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Sie dürfen weiterhin geschreddert werden: Männliche Küken.
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Kükenschreddern weiter erlaubt: Warum der Tierschutz bei der Eier-Produktion aufhört

Das Bundesverwaltungsgericht erlaubt das massenhafte Töten von männlichen Küken bis auf weiteres. Politik, Industrie und Verbraucher suchen nach Alternativen.

Geschreddert, vergast, verfüttert: Jedes Jahr werden 45 Millionen Küken in Deutschland direkt nach dem Schlüpfen getötet. Trotz massiver Kritik bleibt diese Praxis vorerst erlaubt, wie ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig am Donnerstag zeigte (Az.: BVerwG 3 C 28.16 und 3 C 29.16). Das Töten der Küken sei allerdings nur noch „übergangsweise“ gestattet, teilten die Richter mit.

Warum werden Küken getötet?

Der Grund für das „Kükenschreddern“, wie es häufig genannt wird, ist das Geschlecht der Tiere. Und hier haben männliche Küken das Nachsehen. Für die Produktion von Eiern werden Legehennen gezüchtet, die kleinen Hähne können diese Aufgabe naturgemäß nicht erfüllen. Doch auch für die Mast sind sie nicht geeignet, weil die auf das Eierlegen spezialisierten Rassen wenig Fleisch ansetzen. Wirtschaftlich lohnt sich ihre Aufzucht also nicht.

Wieso ist so etwas erlaubt?

Nach dem Tierschutzgesetz darf niemand einem Tier „ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen“, seit dem Jahr 2002 steht der Tierschutz sogar als Staatsziel im Grundgesetz. Dass das Bundesverwaltungsgericht das Kükentöten dennoch zunächst weiter erlaubt, liegt daran, dass es nach Meinung der Richter bislang kein serienreifes Verfahren gibt, mit dem die Brütereien das Geschlecht der Tiere schon im Ei bestimmen können.

Gegen ein sofortiges Verbot spreche auch, dass die geringe Gewichtung des Tierschutzes jahrzehntelang hingenommen worden sei und man daher von den Brutbetrieben keine sofortige Umstellung verlangen könne. Dennoch machten die Richter in ihrem am Donnerstag veröffentlichten Urteil deutlich, dass das wirtschaftliche Interessen für sich allein kein „vernünftiger Grund“ für das Töten männlicher Küken sind.

Warum wird das nicht verboten?

Eigentlich sollte das Kükenschreddern schon längst Vergangenheit sein. Vor fünf Jahren hatte der damalige Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU) angekündigt, 2017 sei Schluss. Ein Jahr später vereinbarten Union und SPD im Koalitionsvertrag, dass das massenhafte Töten beendet werden soll. Nordrhein-Westfalen hatte die Praxis bereits 2013 per Erlass verbieten wollen, ist aber damit vor Gericht gescheitert, wie das aktuelle Urteil zeigt.

Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) kündigte am Donnerstag an, das Kükenschreddern „so schnell wie möglich“ zu beenden. „Ethisch ist es nicht vertretbar“, sagt die Ministerin. Klöckner geht davon aus, dass im nächsten Jahr das Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei serienreif ist. Dann gebe es keinen vernünftigen Grund für die Brütereien mehr, männliche Eintagsküken zu töten. Damit greife dann automatisch das Verbot des Tierschutzgesetzes, sagte ein Ministeriumssprecher dem Tagesspiegel. Ab 2020 sei das Töten dann nicht mehr zulässig.

Mitglieder der Tierschutzorganisation Peta protestierten vor der Urteilsverkündung vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. 
Mitglieder der Tierschutzorganisation Peta protestierten vor der Urteilsverkündung vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. 
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In der Politik gibt es heftige Kritik an Klöckner. Die SPD-Fraktion fordert einen konkreten Zeitpunkt und Vorgaben von der Ministerin für die Umstellung. Das sieht auch Ex-Agrarministerin Renate Künast so: „Meiner Meinung nach ist das Kükentöten mit Blick auf das Grundgesetz und das Tierschutzgesetz als Agrarkriminalität zu bezeichnen“, sagte die Grünen-Politikerin dem Tagesspiegel. „Nachdem die Massentierhaltung jahrzehntelang gestützt wurde, muss es jetzt endlich mal eine klare Fristsetzung geben.“

Welche anderen Methoden gibt es?

Derzeit gibt es zwei wissenschaftliche Verfahren, um das Geschlecht des Kükens schon vor dem Schlüpfen zu bestimmen. Beim sogenannten endokrinologischen Verfahren wird den Eiern etwas Flüssigkeit entnommen. Mit dieser Probe kann das Geschlecht ermittelt werden. Die zweite Variante, das spektroskopische Verfahren, arbeitet mit einem speziellen Lichtstrahl, der nach vier Tagen Brut ins Innere des Eies geschickt wird. Aus der Analyse des reflektierten Lichts kann das Geschlecht bestimmt werden.

