Weniger Schadensersatz für Glyphosat: Warum Bayer mit dem Urteil nicht zufrieden ist
Eine Richterin reduziert eine Strafe von zwei Milliarden Dollar auf rund 87 Millionen. Doch Bayer braucht einen Freispruch für Monsanto und hofft auf St. Louis.
Gute Nachrichten sind für die gebeutelten Bayer-Aktionäre selten geworden. Rund ein Drittel ihres Werts hat die Aktie im vergangenen Jahr verloren. Die Rechtsstreitigkeiten in den USA um die Bayer-Tochter Monsanto und ihr Glyphosathaltiges Unkrautvernichtungsmittel Roundup setzen den Anteilseignern zu.
Drei Prozesse gingen bereits verloren, mehr als 13.400 Klagen sind noch anhängig. Doch in der vergangenen Zeit konnte Bayer zumindest kleine Etappensiege für sich verbuchen, so auch jetzt. Richterin Winifred Smith senkte in der Nacht zum Freitag die bislang höchste Schadensersatzsumme, die Bayer zahlen sollte, von insgesamt mehr als zwei Milliarden auf 86,7 Millionen Dollar ab. Das sind umgerechnet rund 77,8 Millionen Euro.
Bereits letzte Woche hatte sich abgezeichnet, dass der Schadenersatz verringert werden würde: Smith, Richterin am Superior Court of the State of California, hatte damals gesagt, zwei Milliarden Dollar seien zu hoch, das Strafmaß überschreite den verfassungsrechtlichen Rahmen.
Das Ehepaar Alva und Alberta Pilliod hatte Roundup für seine Erkrankung an Lymphdrüsenkrebs verantwortlich gemacht. Die Geschworenenjury im kalifornischen Oakland hatte im Mai entschieden, dass Bayer haftbar sei und hatte den Konzern zu hohem Schadenersatz verurteilt.
Dabei war der Löwenanteil der Summe auf den sogenannten Strafschadensersatz entfallen, den es im deutschen Recht nicht gibt. Damit werden in den USA Unternehmen für vorsätzliches, verwerfliches Verhalten bestraft. Zwei Milliarden Dollar hatte die Jury den Pilliods an Strafschadensersatz zugesprochen, 55 Millionen Dollar hatte der eigentliche Schadensersatz betragen. Smith hat nun alle Summen reduziert.
Jetzt müssen die Pilliods entscheiden, ob sie den reduzierten Schadenersatz akzeptieren oder einen neuen Prozess wollen. Es deutet jedoch einiges darauf hin, dass das Paar den neuen Urteilsspruch akzeptieren wird. Ihr Anwalt Brent Wisner bezeichnete die Entscheidung des Gerichts trotz des gesenkten Strafmaßes insgesamt als „großen Sieg“.
Bei Bayer ist die Freude dagegen deutlich verhaltener. Das Urteil sei ein Schritt "in die richtige Richtung", teilte der Dax-Konzern am Freitag Morgen mit. Das sieht auch die Börse so. Zum Börsenstart zog die Aktie deutlich an und konnte die Gewinne im weiteren Börsenverlauf auch verteidigen.
Dennoch ist die Kostenersparnis nur ein Trostpflaster für Bayer. Denn Bayer-Chef Werner Baumann hätte sich gewünscht, dass Smith nicht nur den Schadensersatz reduziert, sondern die gesamte Verurteilung aufhebt. Die Deutschen wollen vor Gericht beweisen, dass der Kernvorwurf, Glyphosat verursache Krebs, nicht stimmt.
Dabei beruft sich der Konzern auf zahlreiche Studien und die Einschätzung von Zulassungsbehörden aus aller Welt. Sowohl die US-Umweltschutzbehörde als auch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA oder das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung sind der Auffassung, dass Glyphosat bei bestimmungsgemäßer Anwendung keinen Krebs erzeugt.
Bayer geht in die Berufung
Doch bisher hat Bayer die Gerichte nicht überzeugen können. Zwar sind in allen Verfahren im nachhinein die Schadensersatzsummen kräftig gesenkt worden, an der Verurteilung Bayers hat das aber nicht geändert. Deshalb gehen die Deutschen in allen Prozessen in die Berufung. Urteile, die Bayer auch in der Sache Recht geben, würden Verhandlungen über einen Vergleich mit den Klägern erleichtern und die Summen senken.
Richter Vince Chhabria am Bundesgericht in San Francisco, bei dem mehrere Hundert Glyphosat-Klagen gebündelt sind, hat Bayer bereits zu einer gütlichen Einigung gedrängt und einen Schlichter bestellt. Auch in dem Fall wurde bereits eine Strafzahlung reduziert, das Gericht in San Francisco verringerte den Schadenersatz an den krebskranken Rentner Edwin Hardeman von 80 Millionen Dollar auf 25 Millionen.
Im August geht es in St. Louis weiter
Bayer hofft aber nicht nur auf die Berufung, sondern wünscht sich auch Urteile in erster Instanz, die den Konzern vom Krebsverdacht freisprechen. Am 19. August findet das erste Verfahren außerhalb Kaliforniens statt, nämlich in St. Louis. Dort klagt Sharlean Gordon, die Roundup für ihre Krebserkrankung verantwortlich macht.
In St. Louis wurde Monsanto 1901 gegründet, die Bayer-Tochter könnte so vielleicht ihren Heimvorteil und die Arbeitsplatzkarte ausspielen. Rund 5400 Vollzeitjobs bietet Monsanto vor Ort, Bayer hatte vergangene Woche angekündigt, 500 weitere "hochbezahlte" Jobs im Großraum St. Louis zu schaffen.
Hinzu kommt, dass in der Stadt im US-Bundesstaat Missouri die Landwirtschaft zu den wichtigsten Industriezweigen zählt. Anders als in Deutschland, wo es große Vorbehalte gegen Monsanto gibt, haben US-Farmer keine Bedenken gegen das von Monsanto produzierte gentechnisch veränderte Saatgut.
14 Wissenschaftler will Bayer als Experten aufbieten, keiner hat bisher in einem der anderen Prozesse ausgesagt. Doch ob sie die Jury überzeugen können, ist dennoch fraglich. Denn die Gerichte in St. Louis sind bekannt dafür, Unternehmen zu hohen Schadensersatzzahlungen zu verurteilen. Für Bayer ist der Gerichtsort immens wichtig: Rund drei Viertel der über 13.400 Klagen sind bei Gerichten in St. Louis eingereicht. (mit Reuters)