Strategiesitzung des Aufsichtsrats: Die Deutsche Bahn muss liefern
Der Bahn-Aufsichtsrat tagt an diesem Donnerstag und Freitag in Berlin – der Vorstand demonstriert Tatendrang, die Regierung wird ungeduldig
Zwei Tage nehmen sich die 20 Aufsichtsräte der Deutschen Bahn Zeit. 200 Seiten stark wird das Dokument sein, das ihre Tagesordnung bestimmt. An diesem Donnerstag um 13 Uhr kommen die Bahn-Kontrolleure im Berliner Bahn-Tower zusammen. Gleich zum Auftakt wird Bahnchef Richard Lutz die Tonlage vorgeben und die Lage des größten Staatskonzerns bilanzieren. Diese Bilanz, an der große Beratungsfirmen mitgeschrieben haben und die mit Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) abgestimmt ist, wird wenig Erfreuliches enthalten. Steigende Schulden, ein riesiger Finanzbedarf, bröckelnde Erträge, häufige Qualitätsmängel und Verspätungen, Auftragsverluste – die Situation bei der Deutschen Bahn (DB) mit ihren weltweit 310000 Mitarbeitern ist ernst.
„Jetzt muss die neue DB-Spitze zeigen, was sie kann“, sagt ein Aufsichtsrat. Drei der sechs Konzernvorstände sind kaum ein Jahr an Bord, auch Lutz ist erst seit gut anderthalb Jahren im Amt, nachdem sein Vorgänger Rüdiger Grube entnervt hingeworfen hatte. Dessen Sanierungskonzept „Zukunft Bahn“ war vor allem im Güterverkehr ein krasser Fehlschlag. Im Personenfernverkehr, so behauptet DB-Chef Lutz, sähe alles noch schlimmer aus, gäbe es das Zukunfts-Programm nicht.
Eine neue Strategie auf 200 Seiten
Wie dem auch sei, nun soll ein neues Konzept den Konzern in Schwung bringen. „Unsere Agenda für eine bessere Bahn“ hat die DB-Spitze das 200-Seiten- Dokument genannt. Darin enthalten sind zahlreiche Ideen und Maßnahmen, wie die Bahn möglichst schnell pünktlicher, effizienter und kundenfreundlicher werden kann. Mitte Dezember sollen bei der nächsten ordentlichen Aufsichtsratssitzung die entsprechenden Maßnahmen beschlossen werden. Spätestens Mitte 2019, so betonte Verkehrsminister Scheuer zuletzt am Dienstag, sollen die ersten Ergebnisse spürbar sein – vor allem im Güterverkehr und bei der Pünktlichkeit der ICE- und IC-Flotte.
„Angesichts der bisher unklaren Strategie und problematischen Geschäftsentwicklung behalten wir uns die Zustimmung vor“, betonte ein Gewerkschafter vor dem Treffen. Und ein Regierungsvertreter mahnt: „Die Bahn-Spitze muss jetzt Prioritäten setzen und uns erklären, was sie wann und in welchem Zeitraum unternehmen will, um die akuten Probleme anzugehen.“ So argumentiert auch Andreas Scheuer. Blankoschecks werde man nicht ausstellen, das DB-Management müsse schon zu erkennen geben, wohin die Reise gehen soll. Das werde gewiss teurer als geplant, heißt es auf der Eigentümerseite. „Aber wir werden das Geld nicht in dem Maße zur Verfügung stellen, wie es gewünscht wird“, sagte ein Aufsichtsrat. Klar ist: Es muss bald etwas geschehen. Besonders im Fern- und Güterverkehr sind die Qualitätsdefizite größer geworden. Beschwerden über Verspätungen nehmen Überhand. „Die Rezepte greifen nicht“, sagte ein Aufseher. Seit Jahren werde von wechselnden Managern viel versprochen, aber zu wenig geliefert.
Hohe Cargo-Verluste trotz guter Konjunktur
So wurde allein bei der verlustreichen Güterbahn DB Cargo in den letzten Jahren schon acht Mal der Produktionsvorstand ausgetauscht, insgesamt gab es rund 30 Wechsel im Vorstand. Trotzdem fährt die größte Frachtbahn Europas weiter dreistellige Millionenverluste ein, die von der Beraterfirma McKinsey konzipierte Zentralisierung gilt bei der Belegschaft als Schuss in den Ofen. „Es fehlen Züge und Lokführer, die Abläufe funktionieren nicht, Ansprechpartner vor Ort wurden abgeschafft und wir haben deshalb massiv Kunden verärgert und verloren“, kritisiert ein verärgerter Aufsichtsrat. Auch der Verkehrsminister fragt sich: Wie kann DB Cargo angesichts der guten Wirtschaftslage so hohe Verluste einfahren?