Beide Wege gelten allerdings noch als ungenau und nicht serienreif. Tatsächlich gibt es erst ein Verfahren, das im November 2018 als „marktreif“ vorgestellt wurde und ab 2020 Brütereien zur Nutzung angeboten werden soll. Das sogenannte „Seleggt Verfahren“ basiert auf dem endokrinologischen Verfahren, wobei hier ein mikroskopisch kleines Loch in das Brut-Ei gebrannt, um die Flüssigkeit zu entnehmen, die anschließend auf das geschlechtsspezifische Hormon Östronsulfat untersucht wird. Die Trefferquote liegt laut Klöckner bei 98 Prozent.

Was können Kunden beim Ei-Kauf tun?

Schon jetzt gibt es im Supermarkt Alternativen zu Eiern, bei deren Produktion Küken getötet wurden. So bieten zahlreiche Märkte Eier aus Brütereien an, in denen auch die männlichen Küken großgezogen werden. So etwa die Marke Bruderküken bei Alnatura, Spitz & Bube bei Rewe oder Henne und Hahn bei Aldi.

Man spricht hier von sogenannten Zweinutzungshühnern, die sowohl für die Eierproduktion als auch für die Mast geeignet sind – allerdings sind die Eier der Hennen kleiner und Hähne wachsen langsamer. In der Bio-Landwirtschaft werden diese Rassen jetzt aber verstärkt eingesetzt, und das Bundeslandwirtschaftsministerium will solche Entwicklungen mit Fördergeldern unterstützen. Alle Ketten zeigen sich mit der Kunden-Nachfrage zufrieden.

Wie sieht es beim Fleisch aus?

Nicht viel besser. Zwar will Klöckner im nächsten Jahr ein staatliches Tierwohllabel mit verbesserten Haltungsbedingungen für Schweine auf den Markt bringen, doch für die Tierhalter ist die Teilnahme freiwillig, und viele Bauern scheuen die hohen Investitionen, die mit dem Umbau der Ställe verbunden sind. Zumal nicht klar ist, ob die Kunden bereit sind, für die bessere Haltung höhere Preise zu zahlen. So dominiert im Lebensmittelhandel mit großem Abstand Fleisch aus Massentierhaltung. Bio-Schweinefleisch hat in Deutschland einen Marktanteil von gerade einmal zwei Prozent.

Geben Kunden Geld für Tierschutz aus?

In kaum einem Bereich wird soviel gelogen wie beim Essen. Im jüngsten Ernährungsreport des Bundesagrarministeriums gaben knapp drei Viertel der Befragten an, dass ihnen die artgerecht Haltung der Tiere wichtig ist. Dafür seien sie auch bereit, deutlich tiefer in die Tasche zu greifen. Ulrich Enneking von der Hochschule Osnabrück hat den Praxistest in 18 Edeka- und NP Discount-Märkten gemacht und ist zu einem ernüchternden Ergebnis gekommen: Nur 16 Prozent der Kunden waren bereit, einen Tierwohlartikel statt konventionell erzeugter Ware zu kaufen. Zudem hätten die Kunden lediglich Preisaufschläge von 30 Cent für die Wohlfühlware akzeptiert. „Die grundsätzliche Bereitschaft im Test mehr Geld für solches Fleisch auszugeben, ist nur bedingt ausgeprägt“, hat der Professor herausgefunden.

Was hält die Leute vom Kauf ab?

Für dieses Verhalten gibt es viele Gründe, etwa Geldknappheit. Menschen in finanziell schwachen Haushalten greifen verstärkt zu Billigfleisch oder zu Fertigprodukten. Das muss aber nicht sein: Weniger Fleisch, mehr Gemüse, aber das Essen selber kochen, wäre eine gesündere und auch nicht teurere Alternative.

Aber auch Menschen mit dickerem Geldbeutel kaufen nicht unbedingt Bio- oder Fleisch von regionalen Höfen mit guter Tierhaltung. Das mag zum einen daran liegen, dass die Kennzeichnung für viele noch immer verwirrend ist, zum anderen daran, dass das Angebot an Biofleisch zu gering ist. Zudem prangern Lebensmitteltests der Stiftung Warentest regelmäßig Keimbelastungen bei Bio-Ware an, während die Discounter häufig gute Testergebnisse einheimsen. Vielleicht ist die Antwort aber auch ganz banal und das gute Gewissen ist weniger stark ausgeprägt als behauptet.

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