Abgasmanipulationen bei Volkswagen: Skandal belastet EU bei TTIP-Verhandlungen
Die Abgas-Affäre bei VW hat das Ansehen des Konzerns geschädigt. Der Skandal schwächt aber auch die Position der Europäer bei den Verhandlungen um TTIP.
Beim Nachhaltigkeitsgipfel der Vereinten Nationen in New York vor zwei Wochen waren viele Augen auf Angela Merkel gerichtet. In ihrer Rede zu den neuen globalen Zielen präsentierte die Bundeskanzlerin Deutschland vor allem als eines, als verlässlichen Partner. Sie versprach einen höheren Entwicklungsetat und warb für den 100-Milliarden-Klimafonds. Denn sie wusste, was sie zu tun hatte. Der VW-Skandal hat den tadellosen Ruf der Deutschen beim Umweltschutz in den USA schwer beschädigt. Die millionenfachen Täuschungen aus Wolfsburg bedrohen dabei längst nicht mehr nur die Glaubwürdigkeit des Konzerns und Deutschlands. Auch die Verhandlungsposition der Europäer beim geplanten Transatlantischen Handelsabkommen TTIP ist nach Expertenbeobachtung geschwächt. Und selbst das Zustandekommen des Abkommens an sich wird inzwischen in- frage gestellt.
Europas TTIP-Verhandler haben durch den Abgas-Skandal ihre moralische Überlegenheit verloren
In einer Expertise des renommierten Washingtoner Think Tanks „Brookings“ heißt es jetzt, der Skandal lasse global die staatliche Regulierungskraft fraglich erscheinen. Insbesondere aber die in Europa vertretene Ansicht, die europäische Regulierung sei der amerikanischen überlegen, habe sich wohl erledigt. „Noch vor einer Woche“, schreibt der Autor der Studie, Carlo Bastasin (selbst Europäer), „konnten die europäischen TTIP-Verhandler in den Gesprächen mit den amerikanischen Kollegen auf moralische Überlegenheit pochen“. Der Skandal aber stelle nicht nur eben diese moralische Überlegenheit in- frage. Dass die Täuschung ausgerechnet von einer US-Behörde aufgedeckt wurde, mache den eigentlichen Wendepunkt aus. „Das europäische Regulations- und Kontrollsystem hat versagt, also musste das amerikanische System sich um das Problem kümmern.“ So ist mehr und mehr die Sichtweise in den Vereinigten Staaten
Für den Think Tank Brookings offenbart der Abgas-Skandal die Schwäche des europäischen Regulationssystems
Die Volkswagen-Affäre lege die inhärente Schwäche des europäischen Regulationssystems offen. Bastasin benennt dafür drei Faktoren: die nationale Umsetzung für europäisch beschlossene Normen, die fehlende Sanktionsmacht der europäischen Kommission bei der Kontrolle der nationalen Systeme und insbesondere der Einfluss der - allen voran deutschen - Automobilindustrie. „Allein der Umstand, dass Volkswagen, der größte deutsche industrielle Konzern, bei den Emissionstests betrogen hat“, heißt es in der Analyse, „unterminiert die komplette europäische Position“. Und die plötzliche Umverteilung der Gewichte innerhalb der TTIP-Verhandlungen gefährde dabei die Verhandlungen als Ganze. „Das könnte es sogar noch schwerer machen, eine Vereinbarung vor dem Ende von Obamas Amtszeit zu erzielen“, heißt es zugespitzt.
Die nächsten TTIP-Verhandlungen finden wieder in den USA statt
Vor der nächsten Verhandlungsrunde haben deutsche Politiker ihren amerikanischen Kollegen deshalb viel zu erklären. Und sie müssen das tun, was auch Angela Merkel in New York zu tun bereit war: vom hohen Ross steigen. Die nächste Runde findet wieder in den USA statt. Die Verhandler treffen sich von 19. bis 23. Oktober 2015 in Miami. Sie wird von internationalen Protesten begleitet sein.
Kommenden Samstag gibt es in Berlin eine Großdemonstration gegen TTIP
Am Samstag, den 10. Oktober haben deutsche TTIP-Gegner zu einer Großdemonstration in Berlin aufgerufen. Getragen wird der Protest vom Deutschen Gewerkschaftsbund, dem Kulturrat, dem Bund für Umwelt und Naturschutz, der Entwicklungsorganisation Brot für die Welt, Attac, den Grünen, der Linken und etwa 30 anderen Organisationen. Der Protest gilt auch dem geplanten Handelsabkommen mit Kanada (CETA). Beiden wird vorgeworfen, Standards aufzuweichen. TTIP und CETA seien „eine Gefahr für Demokratie, den Rechtsstaat, Umwelt-, Arbeitnehmer- und Verbraucherschutz“, heißt in einem Protestschreiben. Zudem fehle dem Verhandlungsgremium eine legitime Basis.
Die Frist für eine europäische Bürgerinitiative gegen das Abkommen ist abgelaufen
Am Mittwoch bereits ist die Frist für eine europäische Bürgerinitiative gegen TTIP abgelaufen. 512 Organisationen und Initiativen aus verschiedenen europäischen Ländern hatten 2014 die Initiative gestartet, die gemäß den EU-Statuten innerhalb eines Jahres eine Million Unterstützer in mindestens sieben Ländern (mit zusätzlichen Quoren in den einzelnen Ländern) zusammenbringen muss. Gelingt dies, muss die EU-Kommission auf die Bürgerinitiative reagieren. Die Kommission hatte die Initiative im September 2014 zwar gar nicht erst zugelassen, die Sammlung damit aber nicht gestoppt. Bis Dienstag hatten nach Angaben der Initiative 3 261 209 Menschen die Petition unterschrieben, davon allein in Deutschland 1 500 000.