Bahn-Chef Lutz verweist auf die komplexe Gemengelage. Es fehle an allem: Personal, Fahrzeugen, Infrastruktur. Und am Teamgeist in der Führung des Konzerns, wie Lutz in einem internen Brandbrief vor einigen Wochen kritisierte. Zu hohe Erwartungen dämpft der 54-Jährige vorsorglich: Das ursprünglich für 2018 gesetzte Ziel, dass mindestens 82 Prozent aller Fernzüge pünktlich ankommen, wird verschoben. „Es wird länger dauern als geplant“, sagt der Bahn-Chef.
Vorstand will fünf Milliarden Euro mobilisieren
Die Regierung sieht die Lage mit Sorge. „Die DB steckt in einer schwierigen Lage, da müssen wir uns zusammensetzen“, heißt es bei der SPD. Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) will keine Unruhe im Konzern. Infrastruktur-Vorstand und Ex- Kanzleramtsminister Ronald Pofalla zieht die Strippen zur Politik und soll möglichst viele Steuermilliarden organisieren.
Fast fünf Milliarden Euro zusätzlich will die DB-Spitze bis 2022 mobilisieren, um Engpässe im 33000 Kilometer langen Schienennetz und bei der Qualität zu beseitigen. Lutz spricht von „eigenem Geld“, dabei ist unklar, woher er es nehmen will. Bereits Mitte 2017 hat der Konzern eine Milliarde Euro zusätzliches Eigenkapital erhalten, zudem verzichtet der Bund auf eine Milliarde Euro an Dividenden.
Hinter den Kulissen wird aktuell intensiv verhandelt, wie viel Steuergeld die Bahn und ihre Tochter DB Netz künftig für den bloßen Erhalt des bundeseigenen Netzes (ohne Neu- und Ausbau) erhalten soll. Die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV II) läuft 2019 aus und sicherte dem Konzern in fünf Jahren 28 Milliarden Euro. Der Umfang der LuFV III ist offen. „Es wird in jedem Fall mehr“, heißt es auf der Eigentümerseite.
Ambitionierte Gewinnziele bis 2023
Richard Lutz und Finanzvorstand Alexander Doll werden vor dem Aufsichtsrat guten Willen demonstrieren. Das zeigt die neue Mittelfristplanung, die die DB-Spitze präsentieren will. Danach soll die DB Cargo im Jahr 2023 bei sechs Milliarden Euro Umsatz wenigstens 340 Millionen Euro operativen Gewinn vor Steuern und Zinsen (EBIT) einfahren. 2018 wird sich der Verlust noch auf 200 Millionen Euro mehr als verdoppeln. Im Fernverkehr soll das EBIT in diesem Jahr von 381 auf 418 Millionen Euro wachsen. Bis 2023 werden 737 Millionen Euro Gewinn und ein von 4,6 auf 5,7 Milliarden Euro erhöhter Umsatz angepeilt. Dazu sollen die 119 fest bestellten ICE-4-Züge beitragen, mit denen die Flotte vergrößert wird.
Allerdings wird sich durch die hohen Investitionen auch das gebundene Betriebskapital im Fernverkehr auf 8,1 Milliarden Euro fast verdreifachen. Damit sinkt die Kapitalrendite dieser Sparte deutlich, zumal die Züge durch Kredite finanziert werden müssen. Der Schuldenberg des Staatskonzerns wird in diesem Jahr auf mehr als 20 Milliarden Euro wachsen, allein 2018 hatte DB-Chef Lutz die Ausgabe neuer Schuldverschreibungen von rund drei Milliarden Euro angekündigt. Damit fährt die DB immer weiter ins Schuldenloch.
Mehr Umsatz auch im Regionalverkehr geplant
Einen Großteil der Gewinne soll das Bundesunternehmen auch in den nächsten Jahren in den von Steuerzahlern hoch subventionierten Sparten erzielen. Im Regionalverkehr, wo der Ex-Monopolist viele Aufträge an Konkurrenten verloren hat, wird für 2018 ein leicht von 508 auf 501 Millionen Euro schrumpfendes EBIT erwartet. Trotz der immer schärferen Konkurrenz soll aber der Umsatz bis 2023 mit 8,9 Milliarden Euro fast stabil bleiben und der Gewinn sogar um ein Zehntel auf 553 Millionen Euro steigen. In den Regionalverkehr, den die Länder mit Bundesmitteln bestellen, fließen jedes Jahr rund acht Milliarden Euro Steuergeld.
Mit großem Abstand wichtigster Ertragspfeiler des Staatskonzerns soll auch bis 2023 die bundeseigene Schienen-Infrastruktur bleiben, in deren Erhalt und Ausbau jedes Jahr ebenfalls viele Milliarden Euro an öffentlichen Geldern fließen. Die DB Netz AG (Fahrwege, Bahnhöfe, Energie) soll mit Verwaltung und Betrieb der Anlagen ihre Gewinne allein in diesem Jahr um fast 100 Millionen Euro auf 1,083 Milliarden Euro steigern und bis 2023 sogar auf 1,248 Milliarden Euro erhöhen. Der Umsatz soll von 9,6 auf 10,8 Milliarden Euro klettern und kommt von den Unternehmen, die Gleise, Bahnhöfe und Strom nutzen.