Frust statt Freihandel: TTIP-Gegner spüren Rückenwind
Die TTIP-Verhandlungen kommen nicht voran. Das liegt nicht an den umstrittenen Schiedsgerichten. Ein politisches Großereignis könnte das Freihandelsabkommen blockieren.
Die Bundestagsabgeordnete Katharina Dröge ist sauer. Deshalb steht sie an einem Mittwoch Ende September morgens um halb elf vor dem Bundeskanzleramt, gemeinsam mit rund 40 weiteren Oppositionspolitikern. „Wir wollen wissen, was drinsteht“ haben sie auf die Schilder geschrieben, die sie in die Kameras halten, und: „Blackbox-TTIP – Wir fordern Leserecht.“ Dröge ist wettbewerbspolitische Sprecherin der Grünen, doch die wichtigsten Dokumente des geplanten Handelsabkommen zwischen den USA und Europa, darf sie nicht einsehen. Das wiederum will sie nicht einsehen.
Am 19. Oktober treffen sich die Unterhändler von EU-Kommission und US-Regierung zur inzwischen elften Verhandlungsrunde, doch ihr Job wird immer komplizierter. Europa diskutiert über Schiedsgerichte und mangelnde Transparenz. Besonders in Deutschland gibt es beim Thema Freihandelsabkommen eine extrem kritische Öffentlichkeit. In den USA droht Stillstand wegen der Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr. Auch inhaltlich laufen die Verhandlungen alles andere als zufriedenstellend.
Europäer drängen auf Öffnung des US-Marktes
Die europäische Seite spricht inzwischen offen über ihren Frust. Am vergangenen Montag drohte Matthias Fekl, französischer Staatssekretär und zuständig für Handel, bei einer TTIP-Konferenz in Berlin sogar mit dem Abbruch der Gespräche. Die Amerikaner bewegten sich derzeit so gut wie gar nicht, sagte Fekl, im Notfall werde die französische Regierung „die Reißleine“ ziehen. Nur bei wenigen der insgesamt 24 Verhandlungskapiteln hätten die USA bisher überhaupt erste Vorschläge vorgelegt.
Europas Politiker hatten besonders auf eine Öffnung der sogenannten „Beschaffungsmärkte“ gehofft, also auf die Erlaubnis für europäische Anbieter, sich an öffentlichen Ausschreibungen in den USA zu beteiligen. Doch die Amerikaner wollen an ihrem „buy american“ bisher nicht rütteln – was auch damit zu tun hat, dass die Beschaffungsmärkte Sache der Bundesstaaten sind, für die die Bundesebene gar nicht verhandeln kann. „Dabei ist das ein riesiger Bereich, der fast 17 Prozent des US-Bruttoinlandprodukts ausmacht“, sagt Bernd Lange (SPD), Vorsitzender des Handelsausschusses im Europaparlament. US-Anbietern dagegen stünden die EU-Märkte offen, wenn sie die Kriterien der Ausschreibung erfüllten. Auch über eine mögliche Regulierung der Finanzmärkte, ebenfalls eine europäische Herzensangelegenheit, wollte die US-Seite bislang nicht sprechen.
TTIP-Gegner wollen am Samstag auf die Straße
Dabei drängt die Zeit. In den USA sind im kommenden Jahr Präsidentschaftswahlen. Wenn die Verhandlungen vorher nicht abgeschlossen sind – und damit rechnet momentan kaum noch jemand –, wird es Monate oder gar Jahre dauern, bis die Gespräche mit neuen Zuständigen fortgesetzt werden können. Die USA aber wollen erst einmal das Transpazifik-Abkommen abschließen, wobei sich auch diese Unterschrift zeitlich immer wieder verschiebt.
In Deutschland gehört die Woche vor der nächsten Verhandlungsrunde den TTIP-Gegnern. Am kommenden Sonnabend soll in Berlin gegen die Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada (Ceta) und für einen „faireren Welthandel“ demonstriert werden. Zum Bündnis der geplanten Großdemo gehören globalisierungskritische Organisationen wie Campact oder Attac, Menschenrechtsorganisationen wie Oxfam oder Brot für die Welt, außerdem Tierschutz- und Umweltverbände. Grüne und Linke unterstützen sie sie politisch. Und auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) trägt den Aufruf mit. Die Arbeitnehmervertreter sorgen sich vor allem um Arbeitsschutzstandards und um die öffentliche Daseinsvorsorge.
Parlamentarier fordern mehr Transparenz
Das umstrittenste TTIP-Thema bleibt aber auch nach monatelanger Diskussion weiterhin der Investitionsschutz. Also: Sollen Investoren den jeweils anderen Staat vor einem sogenannten Schiedsgericht verklagen können – und damit außerhalb der nationalen Gerichtsbarkeit? In einer Reaktion auf die große öffentliche Kritik an dem bisherigen ISDS-Verfahren hat die EU-Kommission vor kurzem einen ersten Vorschlag zur Überarbeitung gemacht. Der Investorenschutz soll zwar Teil des Vertrags bleiben, es soll aber unter anderem die Möglichkeit geben, bei Schiedsgerichten in Berufung zu gehen. Richter sollen unabhängiger bestimmt und Entscheidungen öffentlich begründet werden. Diese EU-Position muss noch vom Rat und dem EU-Parlament abgesegnet werden, bevor sie der amerikanischen Seite vorgelegt werden kann.
Cecilia Malmström, die zuständige EU-Kommissarin, hatte nach ihrer Amtsübernahme eine „Transparenzoffensive“ angekündigt. Seitdem hat die EU-Kommission zahlreiche Dokumente ins Netz gestellt. Allerdings gibt es immer noch Einschränkungen, die Abgeordnete als zu strikt empfinden. Für EU-Parlamentarier gibt es in Brüssel einen Leseraum, in dem abgestimmte Texte ausliegen. Ausführliche Protokolle der einzelnen Verhandlungsrunden waren bisher auch Bundestagsabgeordneten zugänglich.
Nachdem das Recherchebüro „Correctiv“ allerdings mehrere dieser Papiere veröffentlichte, sperrte die Kommissarin den Zugang. „Diese Reaktion war falsch“, sagt EU-Parlamentarier Lange. „Ein Leak muss untersucht werden, aber es darf keine Einschränkung der Transparenz geben.“ Bundestagsabgeordnete Dröge verlangt zudem auch Zugang zum Berliner Leseraum. Bisher haben hier nur Mitarbeiter der Regierung und der Ministerien Zutritt. Dies sei vor allem für die Zukunft entscheidend – wenn die Verhandlungen bis dahin zu konkreten Ergebnissen und Vertragsentwürfen führen sollten.
Die globalisierte Wirtschaft stellt Unternehmen und Nationalstaaten vor neue Herausforderungen. Welche Techniken verändern den globalen Handel? Wie können die Schwellenländer weiter entwickelt, neue Märkte erschlossen, der Wohlstand gerechter verteilt werden? Diesen Herbst diskutieren darüber an dieser Stelle Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik. Wir beginnen mit Beiträgen zum Freihandelsabkommen TTIP, das zum Symbol für die Globalisierung geworden ist. Lesen Sie die Debattenbeiträge hier nach.