortwahl der Politiker. Auch wenn Gerichte derzeit reihenweise Einschränkungen wieder kippen, bleibt nicht ohne Resonanz, wenn die Kanzlerin sagt, man solle „wenn immer möglich“ zuhause bleiben. Sie bedroht damit die Lebensgrundlage tausender Händler und Gastronomen, deren Geschäft bislang nicht als Infektionstreiber aufgefallen ist. Desgleichen auch die Pläne, eine Maskenpflicht in Fußgängerzonen auszurufen. Jede neue Maximalforderung, egal, ob sie danach eingeführt wird oder nicht, trägt weiter zur Verunsicherung bei. Es wäre an der Zeit, auch mal zu sagen, was man darf.
Thorsten Mumme