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Über die Folgen des Brexits sind sich auch Experten noch uneins.
© Getty Images/iStockphoto
Update

Angst vor dem Brexit: Was ist, wenn sich die EU und Großbritannien nicht einigen?

Beim Brexit droht der Wirtschaft Chaos. Unternehmen versuchen, sich zu wappnen. Und fünf Betroffene erzählen, wie sie sich vorbereiten.

Zum Glück war da in diesem Jahr noch die royale Hochzeit. Wenigstens ein Grund zum Feiern. Wäre die Trauung von Prince Harry und Meghan Markle nicht gewesen – es hätte für Andreas Meyer-Schwickerath nur ein Thema gegeben: den Brexit. Seit Monaten schlägt sich der Geschäftsführer der Britischen Handelskammer in Deutschland mit der Frage herum, was am 29. März 2019 passieren wird. An dem Tag also, an dem die Briten die EU verlassen.

„Der Brexit hält uns ziemlich auf Trab“, sagt Meyer-Schwickerath. Die Zahl der Firmen, die in seinem Verband Mitglied sind, ist seit dem Votum für den EU-Austritt der Briten um zehn Prozent auf rund 900 gestiegen. Sie alle wollen wissen, was sie tun müssen, um mit dem Brexit klarzukommen. Auch Meyer-Schwickerath kann nicht vorhersagen, ob sich Brüssel und London rechtzeitig einigen werden. Deshalb sagt er: „Wir raten Unternehmern, sich auf das Schlimmste einzustellen: einen unkontrollierten Austritt Großbritanniens aus der EU.“

"Nichts ist vereinbart, bis nicht alles vereinbart ist."

Derzeit muss Meyer-Schwickerath vor allem Aufklärungsarbeit leisten. Denn viele Unternehmer verlassen sich darauf, dass es eine Übergangslösung geben wird. Gemeint ist damit eine Phase, in der das Vereinigte Königreich zwar nicht mehr zur EU gehört, aber dennoch weiter wie ein EU-Mitglied behandelt wird. Dabei sagt Stefan Führing: „Darauf kann man sich nicht verlassen.“

Führing muss es wissen, er sitzt in der Brexit-Task-Force der EU-Kommission. Er und seine Kollegen unterstützen Michel Barnier, der als Chefunterhändler der Europäer die Verhandlungen mit den Briten führt. Die Krux: Eine Übergangsphase kann es rechtlich gesehen nur geben, wenn London und Brüssel sich einigen und einen Austrittsvertrag unterzeichnen. Ohne Vertrag keine Übergangsphase. Oder wie Barnier es ausdrückt: „Nichts ist vereinbart, bis nicht alles vereinbart ist.“

Doch die Verhandlungen stocken, weil eine entscheidende Frage weiter offen ist: Wie soll man mit der Außengrenze zwischen Irland und Nordirland umgehen? Die Briten haben Angst um den Frieden, wollen um jeden Preis verhindern, dass es zwischen Irland und Nordirland wieder Grenzposten und Zollkontrollen gibt. Die EU-Kommission hat deshalb vorgeschlagen, Nordirland weiter im EU-Binnenmarkt zu behalten. Mit diesem Kompromiss können sich die Briten aber ebenfalls nicht anfreunden. Schließlich ginge die Grenze dann mitten durchs Vereinigte Königreich.

Wann eine Entscheidung steht, ist unklar. Dabei drängt für die Wirtschaft die Zeit. Käme es tatsächlich am 29. März zum harten Brexit, könnte das für viele Firmen zum Problem werden. Zum Beispiel für diejenigen, die sich als Rechtsform für die britische „Limited“ entschieden haben. „Sie müssen sich jetzt zum Beispiel in eine deutsche GmbH umfirmieren, um auch nach einem unkontrollierten Brexit weiterhin aktiv sein zu können“, sagt Meyer-Schwickerath.

Es werden Kekse und Schokolade gehortet

Andere Schwierigkeiten könnten sich auch auf Verbraucher auswirken – etwa bei Medikamenten. Nach einem harten Brexit dürfte Arznei, die in Großbritannien zugelassen wird, nicht mehr in der EU verkauft werden und umgekehrt. Impfstoffe zum Beispiel, die auf der Insel hergestellt werden, müssten in der EU erneut überprüft werden. Das kostet Zeit und Geld. Ein Problem, an dem auch die Umsiedlung der Zulassungsbehörde Ema von London nach Amsterdam nur zum Teil etwas ändert.

