Buhlen um Banker: Welche Finanzplätze London ersetzen könnten
Infolge des Brexits könnten die Banken 80.000 Jobs aus London abziehen. Finanzplätze wie Frankfurt, Paris, Luxemburg und Dublin wollen daher nun die Brexit-Gewinner werden. Welche Städte gute Chancen haben.
Die Investmentbanker haben sich verzockt. 440 Millionen Euro hat Goldman Sachs darauf gesetzt, dass Großbritannien in der EU bleibt. So viel lässt sich das US-Institut nämlich gerade den Neubau seiner Europa-Zentrale im Zentrum Londons kosten. 2019 soll das neunstöckige Gebäude fertig werden. Doch jetzt, nachdem die Briten für den EU-Austritt gestimmt haben, ist offen, wie viele der 8000 Londoner Goldman-Sachs-Banker tatsächlich in drei Jahren in das neue Bürohaus umziehen werden. Viele Großbanken überlegen bereits, London zu verlassen. Die britische Großbank HSBC hat angekündigt, ein Fünftel ihrer Arbeitsplätze nach Frankreich verlagern zu wollen: 1000 Jobs könnten von London nach Paris wandern. Auch die Schweizer UBS will ihren Europa-Sitz verlegen – vermutlich nach Frankfurt am Main.
Die Banken drohen den EU-Pass zu verlieren
Denn tritt Großbritannien aus der Staatengemeinschaft aus, dürften die Banken den für sie so wichtigen EU-Pass verlieren. Der garantiert ihnen bislang, dass sie von London aus ihre Dienstleistungen auch in jedem anderen EU-Land anbieten können. Sie brauchen also keine separate Zulassung, um etwa in Deutschland, Frankreich oder Italien Firmen beim Börsengang zu begleiten, um dort Anleihen auszugeben oder Zertifikate zu verkaufen. Zwar wird die britische Regierung alles daransetzen, um den EU-Pass für die Banken nach dem Austritt zu erhalten. Doch ob Staaten wie Deutschland oder Frankreich gewillt sein werden, ihnen einen solchen Sonderstatus zu gewähren, ist sehr fraglich.
Deshalb sehen sich Banken verstärkt in Europas Großstädten um – und werden mächtig umworben. Die Liste der Städte, die Banken aus London anlocken wollen, ist lang. Frankfurt, Paris, Dublin und Luxemburg gelten als aussichtsreiche Kandidaten. Aber auch in Madrid, Amsterdam und Warschau macht man sich Hoffnungen. Schließlich geht es um viel. 80 000 Jobs könnten aus London in andere Städte verlagert werden, schätzen Experten. Jean-Louis Missika, VizeBürgermeister von Paris, verspricht daher: „Wir werden den britischen Banken den roten Teppich ausrollen.“
Frankfurt wirbt bereits aktiv um die Banker aus London
In Frankfurt hat man das bereits getan. Direkt nach dem Referendum haben die Wirtschaftsförderer eine neue, englischsprachige Website freigeschaltet. Das Rhein-Main-Gebiet sei eine „Region, in der die Welt zu Hause ist“, heißt es da. Schon jetzt kämen 28 Prozent der Frankfurter aus dem Ausland. Museen, Theater, Wein und Golf – all das habe die Region zu bieten. Dazu erklären die Macher das deutsche Schulsystem, geben Tipps für die Wohnungssuche. Wer weitere Fragen hat, kann eine englischsprachige Hotline anrufen – und zwar 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche.
„Wir halten eine Verlagerung von 10.000 Jobs nach Frankfurt in einem Zeitraum von fünf Jahren für absolut realistisch“, sagt Hubertus Väth, Geschäftsführer der Finanzmarktinitiative Frankfurt Main Finance, selbstbewusst. Glaubt man der Unternehmensberatung BCG, halten auch führende Bankmanager Frankfurt für einen der attraktivsten Standorte. Für die Stadt spreche „die ökonomische und politische Stabilität“ sowie die „Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte“, sagt Wolfgang Dörner, Bankenspezialist bei BCG. Frankfurt kann zum Beispiel punkten, weil dort die Europäische Zentralbank sitzt: Sie bestimmt nicht nur das Zinsniveau der Euro-Zone, sondern überwacht auch die großen Geldinstitute. Dazu kommt: „Die meisten Banken haben bereits eine Tochter in Frankfurt“, sagt Rechtsanwalt und Bankenexperte Bernd Geier. Das mache den Umzug leichter – die Institute müssten sich nicht erst um eine Banklizenz bewerben.
