Regierung rettet angeschlagene Airline: Warum der Staat der Lufthansa unter die Flügel greift
Die Rettung der Lufthansa kostet Milliarden. Dafür will der Bund ein Mitspracherecht. Was bedeutet das für den Konzern? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Die Reisebranche inklusive der Fluggesellschaften zählt zu den am stärksten betroffen Sektoren in der Coronakrise. Weltweit bleiben die Flugzeuge am Boden, weshalb die Airlines mit milliardenschweren staatlichen Hilfsprogrammen vor der Pleite bewahrt werden müssen.
Vor Wochen bereits haben sich zum Beispiel Franzosen und Holländer auf Stützungspakete für Air France-KLM verständigt, und die US-Regierung hat ebenfalls Milliardenkredite ausgegeben. Nun geht es um die Zukunft der Lufthansa.
Wie geht es der Lufthansa?
Der Marktführer in Europa hatte den Betrieb fast komplett eingestellt, zeitweise ging nur noch eine Handvoll der 760 Flugzeuge in die Luft. Fast eine Milliarde Euro verlor die Lufthansa zu Beginn der Pandemie pro Monat, inzwischen ist die Summe, auch wegen des breiten Einsatzes von Kurzarbeit, auf 800 Millionen Euro gefallen.
Relativ robust ist die Lufthansa in den Lockdown gegangen, mit rund vier Milliarden Euro an Reserven. Doch die schmelzen im rasanten Tempo dahin. Unter anderem auch deshalb, weil gut 1,8 Milliarden Euro an Ticket-Rückerstattungen fällig sind. Vor zwei Wochen nannte die börsennotierte Airline Details der Verhandlungen mit dem neuen Wirtschaftsstabilisierungsfonds des Bundes (WSF): Neun Milliarden Euro wünschte sich die Konzernspitze um Carsten Spohr.
Was machte die Gespräche so schwierig?
„Der Prozess der politischen Willensbildung dauert an“, hieß es schon vor Wochen in einer Stellungnahme der Airline. Linke und rechte Wirtschaftspolitiker haben spezielle Vorstellungen über die Einflussnahme auf die in den 1950er Jahren als nationale Staatsairline gegründete Deutsche Lufthansa, die erst Ende der 1990er privatisiert worden war. „Wer das Geld gibt, der hat das Sagen“, nach diesem Motto forderten SPD-Politiker mehrere Mandate im Aufsichtsrat und eine Sperrminorität von 25 Prozent der Anteile, wenn der Staat einsteigt.
Für den Wirtschaftsflügel der Union ist das Teufelszeug; Politiker im Aufsichtsrat seien mehr Belastung als Bereicherung. Andere Interessengruppen grätschten von der Seite in die Verhandlungen. Grüne und Klimaschützer hätten gerne konditionierte Hilfen: Nur wenn die Lufthansa sparsame und leise Flugzeuge einsetzt, soll es Geld geben.
Dazu sollte der Konzern auf Inlandsflüge verzichten. Die Gewerkschaften wiederum sind in großer Sorge um die Zukunft der weltweit 138000 Arbeitsplätze im Konzern. Im Gegenzug zur staatlichen Hilfe müsse der Vorstand auf Massenentlassungen verzichten.
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Wie wird der Lufthansa geholfen?
Die Verhandlungen umfassten neben einer stillen Beteiligung einen von der bundeseigenen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) besicherten Kredit. Und es wurde gesprochen über eine Beteiligung des Bundes am Grundkapital. Deshalb wurde auch über verschiedene Varianten von Kapitalerhöhungen gesprochen, darunter ein Kapitalschnitt, um einen Anteilsbesitz von bis zu 25 Prozent plus einer Aktie für den Bund zu schaffen.
Am Donnerstagnachmittag, kurz vor der entscheidenden Sitzung des Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WFS), in dem die Staatssekretäre Jörg Kukies (Finanzministerium) und Ulrich Nußbaum (Wirtschaftsministerium) den Ton angeben, zeichnete sich folgende Lösung ab: Es gibt einen von der KfW verbürgten Kredit über drei Milliarden Euro. Und zwar zu verträglichen Bedingungen.
Zwischenzeitlich gab es Meldungen, wonach der Bund bis zu zehn Prozent an Zinsen verlange; das war offenbar Quatsch. Weitere sechs Milliarden sollen über Kapitalmaßnahmen reinkommen.