Die Briten legen deshalb angeblich schon Notfalllager mit Medikamenten an, um Patienten nach einem harten Brexit weiter versorgen zu können. Auch in anderen Bereichen bauen britische Konzerne Notrationen auf. Der Süßwarenkonzern Mondelez etwa hortet Kekse und Schokolade, um den Briten weiter Oreos und Milka liefern zu können.

Industriekonzerne wie Siemens, Airbus und BMW stehen dagegen vor anderen Problemen: Bevor sie ihre Waren zusammensetzen – seien es Autos oder Flugzeuge –, passieren die Einzelteile oft mehrfach die britische Grenze. Fällt darauf von einem Tag auf den anderen ein Zoll an, wäre das extrem teuer. Airbus droht deshalb bereits damit, sich von der Insel zurückzuziehen.

Auch für Touristen könnte es teurer werden

Inwiefern Zollkontrollen aber sofort vom ersten Tag des Austritts an durchgeführt werden könnten, ist noch fraglich. Die Behörden warnen bereits vor extrem langen Staus an der Grenze. In Dover, wo die Fähren aus Calais ankommen, sollen schon große Parkplätze geplant werden, um die Lkws an der Grenze warten lassen zu können.

Auch für Briten, die nach einem unkontrollierten Brexit die EU als Touristen besuchen wollen, dürfte sich einiges ändern. So könnte etwa alldenjenigen die Einreise verwehrt werden, deren Reisepass nur noch weniger als sechs Monate gültig ist. Auch könnten britische Führerscheine nach dem Brexit in der EU nicht mehr anerkannt werden.

Auf Menschen, die in Großbritannien arbeiten oder enge Verbindungen auf die Insel haben, hat der Brexit ganz konkrete Auswirkungen. Wir haben fünf von ihnen gefragt, wie sie sich auf die Zeit nach dem 29. März vorbereiten, und ihre Antworten protokolliert:

Tori Wickes, Bäckerin aus Middlesbrough

„Ich bin nach Berlin gekommen, um in einer Bäckerei zu arbeiten. Im Norden Englands, wo ich herkomme, gibt es nur wenige Jobs, und in London war mir das Leben einfach zu teuer. Warum also nicht ins Ausland? Die Lebensqualität in Berlin ist hoch, mittlerweile habe ich mir hier ein Leben aufgebaut. Das möchte ich nicht aufgeben. Und das muss ich auch nicht, ich habe nämlich großes Glück. Mein Cousin hat mir am Tag nach der Brexit-Wahl geschrieben: ,Mach dir keine Sorgen, wir können Iren werden.‘ Mein Großvater kommt dort her, sodass ich einen irischen Pass beantragen konnte. Und seit Januar habe ich die Gewissheit, dass ich ihn auch bekomme. Die Brexit-Verhandlungen verfolge ich mittlerweile gar nicht mehr. Die sind sowieso nicht konstruktiv, sondern eine Schlammschlacht.“

Thomas Schneider, Gründer (Brickvest)

„Als Online-Plattform für Immobilieninvestments würde uns ein harter Brexit die Geschäftsgrundlage in Europa entziehen. Das Problem sind die notwendigen Finanzlizenzen. Mit denen wäre es nämlich wie mit dem Führerschein. Aktuell haben wir den britischen Führerschein, der in allen EU-Ländern gilt. Gibt es keine Einigung, dürften wir mit dem aber nicht mehr in der EU herumfahren. Aus diesem Grund haben wir schon früh damit begonnen, Teile unseres Büros von London nach Berlin zu verlegen. Drei Mitarbeiter sind schon dort, sechs oder sieben kommen noch nach. Auch eine neue Lizenz haben wir schon beantragt – allerdings in Frankreich, weil sich die Zusammenarbeit mit der deutschen Bafin komplizierter gestaltet als mit der französischen Finanzaufsicht. Den Brexit merken wir aber jetzt schon. Investments in Londoner Bürogebäude bieten wir aktuell nicht mehr an, weil wir befürchten, dass vor allem in London die Immobilienpreise drastisch sinken könnten.“

Lucy McMahan, Lehrerin aus Lincolnshire

„Ich bin mit meinem Mann und unseren zwei Kindern vor gut zwei Jahren aus den USA nach Berlin gekommen, weil ich eine Stelle als Lehrerin an der International School angeboten bekommen habe. Wir wollten näher an meinen Eltern sein, die in Großbritannien leben. Ich bin über das Ergebnis des Referendums wirklich entsetzt. Ich glaube, die Leute wussten gar nicht, was sie angerichtet haben. Um meine persönliche Zukunft mache ich mir keine Sorgen.

