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Handwerk in der Haft. In der JVA Tegel gibt es eine Tischlerei, Malerei, Sattlerei, Polsterei und Schlosserei.
© Doris Spiekermann-Klaas

Besuch hinter Gittern: Wer im Knast arbeitet, grübelt nicht

Die meisten Häftlinge arbeiten, manche machen eine Ausbildung. So haben sie etwas zu tun – und es bereitet sie auf das Leben danach vor. Was nicht immer klappt.

Tag für Tag fegt er draußen den Hof, kehrt Laub und Müll zusammen, sorgt für saubere Wege. Für 390 Euro im Monat. Dass er den Job bekommen hat, sagt Alexander T.*, macht ihn stolz, denn das heißt, man vertraut ihm. Er kann morgens später anfangen als die anderen, darf sich frei bewegen. Bis hin zur Mauer, die sein Leben seit vier Jahren und zwei Tagen umgibt.

Der 28-Jährige ist Gefangener in der Justizvollzugsanstalt Tegel und erzählt an diesem Vormittag von seinem Leben im Gefängnis und seinen Plänen für die Zeit danach. „Wenn ich hier raus bin, will ich eine Ausbildung zum Sport- und Fitnesskaufmann machen“, sagt der durchtrainierte junge Mann mit den zurückgekämmten Haaren. Er hat hier drin seinen mittleren Schulabschluss nachgemacht, eine Lehre zum Bäcker angefangen, wieder abgebrochen, und gearbeitet. Was er muss.

In Deutschland sind Strafgefangene nach Paragraph 41 Strafvollzugsgesetz zur Arbeit verpflichtet. Auf dem Gelände der JVA Tegel gibt es deswegen eine Bäckerei, Buchbinderei, Malerei, Sattlerei, Polsterei, Tischlerei, Glaserei, Schlosserei, Gärtnerei und Schuhmacherei.

Schon während der Untersuchungshaft in Moabit werden seit diesem Jahr die Kompetenzen der Strafgefangenen festgestellt: Was hat derjenige bislang gemacht, wie gut kann er lesen und schreiben, was sind seine handwerklichen Fähigkeiten und Interessen. Danach übernehmen vier Mitarbeiter der Arbeitsagentur die Beratung in den Berliner Haftanstalten, was bundesweit einmalig ist. Einer von ihnen ist Michael Topfstedt.

Als der 37-Jährige vor vier Jahren mit dem Job begann, war er schon etwas vorsichtig. „Ich weiß: Bloß keine Gefälligkeiten, keine falschen Versprechen und immer eine gewisse Distanz wahren“, sagt er in seinem Büro in der JVA Tegel, Erdgeschoss, Teilanstalt III. Die Inhaftierten werden von einem Justizvollzugsbeamten entweder zu ihm gebracht, nachdem sie ihn schriftlich um einen Termin gebeten haben oder er besucht sie allein in ihren Zellen. „Manche bieten mir erstmal einen Kaffee an“, erzählt er.

Manche Häftlinge studieren hier auch Jura

Im Gefängnis bedeutet Arbeit, Geld zu verdienen. Nicht viel, aber genug, um sich Zigaretten, Schokolade oder Kaffee zu kaufen, um zu telefonieren, Schulden zu begleichen, etwas für die Zeit in Freiheit anzusparen. Arbeit bedeutet, etwas zu tun zu haben, nicht allein zu sein. Wer nicht arbeitet, sitzt die acht Stunden eingeschlossen in seiner Zelle. Ohne Beschäftigung. Durch Arbeit bekommt der Tag im Gefängnis eine Struktur.

Wie wichtig eine Beschäftigung für die Insassen ist, wird auch in der aktuellen Lichtblick-Ausgabe deutlich, der auflagenstärksten Gefangenenzeitung in Deutschland. In einem Artikel kritisiert ein Redakteur, dass Häftlinge in der JVA immer mal wieder vergeblich nach Arbeit suchen würden. Dabei sei Arbeit im Knast doch noch bedeutender als sie es ohnehin schon sei. Habe man keine, stelle man seine "Nützlichkeit in Frage und fange an zu grübeln". Ja, sitze ein Häftling nur in seiner Zelle, in seinem "Kerker der Einsamkeit", würde sich "gefährlicher Stress" zusammenbrauen. "Zeit ist letztlich die Währung, mit welcher unser Leben abgegolten wird", schreibt der Redakteur.

Zehn der 800 Häftlinge sind statt zu arbeiten an der Fern-Uni Hagen eingeschrieben, auch mit Jura. Hundert machen eine Teilqualifizierung, Umschulung oder Ausbildung – zum Beispiel zum Koch oder Kfz-Mechatroniker. Dafür muss die Haftstrafe allerdings lang genug sein: Die Lehre dauert 27 Monate. In der anstaltseigenen Werkstatt ist an diesem Tag kein Azubi. Nur der Ausbilder ist da und Probleme an wie sie überall von Unternehmern geschildert werden: Es gab Zeiten, da konnte man sich aus den Bewerbern die Besten raussuchen. „Heute müssen wir nehmen wer kommt“ sagt er. „Ich bin schon froh, wenn jemand einen Hauptschulabschluss hat. Viele haben vorher nur Mist gebaut.“

Die Knast-Azubis verdienen 400 Euro im Monat. Gestern ist zum ersten Mal einer durch die Zwischenprüfung gefallen. Zwar können sie sich hier nicht mit einem Smartphone vom Lernen ablenken, aber dafür ist es in den Gängen laut, und wie Alexander T. erzählt, sind „Drogen an der Tagesordnung.“ Am Ende der Ausbildung wird die Prüfung von der Industrie- und Handelskammer abgenommen. Die Zeugnisse sind die gleichen wie in einem normalen Betrieb. Wegen des Fachkräftemangels – vor allem im Handwerk – sollen die Gefangenen ganz gute Chancen haben, später einen Job zu bekommen.