Wie viele Anteile bekommt der Bund?
Der Konzern hat sich vorläufigen Angaben zufolge mit den Vertretern der Bundesregierung auf eine Kapitalerhöhung verständigt, in deren Zuge sich der WSF und damit der Bund mit 20 Prozent an der Airline beteiligt. Weitere fünf Prozent plus einer Aktie erwirbt der Bund über eine Wandelanleihe.
Das ist eine festverzinsliche Anleihe, die unter bestimmten Umständen getauscht werden kann in Aktien am Unternehmen. Und zwar zu einem vorab fest vereinbarten Aktienkurs. Zwischenzeitlich war von 2,56 Euro die Rede. Das wäre deutlich weniger als die gut acht Euro, die das Papier am Donnerstagnachmittag an der Börse kostete.
Am Mittwochabend, nachdem Bundeskanzlerin Angela Merkel von einem Abschluss der Verhandlungen „in Kürze“ gesprochen hatte, war die Lufthansa um knapp acht Prozent nach oben geschossen. Die Erleichterung war deshalb groß, weil der Konzern auch eine Insolvenz in Eigenverwaltung in Betracht gezogen hatte. Das wäre für die Aktionäre teurer geworden als die Kapitalerhöhung mit dem Einstieg des Bundes und dem damit verknüpften Verzicht auf Dividenden in den nächsten Jahren.
Was kommt auf die Arbeitnehmer zu?
Drei Gewerkschaften sind in dem Konzern tätig: Die Pilotenvereinigung Cockpit (VC), die Flugbegleitergewerkschaft Ufo sowie Verdi. Die traditionell sehr gut verdienenden Piloten leisten bis 2022 einen Sparbeitrag von 350 Millionen Euro, zumeist nach der Formel: weniger Geld für weniger Arbeit.
Mit Verdi und Ufo laufen die Verhandlungen noch, doch bei den eher schlecht bezahlten Flugbegleitern, bei denen das Management bis zu 20 Prozent sparen will, sind Arbeitszeitverkürzungen ohne Lohnausgleich kaum möglich, wenn die Beschäftigten nicht im Hartz-System landen sollen. Alles in allem befürchten die Gewerkschaften mittelfristig den Verlust von 20000 Arbeitsplätzen im Konzern.
Was passiert als Nächstes?
Nicht nur mit den Gewerkschaften stehen noch Verhandlungen an, auch mit den Heimatländern der Lufthansa-Töchter wird um Geld gerungen. Vereinbart sind bislang 1,4 Milliarden Euro von der Schweiz, die mit der Swiss sozusagen zum Lufthansa-Konzern gehört. Mit Belgien und Österreich könnte es auch bald zu einer Verständigung komme: Für Brussels Airlines stehen 390 Millionen Euro in Rede und bei Austrian Airlines geht es um knapp 800 Millionen Euro. Wenn das alles klappt, dann wäre der Konzern wohl für die Nach-Corona-Zeit gerüstet.
Es wird schwer genug, denn auf dem schrumpfenden Mark werden vor allem die Billigflieger versuchen, Marktanteile aggressiv zu verteidigen. Der Lufthansa-Rivale Ryanair will bereits ab 1. Juli rund 1000 Flüge täglich oder rund 40 Prozent des Vorjahres-Flugplans an den Start bringen. Die Lufthansa wiederum plant im Juni den Verkehr nach und nach auf 14 Prozent des ursprünglichen Volumens hochzufahren.
In der Branche wird ein Flugbetrieb wie zur Vor-Coronazeit frühestens 2023 erwartet. Die Lufthansa geht davon aus, dass im kommenden Jahr noch immer 300 der 760 Konzernmaschinen auf der Parkposition bleiben, 2022 wären es dem Szenario zufolge noch 200. Eine Art Normalbetrieb mit 660 Jets ist dann im darauf folgendem Jahr geplant. Die neue, kleinere Lufthansa hätte als rund 100 Maschinen weniger in der Flotte als vor Corona.
Und von den allein in Deutschland verorteten 70000 Arbeitsplätzen dürften um die 10000 wegfallen. Weitere zehntausende Jobs hängen an den Flughäfen in Frankfurt (Main), München und Düsseldorf am Geschäft der Lufthansa. Und demnächst auch der BER.