Gerichtsurteil zum Kükenschreddern: Profitstreben siegt über Tierschutz
Das millionenfache Töten von männlichen Küken bleibt erlaubt. Eine enttäuschende Entscheidung. Ein Kommentar.
Alle Küken sind klein, gelb, flauschig und süß, aber die männlichen unter ihnen sind darüber hinaus zu nichts zu gebrauchen. Damit haben sie eine große Frage zurück auf die Agenda gebracht. Die Frage nach dem „vernünftigen Grund“.
Ohne „vernünftigen Grund“ dürfe niemand einem Tier „Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen“. So steht es im Tierschutzgesetz – und dass getötet werden ein Schaden ist, wird niemand bestreiten.
Nun werden aber männliche Küken in ungeheuerlichen Größenordnungen ums Leben gebracht, und der „vernünftige Grund“ ist das Geschäftsmodell der Täter. Ob das mit dem Tierschutzgesetz zu vereinbaren ist, darüber musste nach Klagen von zwei Hühnerproduzenten aus NRW das Bundesverwaltungsgericht entscheiden – und ließ mit seinem Urteil die Gelegenheit ungenutzt, einen Pflock zugunsten des Tierwohls einzurammen.
Haarsträubende Methoden werden ernsthaft diskutiert
Die bisherige Praxis darf demnach fortgesetzt werden. Die Richter setzen darauf, dass Besserung in Sichtweite sei: weil die technischen Möglichkeiten, das Kükengeschlecht bereits nach wenigen Bruttagen im Ei festzustellen, allmählich Marktreife erlangen könnten. Das ist eine optimistische Einschätzung. Sie wurde nicht mal mit einer Frist versehen.
Es geht also vorerst weiter wie bisher: Männliche Küken, die für Legehennenzüchter nutzlos sind, werden am Fließband aussortiert und dann geschreddert oder vergast. Das ist als individuelles Küken-Schicksal so betrüblich wie alles andere, was Tiere, die Teil der Lebensmittelindustrie sind, als Existenzperspektive erwarten dürfen. Daran hat der Umstand, dass Tierschutz seit 2002 als Staatsziel im Grundgesetz steht, nichts geändert.
Die Agrarindustrie hat es geschafft, dass auch ihre teils haarsträubenden Arbeitsmethoden ernsthaft als wirtschaftliche Notwendigkeit eingestuft und diskutiert wurden und werden. Neben dem Töten männlicher Küken sind das die betäubungslose Kastration männlicher Ferkel, die Schlachtviehtransporte via Lkw über lange Strecken, oder die generell nicht artgerechten Haltungsbedingungen ohne frische Luft und Weidegang.
Tiere anständig behandeln ist Luxus
Der „vernünftige Grund“ ist stets ein Plus an Profit. Tiere anständig behandeln ist nach dieser Logik ein bilanzschädigender Luxus und somit ein Anliegen, für das es eine besondere Motivation braucht.
Das passt zu den Grundgedanken einer marktwirtschaftlich geprägten Gesellschaft. Führt aber auch zu der abstrusen Tatsache, dass in Fällen, in denen Tierschutzmängel vor Gericht landen, ein erklärtes Profitinteresse zur Strafminderung führt, während es in anderen Fällen zumeist strafverschärfend wirkt.
Diese Diskrepanz moniert unter anderem der Strafrechtler Jens Bülte in einem Gutachten mit dem programmatisch-frustrierenden Titel „Zur faktischen Straflosigkeit institutionalisierter Agrarkriminalität“. Bülte zufolge widerspricht es dem vom Gesetzgeber formulierten Sinn und Zweck des Tierschutzes, „Wirtschaftlichkeitserwägungen ein bedeutendes Gewicht einzuräumen“.
Die Agrarlobby hat großen Einfluss
Genau das ist aber der Fall – und bleibt es nach dem Bundesverwaltungsgerichtsurteil von heute -, wenn vielgestaltige Tierquälereien durch massenweise und gut organisierte Wiederholung alltäglich würden und deshalb für die Unternehmer folgenlos blieben.
Und die Politik tut wahrlich zu wenig, um daran etwas zu ändern. Dabei wäre ihr, allen Umfragen zufolge, die Zustimmung der Bevölkerung sicher. Die Zustimmung der Bauernlobby gleichwohl weniger. Und es gibt den begründbaren Verdacht, dass ihnen letztere in Agrarfragen deutlich näher ist. In einer Analyse des Netzwerks von Agrobusiness und Politik im Auftrag des Naturschutzbunds heißt es: „Die Richtschnur des politischen Handelns orientiert sich anscheinend immer noch an einer Vermeidung von Belastungen für die Landwirtschaft und vordergründig an einer Sicherung der landwirtschaftlichen Einkommen.“
Für Küken ist das keine gute Nachricht.
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