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Bei seinen öffentlichen Auftritten merkt man Alexander Dobrindt an, dass er als Minister noch neu im Geschäft ist.
© DAVIDS

Verkehrsminister Alexander Dobrindt: Nächster Halt: Maut

Mit Schubladen kennt er sich aus. Nach 100 Tagen steckt er nun selbst in einer, die ihm nicht gefallen dürfte. Die große Enttäuschung der neuen Bundesregierung nennen manche Verkehrsminister Alexander Dobrindt. Aber es gibt für ihn einen Ausweg.

Die Sache mit den Schuhen ist natürlich ein Risiko, aber ohne diese Treter wäre die Lage vielleicht noch komplizierter. Die Schuhe, in denen Alexander Dobrindt vorige Woche vor die Öffentlichkeit trat, waren nicht das, was man gemeinhin an den Füßen eines Herrn Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur erwartet. Sneaker zum Anzug ist schon gewagt. Golden schimmernde Sneaker laden förmlich dazu ein, von einem Journalistenhandy geknipst und gleich per Twitter verbreitet zu werden mit der lapidaren Bemerkung: „Schuhe eines Internetministers“. Die Kommentare der Netzgemeinde reichten von Hohn bis Spott („…und ich sagte noch: Alex, weg vom Altkleidercontainer!“). Aber das ist in dieser Szene ja auch eine Art von Anerkennung. Und ein bisschen zugewandte Aufmerksamkeit ist etwas, was Alexander Dobrindt ganz gut brauchen kann für sein Seelenleben und seine politische Zukunft.

Der CSU-Mann bekommt in den allfälligen 100-Tage-Bilanzen der neuen Bundesregierung über sich selbst nämlich gerade wenig Aufmunterndes zu lesen. „Das Ende der Schonfrist“ wird da dräuend eingeläutet, vom Verstummen eines bis dahin doch so Redegewandten ist die Rede, und ein bekanntes Onlineportal steckt ihn schlicht und brutal in die Schublade: „Die größte Enttäuschung“.

"Schuhe eines Internetministers."
"Schuhe eines Internetministers."
© Twitter/Stefan Leifert

Mit Schubladen kennt sich Dobrindt aus, auch, wie gefährlich die sind. Er hat als Horst Seehofers Generalsekretär so lustvoll wie kein anderer politische Gegner in welche hineingestopft. Mit Erfolg: Dass die Grünen im vorigen Herbst bundesweit eingebrochen sind und dass in Bayern die CSU wieder allein regiert, das war nicht zuletzt Dobrindts Werk. Für das Ergebnis lobt ihn sein Chef laut und mancher Wichtige in der Schwesterpartei CDU im Stillen. Genau da liegt heute sein Problem. Kein anderer Minister – Ursula von der Leyen einmal ausgenommen – ist mit derart hohen Erwartungen ins neue Amt begleitet worden. Derart hohe Erwartungen können schnell zur Last werden.

Bis vor kurzem ständig in den Nachrichten präsent

„Klar, ich reise zurzeit nicht von Zeitungen zu Magazinen und erkläre die gesamte Politik!“ Dobrindt sitzt in seinem Büro – einem sehr großen Büro übrigens, hohe Fenster, lichte Decken in der einstigen preußischen Bergakademie – und tut, was er vielleicht am besten kann: eine politische Situation analysieren. Diesmal die eigene. Also: Bis vor kurzem war er quasi täglich in den Nachrichten präsent, oft mit krachledernen Sätzen. Und übrigens, um das hier gleich mal zu erwähnen, immer mit dem Satz: „Natürlich wird es eine Pkw-Maut geben.“

Haben die Leute gedacht, das geht direkt so weiter, wenn er Minister geworden ist? Irgendwie vermutlich schon. Und Dobrindt hat ja auch nichts dagegen, wenn er als Seehofers neuer bester Mann in Berlin porträtiert wird; ein Auftrag, über den noch zu reden sein wird.

Vorher ist aber davon zu reden, dass Verkehrspolitik auch nicht mehr das ist, was es mal war. Ein Bundesverkehrsminister war früher ein Herr, der mit dem größten Investitionsetat der Regierung segnend übers Land zog, erste Spatenstiche tätigte und Einweihungsbänder durchschnitt. Den größten Investitionsetat verwaltet Dobrindt immer noch; aber er reicht nicht mehr gegen die Schlaglöcher, die maroden Brücken, die veralteten Schleusen. Gerade erst hat ein Gutachten bescheinigt, dass die Einnahmen aus der Lkw-Maut systembedingt im Milliardenbereich zurückgehen werden.