Ich bin sicher, dass ich wegen meines Jobs an der International School ein Visum bekommen würde und hier weiter arbeiten kann. Man braucht an der Schule ja jemanden, dessen Muttersprache Englisch ist. Mein Mann und ich spüren die Folgen des Brexits eher auf unserem Bankkonto. Unsere Ersparnisse sind zusammengeschmolzen, weil das Pfund an Wert verloren hat. Ich möchte aber nicht mehr nach Großbritannien zurück. Wir möchten mittelfristig gern die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen. Deutschland ist Ausländern gegenüber sehr aufgeschlossen, und ich möchte weiter Teil der EU sein.“

Gregor Herz, Student aus London

Tori Wickes will nach dem Brexit vielleicht Irin werden.
Tori Wickes will nach dem Brexit vielleicht Irin werden.
© Leonhard Rosenauer

„Ich bin vor zwei Jahren für mein Studium nach Berlin gezogen. Da hatte ich bereits vor, hier dauerhaft zu wohnen. Das war kurz vor der Brexit-Abstimmung. Ich habe damals nicht damit gerechnet, dass wir für den Austritt aus der EU stimmen. Jetzt weiß ich nicht so genau, wie es für mich weitergehen soll. Ich verfolge ständig die Nachrichten, um zu sehen, ob sich etwas tut. Natürlich habe ich Angst, dass ich am Ende nicht bleiben kann. Einige Leute in meinem Umfeld bereiten sich schon darauf vor und beantragen die Staatsbürgerschaft in einem EU-Land. Ich habe vielleicht auch die Möglichkeit, einen deutschen Pass zu bekommen, weil mein Vater in Deutschland geboren wurde. Allerdings ist Deutschland, was die doppelte Staatsbürgerschaft angeht, offenbar sehr streng.

Ich versuche mein Studium jetzt so schnell wie möglich abzuschließen. Wenn ich mich beeile, wäre ich zum geplanten Austrittstermin fertig. Es wäre natürlich sehr viel entspannter, wenn ich sicher wüsste, dass ich auch danach bleiben darf. Aber niemand kann einem derzeit sagen, wie es für uns Briten in Deutschland weitergeht. Auch von der Botschaft oder meiner Uni gibt es keine ausreichenden Informationen. Es frustriert mich, nicht zu wissen, woran ich bin. Neben dem Studium habe ich zwei Jobs, und auch da ist noch offen, wie es weitergeht. Mein Arbeitgeber würde mich nach dem Studium gerne übernehmen, aber ich weiß nicht, ob mein Aufenthaltsstatus das erlaubt. Je näher der Brexit rückt, desto nervöser werde ich.“

Balázs Szabó, Gründer (Konetik)

Thomas Schneider spürt den Brexit schon jetzt mit seiner Firma.
Thomas Schneider spürt den Brexit schon jetzt mit seiner Firma.
© Brickvest

„Als wir 2014 unser Start-up gegründet haben, schien uns London genau der richtige Ort dafür zu sein. Dort sitzen viele Investoren und andere Gründer, außerdem dauert es nur wenige Stunden, eine Firma zu registrieren. Doch dann kam der Brexit. Für uns als junge Firma war das ein zusätzliches Risiko. Wir haben uns zum Beispiel gefragt, ob wir langfristig weiterhin Mitarbeiter aus anderen europäischen Ländern einstellen können. Damals haben wir ohnehin schon darüber nachgedacht, ein Büro in Deutschland aufzumachen – aufgrund des Brexits haben wir uns kurzerhand entschieden, gleich unseren Hauptsitz nach Berlin zu verlegen. Das ist der Vorteil, wenn man ein Start-up mit zehn Mitarbeitern hat: Man kann schnell Entscheidungen treffen und die auch umsetzen. Inzwischen haben wir uns aus London komplett zurückgezogen und dort keinen einzigen Mitarbeiter mehr.

In Berlin ist zwar alles etwas bürokratischer als in London – ich wundere mich immer noch über die Menge an Post, die jeden Tag bei uns ankommt –, aber ansonsten haben wir die Entscheidung nicht bereut. Mit unserer Software helfen wir Konzernen, E-Autos in ihre Firmenflotte zu integrieren. Gerade in Berlin ist Elektromobilität ein großes Thema, da sind wir hier genau richtig. Außerdem fällt es uns leicht, neue Mitarbeiter zu finden. Was negativ auffällt: In Berlin sind Investoren eher erst in der späteren Phase der Gründung bereit, Geld zu geben, und nicht schon in der Entwicklungsphase. Dadurch dauert es länger, bis hochtechnologische Innovationen auf den Markt kommen. Ändert sich das nicht, könnte Berlin die Chance verpassen, Start-ups mit weltweit einzigartigen Produkten anzuziehen.“

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