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Bahn-Chef Rüdiger Grube im Interview: "Unsere Züge sind so pünktlich wie seit sieben Jahren nicht mehr"

2013 war für die Deutsche Bahn ein schlechtes Jahr. Jetzt werden die Züge zuverlässiger und das Geschäft besser, sagt der Bahn-Chef. Im Interview mit dem Tagesspiegel erklärt er auch, warum die Bahn jetzt Ideen im Silicon Valley sammeln will.

 

Bahn-Chef Rüdiger Grube gestikuliert mit Daumen und Zeigefinger.
Rüdiger Grube ist seit genau fünf Jahren Chef der Deutschen Bahn. In dieser Zeit hat die Bahn Rekordgewinne eingefahren - aber auch zahlreiche Skandale produziert, von defekten Klimaanlagen im Sommer über Mega-Verspätungen im Winter bis hin zu plötzlichem Personalmangel in Stellwerken.
© Thilo Rückeis

Herr Grube, viele Arbeitnehmer hierzulande fühlen sich nicht ausreichend gelobt. Würden auch Sie sich manchmal mehr Wertschätzung für die Leistung Ihrer Bahn wünschen?

Ich freue mich darüber, dass sich die Menschen so sehr für die Bahn interessieren. Und sie sind zufriedener mit der Bahn, das zeigen unsere Umfragen. Service und Dienstleistungen in den Zügen und Reisenzentren sind demnach deutlich besser geworden. Zudem fahren wir deutlich pünktlicher.

 Kein Wunder bei dem milden Winter.

Unsere Züge waren in den vergangenen vier Monaten so pünktlich wie seit sieben Jahren nicht mehr. Selbst im Fernverkehr – wegen des Elbe-Hochwassers sind wir 2013 nur auf 74 Prozent Pünktlichkeit gekommen, im Moment sind es weit über 80 Prozent, an einigen Tagen sogar 90 Prozent. Solch positive Werte habe ich bei der Bahn noch nicht erlebt.

Woran liegt das?

Das Wetter hilft uns ein wenig, zudem haben wir weniger Baustellen. Und Siemens hat endlich neue ICEs geliefert. Die Talent-Züge von Bombardier für den Nahverkehr, die uns lange große Probleme bereitet haben, laufen nun endlich auch. Einige Bestellungen stehen allerdings noch aus – acht weitere ICEs haben wir immer noch nicht, und 27 Doppelstock-ICs von Bombardier werden wohl erst Ende 2015 geliefert, zwei Jahre zu spät.

 Wie lautet der Satz, der Sie am meisten in Ihrem Unternehmen nervt?

„Der Zug fährt heute in umgekehrter Wagenreihung.“ Wenn sie den Sitzplatz am Bahnsteig im Abschnitt A erwarten, der richtige Waggon aber im Abschnitt F steht, sind viele Kunden ärgerlich. Zu Recht. Generell wollen wir die Information der Kunden weiter verbessern.

Das haben schon Generationen von Bahn-Managern versucht, richtig geklappt hat es nie.

Wir haben gerade ein Team von 20 Leuten ins Silicon Valley geschickt. Sie sollen dort nach Lösungen suchen, die unsere Computertechnik verbessern. Über die Jahre sind die Systeme immer wieder erweitert worden, heute gibt es vor allem Probleme an den Schnittstellen. Das ist ein riesiges Projekt, das ich persönlich mit meinen Kollegen überwache. Mit einem einheitlichen System könnten wir die Kunden viel besser informieren.

Der Hang der Deutschen zum Bahn-Bashing

 Gehört dann die „Störung im Betriebsablauf“ der Vergangenheit an?

Früher haben wir die Kunden mit Informationen regelrecht zugemüllt, auf Deutsch und auf Englisch. Heute verzichten wir auf zu lange Texte, Englisch gibt es nur in Großstädten und in der Nähe von Flughäfen. Bei  Smartphone-Apps sind wir sehr gut geworden, heute können Sie live auf dem Handy verfolgen, welcher Zug gerade wo fährt.

 Trotzdem wird pausenlos über die Bahn gelästert, im Internet und in Büchern wie „Senk ju vor träweling“. Bei anderen Unternehmen gibt es das nicht.

