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Immer wieder finden Zöllner Geld in Thermoskannen, Verbandskästen, Unterhosen - oder Konservendosen.
© picture alliance / dpa

Erspartes aus Luxemburg: Die Deutschen holen ihr Geld heim

40 000 Euro liegen in seinem Auto unter den Fußmatten. Geld, das er vor dem deutschen Fiskus in Luxemburg versteckt hatte. Doch was, wenn ihn die Grenzer erwischen? Und wenn nicht, wie wäscht er das ganze Geld wieder?

Vor der letzten Herzoperation sei er aufgeregter gewesen, sagt Ernst Seidel, schwarzer Anzug, grauer Kurzhaarschnitt, und steuert auf die deutsche Grenze zu. Er dreht das Klassik-Radio an und will wissen, ob alle in der Limousine angeschnallt sind. Den Notizzettel mit der Adresse der Bank hat er weggeworfen, in einen Mülleimer an der Tankstelle.

Ernst Seidel hat sich immer genau an das gehalten, was ihm sein Bankberater gesagt hat, und deshalb fährt er an diesem sonnigen Vormittag mit leicht erhöhtem Puls auf der Autobahn von Luxemburg Richtung Saarbrücken. Unter den vier Fußmatten der E-Klasse liegen vier weiße Umschläge, alle ohne Aufdruck, gefüllt mit knitterfreien 500er-Scheinen. Lila Bündel, 39 500 Euro.

Der Rentner, der anders heißt, aber anonym bleiben will, holt sein Erspartes nach Hause, mit drei Komplizen im Auto und einem erstaunlich guten Gewissen. „Das machen doch alle“, sagt der Über- 80-Jährige. Bei selbst gebackenem Käsekuchen und Kaffee habe ihm neulich sein Banker erklärt, warum er sein lukratives Auslandsdepot auflösen müsse. „Das mit Luxemburg ist vorbei. Ihr Geld ist dort nicht mehr sicher. Heben Sie es ab.“

Viele Verstecke im Einfamilienhaus

Nun will Seidel die Scheine zu den anderen lila Bündeln legen, er hat viele Verstecke in seinem geräumigen Einfamilienhaus in bester Wohnlage. Seit kurzem hat er auch ein Bankschließfach. Zu oft sei in seiner Gegend eingebrochen worden, sagt er. Und die Alarmanlage vergesse er meist einzuschalten.

Seidel ist der Typ Mensch, der Geschenkpapier mehrfach verwendet und Teebeutel zweimal aufgießt. Urlaub macht er nur in Deutschland, ein paar Tage im Allgäu oder so. Am liebsten bleibt er zu Hause.

Das Ende des über Jahrzehnte gehüteten Bankgeheimnisses bringt Deutschlands Steuersünder in Bewegung, sie räumen ihre Konten ab. Bis zu 400 Milliarden Euro, so schätzt die Deutsche Steuergewerkschaft, sind im Ausland gebunkert, alles am Fiskus vorbei.

Bisher schützte die Anleger in Luxemburg oder Österreich eine anonyme Quellensteuer, die lag 2005 noch bei 15 Prozent der Zinserträge und stieg in Etappen an: seit 2011 beträgt sie 35 Prozent. Drei Viertel der Einnahmen werden an den Herkunftsstaat des Anlegers weitergeleitet, ohne Namen, ohne Kontonummer.

Vorteile des Finanzplatzes

Doch mit der Verschwiegenheit ist bald Schluss. Auch die letzten beiden Blockierer – Österreich und Luxemburg – haben ihren Widerstand gegen den automatischen Austausch von Steuerdaten innerhalb der Europäischen Union aufgegeben. Ab 2017 wird das Bankgeschäft transparenter, Österreich will erst ein Jahr später mitmachen. Das deutsche Finanzamt erhält künftig Daten über Zinserträge, die ein Deutscher mit einem Konto im EU-Ausland erzielt. Auch für Ernst Seidel und sein Depot in Luxemburg wäre es bald eng geworden. Mit der Einführung der neuen EU-Zinsrichtlinie hätte er niemals gerechnet. Erst wird die Atomkraft abgeschafft, dann das Bankgeheimnis, das passt alles nicht in sein Weltbild.

Die Broschüre, die Ernst Seidel um einiges reicher gemacht hat, ist schon ein wenig vergilbt. Sie ist gelocht und ordentlich abgeheftet zwischen all den anderen Bankunterlagen. Die Vorteile des Finanzplatzes Luxemburg werden darin genau erläutert: „Die anlegerfreundlichen Rahmenbedingungen bieten Ihnen als anspruchsvolle Vermögensanleger optimale Voraussetzungen für Ihre private Geldanlage“, heißt es dort. Der Investmentfonds wird als die ideale Anlageform der neunziger Jahre gepriesen. Das liegt nahe, denn als 1993 die Zinsabschlagsteuer in Deutschland eingeführt wurde, flossen die Privatvermögen üppig ins Ausland ab.

