Milliardenstrafe für Glyphosat: Was wird aus Bayer?
Ein US-Gericht hat Bayer zu zwei Milliarden Dollar Schadensersatz verurteilt. Zumindest vor einer Übernahme ist der Konzern durch den Rechtsstreit geschützt.
Zwei Rentner haben dem deutschen Traditionskonzern Bayer eine schwere Schlappe zugefügt. Alva und Alberta Pilliod, 70 Jahre alt, krebskrank, haben die Jury im kalifornischen Oakland davon überzeugt, dass der von Monsanto vertriebene Unkrautvernichter Glyphosat für ihre Krankheit verantwortlich ist.
Es ist der dritte Prozess dieser Art, den Monsanto beziehungsweise Bayer verliert. Bayer hatte den umstrittenen US-Pestizid- und Saatgutkonzern im vergangenen August übernommen.
Neu ist aber die Dimension: Die Geschworenen sprachen dem Paar, das nach eigenen Angaben 35 Jahre lang den glyphosathaltigen Unkrautvernichter Roundup auf ihrem Grundstück in der Nähe von San Francisco verwendet hatte, zwei Milliarden Dollar (1,78 Milliarden Euro) an Schadensersatz zu – eine Milliarde mehr als der Klägeranwalt gefordert hatte.
Das ist eine „neue Dimension“ sagt Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), „Bayer steht mit dem Rücken zur Wand“.
Wie kommt es zu der Summe?
Zwei Milliarden Dollar sind eine enorme Summe, aber nicht die höchste, die in den USA verhängt worden ist. Vor fünf Jahren wurde etwa der Tabakkonzern Reynolds verurteilt, der Witwe eines Kettenrauchers 23 Milliarden Dollar zu zahlen. Dass die Schadensersatzsummen in den USA so hoch sind, liegt auch an einer Besonderheit des amerikanischen Systems. Anders als das deutsche Recht kennt es den sogenannten Strafschadensersatz, mit dem Unternehmen für vorsätzliches, verwerfliches Verhalten bestraft werden sollen.
Dieser Strafschadensersatz macht im Pilliod-Fall den absoluten Löwenanteil aus. Der eigentliche Schadensersatz für die Rentner beträgt nämlich „nur“ 55 Millionen Dollar. Für Aktionärsschützer Tüngler sind die „absurd hohen Schadensersatzsummen“ allerdings ein Alarmzeichen. „Die hohen Summen zeigen, wie schlecht das Image von Monsanto und Bayer in den USA ist“, meint er. Klar ist aber auch: Das, was die Geschworengerichten zusprechen, hat so gut wie nie Bestand. In Berufungs- oder Vergleichsverfahren werden die Summen drastisch gesenkt.
Was macht Bayer?
Bayer will sich gegen das Urteil wehren. Wie in den beiden vorhergehenden Prozessen wird der deutsche Konzern zunächst Einspruch beim zuständigen Richter einlegen mit dem Ziel, dass dieser das Urteil entweder ganz aufhebt oder zumindest die Summe reduziert. Beim ersten Verfahren im vergangenen August, als der Hausmeister Dewayne Johnson gegen Bayer gewann, senkte die Richterin die Summe von 289 Millionen auf rund 78 Millionen Dollar ab.
Dennoch war das für Bayer nur ein Teilerfolg. In allen bisherigen Fällen gehen die Deutschen in die Berufung, wo sie statt auf Laien- auf Berufsrichter treffen. Bayer hofft in der zweiten Instanz auf ein Urteil, das ihnen bescheinigt, dass Glyphosat nicht krebserregend ist. Der Dax-Konzern beruft sich auf eine Vielzahl entsprechender Studien der Zulassungsbehörden weltweit.
Warum schließt Bayer keinen Vergleich?