Jeden Tag befördern wir allein in Deutschland rund 7,4 Millionen Menschen. Wenn bei nur einem Prozent davon ein Zug unpünktlich fährt, sind das 74000 Betroffene. Psychologen sagen, dass Menschen negative Erlebnisse viel häufiger weitererzählen als positive. Aber die gibt es. Und zwar eine Menge: Zum Beispiel hatte ein Kunde neulich seine Brille im ICE vergessen. Ich habe dann meine Kollegen gebeten, sich darum zu kümmern. Keine zwei Stunden später war die Brille wieder da.

 Dass der Service funktioniert, wenn der Bahn-Chef persönlich darum bittet, wundert uns nicht wirklich.

 Wir sind noch nicht in allen Bereichen hundertprozentig zufrieden, sicherlich geht auch mal was schief – Küchen fallen aus, Toiletten sind verstopft. Doch auf unser System lasse ich nichts kommen. Kunden beispielsweise in England wären froh, wenn ihre Bahn nur halbwegs so gut funktionieren würde wie hierzulande. Man sollte bei Pannen nicht immer ins Bahn-Bashing verfallen, sondern anerkennen, was unsere Mitarbeiter leisten. Das ist beachtlich.

 Sie haben steigende Preise für den Fall angekündigt, dass die Bahn mehr für die Energiewende zahlen muss. Wie stark geht es nach oben?

Bislang haben wir ja zehn Prozent der EEG-Umlage, also 108 Millionen Euro gezahlt, jetzt sieht es so aus, als wären es in Zukunft 20 Prozent. Unter dem Strich könnte unsere Belastung um 57 Millionen Euro pro Jahr steigen. Das ist viel Geld. Hinzu kommen steigende Kosten für Personal oder den Lärmschutz bei den Güterzügen. Wie viel es unter dem Strich wird, schauen wir uns im September an.

 Zwischen Berlin und Hamburg fährt neuerdings der Interregio-Express, der weniger kostet als die ICEs. Ist das ein neues Segment?

Es gibt Kunden, denen ist die Dauer der Reisezeit egal, auch ob es einen Speisewagen gibt. Diese Leute können seit einiger Zeit den Fernbus nehmen. Das hat uns im vergangenen Jahr über 20 Millionen Euro Gewinn gekostet. Der IRE ist dazu eine Alternative, der Preis von 29 Euro ist  attraktiv. Wenn der IRE auf Dauer erfolgreich ist, können wir uns vorstellen, weitere Strecken anzubieten.

 Zeigt der Erfolg der Busse nicht, dass die Bahn vielen zu teuer geworden ist?

Die Bahn ist das mit Abstand sicherste und umweltfreundlichste Verkehrsmittel, komfortabel noch dazu - und mit dem Fernbus nicht zu vergleichen. Das gibt es nicht zum Nulltarif. Der Boom bei den Bussen wird nicht ewig weitergehen – viele fahren keinen Gewinn ein, aber die Investoren werden irgendwann eine Rendite sehen wollen. Zumal die Busse nicht einmal Maut bezahlen, von der Millionen schweren EEG-Umlage ganz zu schweigen.

Warum der Bahn Milliarden fehlen

Sie warnen vor einem Verfall der Infrastruktur. Für Kunden klingt das nicht unbedingt wie eine Einladung zum Bahnfahren.

Die Deutsche Bahn ist eine der sichersten Eisenbahnen in der Welt. Ungeachtet dessen: Heute liegt der Investitionsstau bei 30 Milliarden Euro, wenn nichts geschieht, sind es 2020 schon 50 Milliarden. 9000 Brücken sind älter als 100 Jahre, da muss dringend was getan werden. Noch einmal: Die Sicherheit ist nicht in Gefahr, sehr wohl aber Qualität und Verfügbarkeit des Netzes. Pro Jahr fehlen uns zum Erhalt von Gleisen, Brücken, Signalen und so weiter 1,2 Milliarden Euro.

Haben Sie das Verkehrsminister Alexander Dobrindt schon erklärt?

