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Knapp 6000 Schienenkilometer hat die Bahn seit 1994 stillgelegt. Heute fahren die Züge noch auf 33 000 Kilometern.
© Uwe Zucchi/dpa

25 Jahre Deutsche Bahn AG: Ein Staatskonzern in prekärer Verfassung

Hohe Schulden, unpünktliche Züge, zu wenig Personal: 25 Jahre nach Gründung der AG kämpft die Deutsche Bahn mit vielen Baustellen. Wie gelingt die Wende?

Der Pensionär Günter Voss wollte es ganz genau wissen. Er kaufte sich eine Bahncard 100 für 1275 Euro und startete am 16. Juli 2018 eine dreimonatige Bahnreise kreuz und quer durch die Republik. Der Pensionär fuhr mit insgesamt 91 ICE zwischen allen großen Städten. Er besuchte mit Regionalzügen die Provinz sowie die Grenzregionen von Emden über Zwickau und Passau bis Basel. Die Bilanz des früheren Polizisten, der schon seit Jahren leidenschaftlich gerne Bahn fährt, nach 92 Tagen: „Die Leistungsfähigkeit der Deutschen Bahn hat ganz erheblich nachgelassen.“

Am 5. Januar 1994 ging die Deutsche Bahn AG als Nachfolger der Bundes- und der Reichsbahn an den Start. Die Bahnreform sollte ein großer Wurf werden. Doch 25 Jahre danach sind viele Fehlentwicklungen eklatant: ein marodes Netz, unzuverlässiger Verkehr, Personal- und Zugmangel, verärgerte Kunden, frustrierte Mitarbeiter und das Debakel beim Großprojekt Stuttgart 21. Es ist ein schlingernder Staatskonzern mit 310 000 Beschäftigten, 700 Tochterfirmen und Finanzlöchern in Milliardenhöhe.

Das Schienennetz ist mangelhaft

Keinem Reisenden bleiben die Probleme verborgen. Größtes Ärgernis für ihn wie für Millionen Reisende: die unpünktlichen Züge. Auch Voss hat 901 Verspätungsminuten allein bei seinen ICE-Fahrten akribisch erfasst. „Am zuverlässigsten war noch der ICE 3, aber leider häufig unangenehm überfüllt“, erzählt der 80-Jährige. Manchmal gab es nur noch Stehplätze und kaum Platz fürs Gepäck. In einem Fall musste ein überbesetzter Zug sogar geräumt werden.

In mehr als 30 TV-Beiträgen hat Voss seine Erfahrungen geschildert. Der Bahn- Fan, der einst voller Begeisterung sogar entlang der ersten ICE-Neubaustrecke den kompletten Weg von Hannover bis Stuttgart radelte, hat Verbesserungsvorschläge: „Die Schienenwege müssen rasch ausgebaut werden und die Bahn braucht dringend mehr Züge, um das erfreuliche Wachstum der Fahrgastzahlen künftig besser bewältigen zu können.“

Zum Beispiel sollte die Anschaffung französischer Doppelstock-TGV-Schnellzüge überlegt werden, die im Nachbarland auf hoch frequentierten Strecken wie Paris-Lyon fahren. „Zudem müssten ICE zumindest an Wochenenden und Feiertagen reservierungspflichtig werden, wie das in Frankreich längst ausnahmslos an allen Tagen für die TGV üblich ist“, findet Voss. Zur Steuerung des Fernverkehrs fände er überdies zentrale Koordinierungsstellen sinnvoll.

200 Seiten Strategie

An guten Ratschlägen für besseren Schienenverkehr fehlt es 25 Jahre nach dem Start der DB AG wahrlich nicht. Konzernchef Richard Lutz will mit seiner „Agenda für eine bessere Bahn“ die Wende schaffen. „Die Schiene hat alle Chancen, der Verkehrsträger der Zukunft zu werden: Zuverlässig, komfortabel, digital und umweltschonend“, heißt es optimistisch gleich zu Beginn in dem 200-Seiten-Strategiepapier.

Die Agenda beschreibt zahlreiche Maßnahmen: Erhöhung der Netzkapazität und Pünktlichkeit, mehr Züge im Fernverkehr, zusätzliches Personal, Verbesserung der Lage im Güter- und Regionalverkehr, neue digitale Angebote und bis 2023 die wirtschaftliche Stabilisierung. Das Problem: Dem größten Staatskonzern fehlt das Geld für den Aktionsplan. Allein im Budget für 2019 klafft eine Lücke von mehr als zwei Milliarden Euro, der Schuldenberg von bereits 20 Milliarden Euro könnte steigen. Allein für das Großprojekt Stuttgart 21 muss der Konzern nun mehr als drei Milliarden Euro aus eigener Kasse finanzieren.

