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Der Chef der EU-Kommission Jean-Claude Juncker begrüßt die britische Premierministerin Theresa May in Brüssel.
© Emmanuel Dunand,AFP

EU-Austritt Großbritanniens: Wirtschaft warnt vor Chaos durch ungeregelten Brexit

Export- und Autoindustrie erwarten schwerwiegende Folgen bei einem Brexit ohne Abkommen. Dennoch dürfe es keine Einigung um jeden Preis geben.

Die deutsche Wirtschaft warnt die Politik eindringlich vor einem ungeregelten Brexit. So erwarten Exporteure bei einem Exit Großbritanniens ohne Austrittsabkommen Kosten in Milliardenhöhe. Es bestehe die „reale Gefahr“, dass am Ende eine von beiden Seiten ungewollte Situation entstehe, sagte der Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), Holger Bingmann, am Mittwoch. Ein ungeregelter Austritt Großbritanniens hätte „für Briten und Europäer schwerwiegende Folgen“. Es dürfe aber keine Einigung um jeden Preis geben. Für die deutschen Groß- und Außenhändler stehe nach wie vor der europäische Binnenmarkt an erster Stelle. „Kein einzelnes europäisches Land kann auf der internationalen Bühne auch nur annähernd so viel Einfluss haben wie die EU als Ganzes“, erklärte Bingmann. Allerdings solle auch die EU „nicht so hart verhandeln, dass das Band zwischen ihr und England auf Dauer zerschnitten bleibt“.

Nach Einschätzung der europäischen Autoindustrie wären die Folgen eines ungeregelten Brexits bedrohlich für das gesamte Geschäftsmodell der Branche. Vor dem EU-Gipfel am Mittwochabend richtete der Herstellerverband Acea einen dramatischen Appell an die Staats- und Regierungschefs: „Die Uhr tickt, aber es ist noch nicht zu spät.“ Täglich überquerten 1100 Lastwagen mit Teilen nur für die Just-in-time-Produktion in Großbritannien den Ärmelkanal, erklärte Acea. Sollten sie nach dem Brexit auch nur kurz am Zoll aufgehalten werden, würde das massive logistische Probleme, Risse in der Produktionskette und immense Kosten verursachen.

Appelle an den Realitätssinn

Ein ungeordneter Brexit sei „keine akzeptable Option“, sagte Paul Maeser, Mitglied der Task Force Brexit des Bundes der Deutschen Industrie (BDI) in Berlin. Vor allem die Wertschöpfungs- und Lieferketten seien in einem solchen Fall in akuter Gefahr, warnte Maeser im Interview mit NDRInfo, zahllose weitere Effekte vielfach gar nicht kalkulierbar.

Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), appellierte vor allem an den „Realitätssinn“ der britischen Regierung, die begreifen müsse, wie ernst die Lage tatsächlich sei. „Der Binnenmarkt der EU ist unteilbar, Rosinenpickerei darf es nicht geben.“ Unternehmen und ihre Mitarbeiter bräuchten Planungssicherheit und eine Vorstellung über die künftigen Beziehungen nach dem Brexit.

Streit um die Grenze

Die Bundesregierung bereitet sich nach den Worten von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) konkret auf den Fall eines unkontrollierten Brexits vor. Merkel betonte am Mittwoch in einer Regierungserklärung kurz vor dem EU-Gipfel in Brüssel, es bestünden nach wie vor Chancen auf ein gutes und tragfähiges Austrittsabkommen zwischen Großbritannien und der EU. Ein solcher geregelter Austritt liege im Interesse beider Seiten. Aber die Bundesregierung müsse auf alle Szenarien vorbereitet sein und habe deshalb begonnen, sich mit den Folgen eines Austritts ohne Vertrag zu befassen. Als Beispiele nannte sie die Fragen nach der Behandlung britischer Staatsbürger in Deutschland, etwa Lehrer mit Beamtenstatus, die notwendige Aufstockung von Zoll- und anderen Behörden und die Vermeidung von Nachteilen für Deutsche, die in Großbritannien leben und arbeiten.

Zentraler Streitpunkt ist die Grenze zwischen dem britischen Nordirland und der Republik Irland. Merkel betonte, es gehe nicht nur um die Integrität des europäischen Binnenmarkts, sondern auch um den Erhalt des Karfreitagsabkommens, das den Bürgerkrieg auf der irischen Insel befriedet hatte. Sie bekräftigte zudem die deutsche Haltung, dass Großbritannien nach einem Austritt ein „enger und vertrauensvoller Partner Europas“ bleiben solle. Unnötige Härten müssten vermieden werden. Zugleich müsse aber immer klar sein, dass zwischen Mitgliedern und Nicht-Mitgliedern der Gemeinschaft ein Unterschied bleiben müsse.

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