Vor seiner Arbeit im Gefängnis war Topfstedt fünf Jahre lang in einem Jobcenter tätig. „Im Vergleich dazu finde ich meinen Job hier nicht gefährlicher“, sagt er. Der Ton sei zwar mal rau, aber er wurde noch nie bedroht oder angegriffen. Anders als im Jobcenter, wo Mitarbeiter immer mal wieder beleidigt und bespuckt werden. Die Inhaftierten müssen auch nicht zu Topfstedt kommen, weil ihnen ansonsten Sanktionen drohen. Sie kommen, weil sie es wollen.

Die Arbeit im Gefängnis bietet ihm mehr Freiheiten

Topfstedt kann sich vorstellen, seinen Job bis zur Rente zu machen. Die Arbeit im Gefängnis biete ihm mehr Freiheiten. So seltsam das klingt. Er kann den Häftlingen eine Perspektive aufzeigen, eine erneute Straffälligkeit minimieren und somit die Gesellschaft schützen. Irgendwann sind die Straftäter ja wieder draußen, sind Nachbarn und Arbeitskollegen. „Hin und wieder sehe ich Ex-Häftlinge in der U-Bahn“, sagt Topfstedt.

Die Löhne der Gefangenen in der JVA Tegel liegen zwischen 9,64 Euro und 16,07 Euro. Am Tag. Oliver Rast hat hier deswegen vor zweieinhalb Jahren, als er Insasse war, Deutschlands erste Gefangenengewerkschaft gegründet. Seitdem setzt er sich dafür ein, dass Inhaftierte den gesetzlichen Mindestlohn bekommen und Rentenbeiträge abführen können, um sich vor Altersarmut zu schützen. Für ihn ist die Arbeit hier „Ausbeutung“.

Für die Justiz ist sie Erziehung und Resozialisierung. Der letzte Schritt, um den Gefangenen wieder in die Gesellschaft einzugliedern, ist der offene Vollzug. Eine Anstalt dieser Art ist die JVA Düppel in Zehlendorf, wo Topfstedt ebenfalls ein Büro hat. Hier berät er nicht nur, sondern guckt mit den Häftlingen nach Stellen in echten Unternehmen, hilft ihnen, sich dort zu bewerben. Im Idealfall verlässt der Gefangene morgens die Haftanstalt, geht zur Arbeit, kommt abends wieder. Die meisten üben Hilfsjobs aus – etwa auf dem Bau oder in einem Reinigungsunternehmen. Viele arbeiten bei einer Zeitarbeitsfirma. Nur einer der 185 Gefangenen macht nichts.

Eine Statistik des Bundesministeriums der Justiz belegt: Jeder Dritte wird in den ersten drei Jahren nach seiner Entlassung wieder straffällig. Die Wahrscheinlichkeit sinkt, wenn jemand nach der Haft mehr in seinem Lebenslauf stehen hat als vorher. Denn: Ohne Qualifikation kein Job, ohne Job kein Geld, und ohne Geld rutschen viele Straftäter nach ihrer Entlassung wieder in die Kriminalität ab.

Sabrina T*. arbeitet bei dem Berliner Projekt „Munia“, das haftentlassene und unter Bewährungsaufsicht stehende Frauen und Männer bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt begleitet. Aus ihrer Erfahrung sagt sie: Vielleicht würden es 60 Prozent schaffen, einen Job zu finden, was aber nicht heiße, dass sie den auch durchziehen. „Viele kriegen das mit dem von neun bis fünf Uhr arbeiten ohne die Struktur, die sie in der Haft hatten, nicht hin“, sagt sie. Sie würden arbeitslos werden. Oft auf Dauer. Und wenn überhaupt fänden die meisten Ex-Häftlinge auch nur einfache Jobs, bei denen gerade mal der Mindestlohn gezahlt werde.

Der Strafgefangene Alexander T.* will es schaffen. Er hat einen Plan für seine Zukunft. Und einen Plan B. „Wenn ich das mit der Ausbildung verkacke“, sagt er, „gehe ich weg aus Berlin, fange irgendwo, wo mich niemand kennt, neu an.“ Innerhalb der Mauern kommt er klar, hält sich von Schwierigkeiten fern. Ob das in der echten Welt da draußen klappt, wird er bald sehen. Als er die JVA Tegel im Sommer zum ersten Mal für ein paar Stunden verlassen durfte, wurde ihm schwindelig. „Dabei hat sich bis auf ein paar neue Gebäude und mehr Flüchtlinge nichts geändert“, sagt er. Doch da waren so viele Menschen, Autos, viel zu viele Reize. Und die Luft war so anders.

*Namen von der Redaktion geändert

Marie Rövekamp

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