Nach drei verlorenen Prozessen kann sich Bayer einen Vergleich schlicht nicht leisten. Die Summen, die man zahlen müsste, wären zu hoch. In Vergleichsverhandlungen dürfte Bayer erst dann eintreten, wenn der Konzern vor Gericht gewonnen hat. So hat es der Pharma- und Agrarchemiekonzern auch bei Klagen gegen seinen Blutverdünner Xarelto gemacht. Nach sieben gewonnen Prozessen hat Bayer einen Vergleich über 750 Millionen Dollar geschlossen. Die Hälfte der Summe hat der US-Vertriebspartner Johnson&Johnson übernommen. Am Ende ist Bayer praktisch schadlos aus der Sache gekommen, weil man nicht nur Geld von der Versicherung bekommen hatte, sondern die Schadensersatzgelder auch steuerlich als Verluste absetzen konnte.
Wie viele Menschen klagen in den USA?
Mehr als 13.400 Klagen sind in den USA bereits anhängig. Dabei handelt es sich allesamt um Einzel-, nicht um Sammelklagen. Der Unterschied: Selbst wenn Bayer alle bisherigen Kläger abfinden würde, drohen neue, weitere Klagen.
Wann wird es gefährlich für Bayer?
Glaubt man der Ratingagentur Moody’s, kann Bayer Schadensersatzzahlungen bis zu einer Höhe von fünf Milliarden Dollar verkraften. „Mit jedem negativen Urteil sinkt die Zuversicht, dass das zukünftige Settlement bei etwa fünf Milliarden Dollar liegen wird, wie von vielen Analysten geschätzt“, warnte Fondsmanager Markus Manns von Union Investment am Dienstag. Nach Einschätzung von Moody’s könnte eine Zahlung von 20 Milliarden Dollar für Bayer schwierig werden. Bayer hat bisher nur Rückstellungen für die Prozesskosten gemacht, nicht aber für mögliche Schadensersatzzahlungen. Laut internationalem Bilanzrecht sei das für erstinstanzliche Geschworenenjuryurteile nicht möglich, heißt es in Leverkusen.
Wird Bayer geschluckt?
Rund 50 Milliarden Euro ist Bayer derzeit noch an der Börse wert, weniger als die 63 Milliarden Dollar, die man für Monsanto ausgegeben hat. Seit der ersten Niederlage im Glyphosat-Prozess gegen Dewayne Johnson hat die Aktie 40 Prozent verloren, am Dienstag ging es erneut kräftig nach unten, und das Papier sackte auf ein Sieben-Jahres-Tief. Markus Mayer von Baader Helvea glaubt, dass Bayer jetzt zunehmend in das Visier von aktivistischen Investoren gerät oder komplett übernommen werden könnte.
Der Hedgefonds Elliott, der Insidern zufolge mit unter drei Prozent bei Bayer eingestiegen ist, hält sich aber bislang bedeckt. Paradoxerweise ist der Rechtsstreit um Glyphosat derzeit der wirksamste Schutz vor einer Übernahme. Denn niemand will sich die Finger verbrennen. Das könnte aber anders sein, wenn Bayer in der zweiten Instanz gewinnt. Mit einem ersten derartigen Urteil wird im August oder September gerechnet.
Muss der Vorstand gehen?
Bayer-Chef Werner Baumann ist quasi auf Bewährung. Die großen deutschen Fondshäuser hatten die Bayer-Führung bereits auf der Hauptversammlung Ende April kritisiert, die mit der Monsanto-Übernahme verbundenen Rechtsrisiken unterschätzt zu haben. Der Vorstand wurde nicht entlastet, ein bis dahin einmaliger Vorgang bei einem Dax-Konzern.
Dennoch hatten sich die großen Investoren dafür ausgesprochen, Baumann im Amt zu lassen, damit dieser den Karren aus dem Dreck ziehen kann. „Sollte Bayer auch in der zweiten Instanz verlieren, ist die Geduld der Aktionäre am Ende und es wird mehr als eng für Vorstand und Aufsichtsrat“, sagt Aktionärsvertreter Tüngler.