Natürlich, wir tauschen uns regelmäßig aus und arbeiten prima zusammen. Dass es Diskussionen übers Geld gibt, ist doch ganz normal. Auch Herr Dobrindt hat keinen Goldschatz im Keller. Ich bin zuversichtlich, dass wir gemeinsam eine Lösung zur künftigen Finanzierung unserer Infrastruktur finden werden - auch wenn am Ende gewiss manche Hoffnung nicht erfüllt sein wird.

 Jetzt beklagen Sie Finanzlöcher, vor einem Jahr haben Sie aber dem teuren Bau von Stuttgart 21 zugestimmt.

Wir machen dieses Projekt, weil wir durch Verträge gebunden sind, die schon vor meinem Amtsantritt unterzeichnet worden sind. Die Vorstellung ist naiv, da könne man einfach mal so aussteigen. Sicher, das Projekt ist nicht gerade billig, aber es hat große verkehrliche Vorteile.  Klar ist aber auch, dass es mit Sicherheit in absehbarer Zukunft kein zweites Projekt bei der Bahn geben wird, bei dem wir mit so viel eigenem Geld einsteigen werden.

 Machen Sie in diesem Jahr im Güterverkehr wieder Gewinn?

 Wir sind die einzige Staatsbahn in Europa, die Geld mit ihrem Schienen-Güterverkehr  verdient. Ja, bei fünf Milliarden Euro Umsatz könnte der Gewinn zwar höher sein, aber wenn sie sich die tiefroten Zahlen unserer Konkurrenten anschauen, sage ich: immerhin!  Für 2014 sieht es zudem besser aus –wir liegen in den ersten vier Monaten über dem Vorjahr.

Die Bahn und ihr Geschäft mit Russland

 Wie sicher ist das Russland-Geschäft?

Wir sind dort bekanntlich aktiv, jeden Tag fahren unsere Güterzüge durch Russland. Bei den Autoherstellern ist die DB sehr beliebt, weil wir auf dem Landweg doppelt so schnell unterwegs sind wie das Schiff. In Russland machen wir rund 250 Millionen Euro Umsatz. Ich wünsche mir, dass sich alle Politiker nun um Deeskalation in der aktuellen Krise bemühen. Die Partnerschaft mit Russland ist ein hohes Gut. Meine Eltern haben den schrecklichen Krieg noch erlebt, uns Jüngeren blieb diese Erfahrung erspart.

 Was haben Sie noch vor mit der Bahn?

Viele Trends sprechen für die Bahn: Die Zahl der Autobesitzer nimmt ab, gerade in Metropolen wie Berlin und vor allem bei den Jungen. Immer mehr Menschen wollen mobil sein, und nutzen unsere Angebote: S-Bahnen, Car-Sharing oder Mietfahrräder und natürlich unsere Züge. Und: Durch die Globalisierung werden noch mehr Waren und Menschen befördert. Die DB ist hier vorne dabei.

 Als Sie kamen, war der Börsengang gerade gescheitert, alles war auf Gewinn ausgerichtet. Heute will es die Bahn jedem Recht machen – Gewerkschaften, der Politik, Umweltschützern.

Gestern habe ich die DB auf den Tag genau fünf Jahre geführt. In dieser Zeit war die Bahn wirtschaftlich sehr erfolgreich.  Das werden wir auch in Zukunft nicht aus den Augen verlieren. Ganz im Gegenteil. Für dauerhaften Erfolg muss man heute aber auch auf Umwelt und Mitarbeiter sowie natürlich Kunden und Qualität schauen.

 Gibt es ein Patentrezept für zufriedene Mitarbeiter?

Transparenz, Respekt und Wertschätzung sind ganz entscheidend. In mittleren und großen Unternehmen hat einer Studie zufolge jeder Vierte bereits innerlich gekündigt. Da setzen wir an: Wir reden immer wieder mit den Kolleginnen und Kollegen,  fragen nach ihren Bedürfnissen, stellen uns ihren Fragen. Die Datenaffäre, aber auch die Probleme bei der S-Bahn Berlin haben vor rund fünf Jahren viel Vertrauen zerstört. Vieles wurde inzwischen erreicht, aber wir haben noch viel Arbeit vor uns. Wir wollen einer der zehn attraktivsten Arbeitgeber werden. Und es geht voran: Derzeit sind wir das Unternehmen in Deutschland, das am stärksten einstellt.

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