Die einen hofieren Steuersünder, andere jagen sie

Das Geld gleiche einem scheuen Reh, warnten die Finanzexperten damals, gerate es in Bedrängnis, dann fliehe es. So kam es dann auch. „Wir waren sehr zufrieden mit den Beratungen“, sagt Seidel, der als Handwerker früher gut verdient und von Fondsmanagement keine Ahnung hat. Seine Hausbank habe damals die Sache mit der Geldvermehrung in die Hand genommen, den Transfer der D-Mark auf eine Dependance im Großherzogtum und die Zusicherung, dass alles schön diskret ablaufe: keine Post, keine verräterischen Papiere, stattdessen ein praktischer Selbstabholservice.

So wurden die Seidels Stammgäste in einer edlen Luxemburger Confiserie, wo es die besten gefüllten Makronen gibt, und sie wurden Stammkunden in der Bank ihres Vertrauens. Wo sie immer kostenlos parken durften, wo sie immer ein freundlicher Herr begrüßte, der Sätze sagte wie „Ich weiß von nichts“ oder „Machen Sie die Portionen möglichst klein“. Nur bei ihrem letzten Besuch fing er an zu klagen, es war das erste Mal. Im Besprechungszimmer, wo es Gummibärchen gibt und Orangensaft, schimpfte er darüber, dass etliche seiner Kollegen gehen mussten, wegen all der Entlassungen. Und dass der Herr Premier und die Politiker ganz bewusst den Weg frei gemacht hätten für die Besteuerung von Kapitalerträgen und somit für den Abschied von vielen Anlegern – leider.

"Zöllnerisches Bauchgefühl"

Die einen hofieren Steuersünder, andere jagen sie. Keine 20 Kilometer von der Luxemburger Grenze entfernt verlässt sich Daniel Schirra an einer Autobahneinfahrt auf sein „zöllnerisches Bauchgefühl“. Das Warnlicht seines Dienstwagens blinkt, er liegt auf der Lauer, jeden Moment bereit, das Gaspedal durchzutreten. „Man scannt alles ab, Auto, Kennzeichen, Insassen“, erklärt der 34-jährige Zolloberinspektor und startet durch, einer silbernen A-Klasse hinterher, ein Pärchen sitzt darin. Die Liste in seiner Brusttasche hilft Schirra beim Entschlüsseln des Kennzeichens. „AK“ steht für Altenkirchen, die beiden kommen aus Rheinland-Pfalz. Die Leuchtanzeige „Zoll“ auf dem Autodach weist dem Mercedes den Weg zum nächsten Parkplatz.

Schirra trägt Uniform und eine leuchtende Schutzweste. Er kennt die Verstecke derer, die nach einer Kurzvisite im Nachbarland mit Geld im Verbandskasten oder der Unterwäsche zurückfahren, auch die Mulde für den Ersatzreifen oder eine leere Thermoskanne sind beliebt. Allein in Luxemburg haben Anleger rund 50 Milliarden Euro deponiert, nicht nur Bargeld, auch Wertpapiere oder Gold, mit diesen Zahlen kalkuliert die Deutsche Steuergewerkschaft.

„Führen Sie Bargeld im Wert von 10 000 Euro oder mehr mit?“, wird das Paar in der A-Klasse gefragt. Die beiden zappeln nervös auf ihren Sitzen, meiden direkten Blickkontakt. Sie hätten nur getankt in Luxemburg, das sei so schön billig dort, sagt der Fahrer und findet erst nach langem Suchen die Quittung. Sie hätten nicht viel Bares dabei, sagt die Beifahrerin und wird noch aufgeregter, als die Kontrolleure ihren Geldbeutel durchsuchen. Wer Summen ab 10 000 Euro pro Person nicht angibt, aber trotzdem damit erwischt wird, muss ein Bußgeld zahlen. Doch weder in der Tasche noch sonst wo im Wagen werden die Kontrolleure vom Hauptzollamt fündig. Nach einer guten Viertelstunde dürfen die beiden weiterziehen. „Gute Fahrt“, wünschen die Zöllner.

50 000 Euro in bar dabei

Weniger glimpflich geht der Stopp für einen Vater und seine Tochter aus Pforzheim aus. Sie haben 50 000 Euro in bar dabei und sind auf dem Rückweg von Luxemburg, wie sie wortreich erklären. „Mein Vater trägt gerne sportliche Taucheruhren“, sagt die Tochter und zeigt auf eine leere Papiertüte samt Visitenkarte von Cartier. Sie hätten das Bargeld zu Hause auf der Bank abgehoben, um in Luxemburg einzukaufen, aber seien sich nicht handelseinig geworden. Der Vater drückt ziemlich verkrampft seine lederne Herrenhandtasche an sich, die Tochter quasselt auf die Beamten ein und schwärmt von den Rabatten im Nachbarland. „Solche Geschichten hören wir immer wieder, oft sind es Lügen“, sagt einer der Zöllner und nimmt in einem beheizten VW-Bus die Personalien auf. Er zählt das Geld, fotokopiert die Banderolen, lässt sich den Kfz-Schein zeigen. „Sie können eine Selbstanzeige machen“, rät er mit Nachdruck und bezweifelt die Geschichte von der Herkunft des Geldes. „In zwei, drei Tagen geht unsere Kontrollmitteilung an die zentrale Finanzbehörde raus.“ Der Rest ist Nervensache: Das Essener Finanzamt für Steuerfahndung und Steuerstrafsachen informiert das zuständige örtliche Finanzamt. Die beiden Pforzheimer müssen mit weiteren Anfragen und Nachforschungen rechnen.