Das Problem ist allerdings, dass Frankfurt bei Londoner Bankern nicht gerade beliebt ist. Manche sagen gar, nach Berlin würden sie durchaus umziehen – aber bitte nicht nach Frankfurt. Die „Financial Times“ nennt die Stadt am Main „provinziell“, die „New York Times“ hält sie für „zu langweilig“.
Auch Paris hat einen großen Finanzplatz
Geht es nach der Attraktivität der Stadt, hat Paris bessere Chancen. Zumal die französische Hauptstadt schon jetzt einen sehr großen Finanzplatz hat. Fünf der größten Banken Europas sitzen in Paris. Die dort angesiedelten Fonds verwalten ein Vermögen in Höhe von 1,5 Billionen Euro. Auch werden an keinem anderen Finanzplatz so viele Unternehmensanleihen ausgegeben. Die Franzosen rechnen sich daher gute Chancen aus, Banker für Paris begeistern zu können. Kritiker bemängeln zwar das staatsnahe Wirtschaftssystem und die hohen Steuern. Doch Premierminister Manuel Valls hat bereits versprochen nachzubessern: „In dieser neuen Lage, die sich abzeichnet, wollen wir ein attraktives Frankreich“, sagte er diese Woche. So soll der Satz für die Unternehmenssteuern von 33 auf 28 Prozent fallen.
Die Iren können darüber nur schmunzeln. Sie haben längst niedrige Steuern und locken damit seit Jahren erfolgreich Unternehmen aus dem Ausland an. Vor allem amerikanische Tech-Konzerne wie Google oder Facebook haben ihre Europa-Zentralen unter anderem aufgrund der niedrigen Steuerlast in Dublin angesiedelt. Davon könnten nun auch die Banken profitieren. Dazu kommt, dass man von London aus per Flugzeug besonders schnell in Dublin ist und es anders als in Paris oder Frankfurt keine Sprachprobleme gibt. Bankenexperte Geier hält es dennoch nicht für allzu wahrscheinlich, dass Dublin das neue Finanzzentrum Europas wird. „Wenn Banken als Standort eher eine kleinere Stadt bevorzugen, dann dürfte das eher Luxemburg sein.“
Luxemburg zieht vor allem Fondsgesellschaften an
Das Großherzogtum gilt schon jetzt hinter London als wichtigster Finanzplatz der EU. 143 Banken und tausende Fondsgesellschaften haben dort ihren Sitz. Die Regierung setzt sich aktiv für den Finanzplatz ein. Und auch die Sprache ist kein Problem: Englisch sprechen die Luxemburger ebenso fließend wie Deutsch und Französisch.
Allerdings sitzen in Luxemburg vor allem Fonds-Experten – die Banken aber brauchen Mitarbeiter, die Börsengänge begleiten oder Übernahmen managen. Die Institute wären also darauf angewiesen, dass möglichst viele Mitarbeiter mit umziehen. Hinzu kommt: Das Großherzogtum ist sehr klein. „Es könnte schwer werden, in Luxemburg die nötigen Kapazitäten an Rechtsanwaltskanzleien aufzubauen“, sagt Geier. „Bis vor ein paar Jahren gab es dort an der Universität noch nicht einmal einen eigenen Studiengang für Rechtswissenschaften.“
Geier glaubt deshalb, dass es nicht den einen Brexit-Gewinner geben wird. Die Banken könnten ihre Geschäfte vielmehr verteilen. So bietet sich der Finanzplatz Warschau etwa fürs Backoffice an: Das sind die Bereiche in der Verwaltung, in der die Banker keinen direkten Kundenkontakt haben. „Ein zweites London“, sagt Geier, „wird es so schnell nicht geben.“