Dobrindt hat sich drei Nächte lang selbst durch den Papierberg gewühlt – „So was liest dir hier keiner!“ –, dann mit dem Finanzminister verhandelt und zuletzt die Ausweitung der Lkw-Maut auf kleinere Laster und Bundesstraßen verkündet. Von Wolfgang Schäuble hat er die Zusage bekommen, dass der ihm eine Lücke stopft, wenn der Verkehrsminister sie überschaubar halten kann.

"Schnelles Internet bis auf die Alm"

Das ist ein schöner Erfolg, bedenkt man, wie streng Schäuble sonst die Kasse bewacht. Bemerkt hat es so gut wie keiner. Dass er überschüssige Mittel zum Jahresende behalten darf , dass bei der nächsten Versteigerung von Funkfrequenzen das Geld nicht dem Gesamthaushalt zufließt, sondern in den Ausbau der Digitalinfrastruktur – auch das haben höchstens Experten kurz verzeichnet.

Nur die „Netzallianz“ hat für ein paar Schlagzeilen gesorgt – ein Forum, in dem Dobrindt über die nächsten Jahre alle zusammenbringen will, die dafür sorgen können, dass sich über ganz Deutschland ein flottes digitales Netz spannt. Wie wichtig das Thema ist, hat er im bayerischen Landtagswahlkampf gesehen. „Schnelles Internet bis auf die Alm“ war da ein Renner.

Richtig gedankt hat ihm die „Netzallianz“ aber wieder keiner. „Jetzt heißt es, er macht nur noch so was.“ Dobrindt schüttelt den Kopf. Er hat sich doch in die Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung eingelesen. Er hat sich mit dem Schienennetz der Bahn beschäftigt und Messfahrzeuge in Gang gesetzt, die prüfen sollen, ob das Staatsunternehmen vernünftig mit dem Geld umgeht. Er hat eine völlig neue Abteilung aufbauen müssen, eben für das Digitale, und dafür mit wenig begeisterten Nachbarministerien rangeln müssen. Er hat sich mit all den vielen Themen seines Hauses beschäftigt. Er will eben selbst im Bild sein, bevor er sich ins politische Geschäft da draußen begibt, wo Interessenvertreter lauern und Länderverkehrsministerkollegen, die sich föderal-egoistisch verhalten, um nicht zu sagen: bayerisch.

„Abarbeiten“ – wenn Dobrindt von den ersten drei Monaten erzählt, fällt das Wort immer wieder. Es klingt nach Mühsal, nach Respekt vor dem Job, aber auch nach Systematik. Die ihn schon länger kennen, sagen: So hat er das als Generalsekretär schon gemacht, Schritt für Schritt wie am Berg, und keinen, bevor er nicht Grund unter den Füßen hat.

Zur Wahrheit gehört, dass die CSU den Minister Dobrindt braucht

Womit wir nun also beim Thema „Seilschaft“ wären. Ein Generalsekretär braucht kein sicherndes Seil, sondern einzig und allein das Vertrauen seines Vorsitzenden. Ein Minister könnte ein paar Helfer und Verbündete brauchen. Theoretisch gibt es die: die Abgeordneten der CSU-Landesgruppe. Aber seit neulich mit Dobrindt der General durchgegangen ist, ist das Verhältnis noch schwieriger geworden, als es ohnehin schon war.

Dazu muss man wissen, dass in der CSU eine natürliche Unverträglichkeit herrscht zwischen den „Münchnern“ und den „Berlinern“. Die jeweiligen Herren in der Staatskanzlei und ihre Helfer haben die Bundestagsabgeordneten seit jeher im Verdacht des regierungsfrommen Kompromisslertums. Die Berliner wiederum finden, dass es sich die Münchner zu leicht machen, wenn sie mal wieder den dicken bayerischen Max geben und lautstark Zeugs fordern, das sie nicht selber umsetzen müssen.

Der Fall Edathy hat diesen latenten Konflikt explodieren lassen. Als der CSU-Minister Hans-Peter Friedrich im Zuge der Affäre zurücktreten musste, während bei der SPD alle mit einem schlechten Gewissen davonkamen, waren sie in Berlin sauer, in München aber stinksauer. Dort haben sie stets vor Augen, dass es in der supergroßen Koalition auf die CSU rechnerisch nicht ankommt. Umso empfindlicher reagieren sie auf alles, was so aussieht, als nähmen CDU und SPD den kleinsten Partner nicht so richtig ernst.