Ihn plagt ein Problem: das Geldwäschegesetz

Der Rentner Ernst Seidel hat Glück. Als er die Grenze passiert, sind weit und breit keine Zöllner zu sehen. Die vier weißen Umschläge bleiben unentdeckt. Ein Aufatmen in der Limousine. „Wieder mal geschafft“, sagt Seidel und drückt beherzt aufs Gas, jetzt will er nur noch schnell heim. Wäre er gestoppt worden, er hätte die Herkunft des Geldes nicht glaubhaft nachweisen können. Auch sein Finanzamt wäre informiert worden.

Doch Seidel plagt ein ganz anderes Problem: das Geldwäschegesetz. Was soll er mit all den lila Bündeln anfangen? Es ist zu viel, um es auszugeben, zumal Seidel nichts übrig hat für Sternerestaurants oder Kreuzfahrten. Sein Lieblingsbanker mit den vielen Tipps hat ihm geraten, immer mal wieder 2000 oder 3000 Euro aufs Konto einzuzahlen, am besten ungerade Beträge, das sei am unauffälligsten. Aber da bräuchte er ja ewig, um die zurückgeholten Summen wieder in den Geldkreislauf einzuspeisen. Auch seiner Frau sind die Bargeldtouren nicht geheuer, sie nörgelt schon seit Monaten. „Das nimmt ein schlimmes Ende“, sagt sie und, dass ihr Erspartes unnütz sei, wenn sie es im Geheimen stapeln müsse.

Verschärfte Regeln für geständige Steuersünder

Ausnahmsweise hört Seidel nicht auf seinen Banker, sondern auf einen Freund, mit dem er früher immer Tennis gespielt hat und dem er traut. „Du hast eine niedrige Rente und hohe Freibeträge, so schlimm wird das bei dir nicht“, hat der gesagt und Seidel überzeugt, das mit den Heimlichtuereien zu beenden. Am besten gleich, denn ab 2015 würden deutlich verschärfte Regeln für geständige Steuersünder gelten. Straffreiheit gibt es dann nur noch, wenn die hinterzogene Summe die 25 000 Euro nicht überschreitet, bislang lag die Grenze bei 50 000 Euro. Bei höheren Beträgen wird künftig nur gegen Zahlung eines happigen Zuschlags von einer Strafverfolgung abgesehen: Ab 25 000 Euro wird ein Aufschlag von zehn Prozent fällig, bei 100 000 Euro sind es 15 Prozent, bei einer Million fordert der Fiskus 20 Prozent mehr. Außerdem verjähren die Taten künftig erst nach zehn Jahren.

Rund 35 000 Selbstanzeigen sind in diesem Jahr bundesweit bei den Finanzämtern eingegangen – ein Rekord. Ganz vorne liegt Nordrhein-Westfalen mit 8585 Steuersündern bis Anfang Dezember, gefolgt von Baden Württemberg mit 7117 Anzeigen. Die Mehreinnahmen allein in diesen beiden Bundesländern liegen bei rund 365 und 497 Millionen Euro. In Berlin gab es bis Mitte Dezember rund 1200 Selbstanzeigen.

Die Finanzämter haben viel zu wenig Personal

Die neuen Steuerregelungen haben jede Menge Kundschaft in die deutschen Kanzleien getrieben. Der Sindelfinger Steuerexperte Markus Füllsack hat früher als Leiter der Straf- und Bußgeldstelle beim Finanzamt Stuttgart strafbefreiende Selbstanzeigen überprüft, heute verfasst er sie für seine Mandanten selbst. „Ich glaube, die wenigsten wissen, wie günstig sie davonkommen können“, sagt Füllsack, der in den letzten Jahren auch viele Rentner beriet. „Da sind dann meist weniger als zehn Prozent der Vermögenssumme weg“, doch die Befürchtungen seien vorab weit darüber hinausgegangen. „Wenn sie das gemacht haben, atmen viele auf“, sagt der Fachanwalt und weiß andererseits aber auch, dass die Finanzämter viel zu wenig Personal haben, um allen Steuerhinterziehern hinterherzuspüren. „In vielen Fällen reicht die Kapazität der Ermittler einfach nicht aus.“

Die Erleichterung spürt auch Ernst Seidel, es ist jetzt alles geregelt. Er hat mit seiner Frau ein Glas Sekt darauf getrunken. Ein paar tausend Euro musste er an den Staat zahlen, womöglich bekommt er einen Teil davon wieder zurück. Das meiste haben sein Steuerberater und der Anwalt verdient. Sein Geld sei wieder weiß, sagt er – und dass er sich die leckeren Makronen aus Luxemburg jetzt eben per Post schicken lasse.

Dieser Text erschien auf der Dritten Seite.

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