Verkauf von Konzernteilen ist möglich

Bis März soll Lutz dem Aufsichtsrat, in dem Vertreter der Bundesregierung und der Gewerkschaften den Kurs bestimmen, einen Ausweg aus der Finanzmisere aufzeigen. Der Verkauf von Konzernteilen wie der britischen Bahn- und Bustochter Arriva mit ihren 55.000 Mitarbeitern oder des Logistikers Schenker (72.000 Beschäftigte), die beide international unterwegs sind, ist eine Option. Die Milliardeneinnahmen könnten in den Aktionsplan gesteckt werden – und die DB könnte sich aufs Kerngeschäft eines zuverlässigen Zugverkehrs konzentrieren.

Der zuständige Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hält sich bisher bedeckt. Sein Staatssekretär Enak Ferlemann hat allerdings schon deutliche Kritik am Zustand des Konzerns geübt und „grundlegende Reformen“ angekündigt. Die Frage ist, wie weit diese Reformen reichen werden. Für zwingend halten Fachleute eine Neuorganisation beim 33.000 km langen bundeseigenen Schienennetz, das bisher mitsamt der mehr als 5000 Bahnhöfe und aller Energieanlagen vom Bahnkonzern verwaltet wird.

30 Milliarden für das Netz

Die Fakten sind unstrittig. Allein seit 2009 hat die DB Netz AG für den Erhalt der Infrastruktur rund 30 Milliarden Euro aus der Staatskasse erhalten. Trotzdem wird der Zustand des Netzes immer schlechter, wie unlängst der Bundesrechnungshof in einem Sonderbericht bilanzierte. Die Prüfer kritisieren Fehlanreize, unzureichende Kontrolle und wirkungslose Sanktionen des bisherigen Systems und warnen den Bundestag eindringlich davor, dem Konzern unter diesen Bedingungen weitere bis zu 25 Milliarden Euro bis 2024 für den Netzerhalt zu geben.

Das sieht auch die Opposition so. Grüne und FDP fordern schon lange eine eigenständige Netzgesellschaft, zumal DB-Wettbewerber auf der Schiene über Benachteiligungen durch die DB Netz sogar vor Gericht klagen. In der Koalition sperrt sich aber die gewerkschaftsnahe SPD seit Jahren gegen die Abtrennung, weil bei einer „Zerschlagung“ des Konzerns Nachteile für die rund 50.000 Mitarbeiter beim Netz befürchtet werden.

Der Bund sollte auf Dividende verzichten

Eine staatliche und gemeinnützige Netzgesellschaft, die Strecken instand hält, ausbaut und Trassen fair an alle Bewerber vergibt, hält auch der Fahrgastverband Pro Bahn für die beste Lösung. Die bisherige Konstruktion, bei der die DB Netze AG auch in den nächsten Jahren Milliardengewinne mit hohen Trassenpreisen und Subventionen einfahren soll, ist für den Pro Bahn-Vorsitzenden Karl- Peter Naumann verfehlt: „Es ist nicht nachzuvollziehen, warum ein natürliches Monopol einen Gewinn erzielen und ausschütten soll.“

Pro Bahn hat neben der Strukturreform weitere Vorschläge: Der Bund sollte künftig auf Dividenden der DB verzichten, die Trassenpreise sollten zur Förderung des Schienenverkehrs massiv gesenkt sowie die Mehrwertsteuer im Fernverkehr ab 50 km verringert oder gestrichen werden. Das würde Bahnfahren billiger machen. Denn allein seit 2003 sind die Normalpreise der DB um 50 Prozent gestiegen, viel stärker als die Inflation.

Kaum Chancen gegen Lkw

Eine große Baustelle ist schließlich auch der Güterverkehr auf der Schiene, der hohe Verluste einfährt. Die Sanierung von DB Cargo ist mehrfach gescheitert, was allerdings für Experten keine Überraschung ist. Denn Europas größte Güterbahn hat unter den bisherigen Rahmenbedingungen wenig Chancen gegen Billig-Lkw. Zumal das Schienennetz seit der Bahnreform um rund 6000 Kilometer gekappt wurde, während viele Milliarden Euro in den Bau von noch mehr Straßen flossen.

Es gibt alles in allem viele Hebel für einen neuen Kurs. So könnte die Bundesregierung die Lkw-Mautsätze erhöhen und die Mehreinnahmen in Ausbau und Modernisierung der Schienenwege stecken, wie es andere Länder bereits tun. Viele Experten sind sich einig: Ohne eine mutige Wende der Politik hin zum umweltschonenden Schienenverkehr wird die Bahn nicht wie nötig vorankommen – und auch die nächste Bilanz zur Bahnreform kaum positiver ausfallen.

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