Es kann noch heiter werden

Dobrindt ist in dieser Frage ein „Münchner“. Er hat auf den Tisch gehauen, als die Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt die Affäre für praktisch erledigt erklärte. Dass und wie er protestiert hat, stand anschließend haarklein im „Spiegel“, obwohl die Szene im kleinsten Kreis in Hasselfeldts Büro stattfand. Dobrindt ließ sich obendrein mit dem Satz zitieren: „Ich habe die Schulterklappen wieder angelegt.“ Hasselfeldt hat das ganz richtig als Herausforderung begriffen und in der nächsten Landesgruppensitzung eine spitze Bemerkung gemacht über Leute, die anderen Geschwätzigkeit vorwerfen und selbst die Vertraulichkeit brechen. Sie hat dafür sehr deutlichen Applaus bekommen.

Seither ist der Graben zwischen dem „Münchner“ in der Invalidenstraße und den Berlinern noch ein Stück tiefer. Dobrindt findet aber, dass der Einwurf nötig war: „Auch in einer großen Koalition darf man der CSU nicht so gegen das Schienbein treten.“ Es kann also noch heiter werden in den nächsten Jahren zwischen einer selbstbewussten Landesgruppe und einem, der sich als Lordsiegelbewahrer des Parteiinteresses versteht. „Der Alex“, knurrt ein Altgedienter aus der Bundestagsfraktion, „der muss ein bisschen aufpassen. Der braucht uns noch.“

Doch zur Wahrheit gehört, dass die CSU umgekehrt den Minister Dobrindt braucht. Und das hängt mit jenem Thema zusammen, zu dem der Bundesverkehrsminister bisher sozusagen betont geschwiegen hat. Keiner – außer Seehofer selbst – hat im Wahlkampf so laut für die Pkw-Maut getrommelt. Keiner hat so unzweideutig erklärt, dass er das hinkriegen wird, dass nur Ausländer auf deutschen Autobahnen zahlen und die Deutschen keinen Cent. Die CSU hat damit sogar die unwillige Kanzlerin unter Druck gesetzt, bis Angela Merkel knurrend nachgab.

Jetzt muss er liefern. Bis zur Sommerpause, versprochen. Eigentlich, sagt Dobrindt, könnte er das schon heute, weil er ja nicht verrückt sei und deshalb das Mautkonzept schon fertig gehabt habe, bevor sie es zum Wahlkampfhit erhoben haben: „Ich sitz’ da persönlich drauf.“ Aber das Projekt muss vom ersten Tag an richtig laufen. Viel Beifall ist eh nicht zu erwarten. Dafür war der Konflikt im Wahlkampf zu massiv. Selbst in den eigenen Reihen nisten Skeptiker.

Seine Hände führen ein kleines Ballett auf

Am Mittwoch steht Alexander Dobrindt im Berliner Hauptbahnhof, Gleis 2, neben einem hochglanzpolierten weißen Pfeil. Der Verkehrsminister übergibt den neuen ICE 3 offiziell seiner Bestimmung. Bahn-Chef Rüdiger Grube lobt den Herrn Minister, der sich trotz der kurzen Amtszeit schon erfolgreich für ein europäisches Zulassungsverfahren für neue Züge verwandt habe. Dobrindt lobt den Bahnchef dafür, dass er seine Idee aufgreifen will, in den Zügen demnächst überall W-Lan anzubieten. „Wir erleben heute“, sagt Dobrindt, „einen echten Modernisierungssprung.“

Seine Hände führen an dem Minirednerpult ein kleines Ballett auf – ballen, spreizen, ausbreiten, falten. Routine ist so ein Termin also noch nicht. Aber dieser jedenfalls passt ihm ins Konzept. Verkehrsminister hatten es früher einfacher; dafür wirkten sie stets leicht straßenbauverstaubt. Dobrindt will den Staub abschütteln. Die CSU brauche am Ende dieser Regierung „ein eigenes Prädikat“. Er hat eine Idee, wie das aussehen könnte. Smartphone und Sneaker, sozusagen.

Aber erst muss er die Sache mit der Maut meistern. Er will sich nicht drängen lassen; den Boden bereiten, mit Leuten reden, den richtigen Zeitpunkt abpassen. Jetzt das Gespöttel, das lässt sich aushalten: „Der umgekehrte Fall wäre ein Problem – es nicht hinzukriegen.“ Er wäre, der Fall, weit mehr als ein Problem.

Dieser Text erschien auf der Dritten Seite.

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