Ernährungsminister im Interview: Schmidt: „Wir sollten Fleisch nicht verramschen“
Ernährungsminister Christian Schmidt über Lockangebote des Handels, die Ahnungslosigkeit der Lehrer und gesunde Rezepturen der Ernährungsindustrie.
Herr Schmidt, wie oft gehen Sie einkaufen?
Zwei Mal im Monat.
Was kaufen Sie?
Die Dinge des täglichen Bedarfs. Und ich nutze natürlich auch die Gelegenheit, mir einen Überblick über die Lebensmittelpreise zu verschaffen. Mich interessiert, wie hoch die Preise sind und wie sie sich entwickeln. Nehmen Sie die Milch. Da gibt es Riesenunterschiede zwischen der No-Name-Milch und den teuren Marken, wo man auch schon mal 1,19 Euro für den Liter zahlt.
Wie wichtig ist der Preis für Sie?
Mir ist zuerst die Qualität wichtig, und dann kommt der Preis. Ich schaue auch auf Labels und suche vor allem nach regionalen Produkten.
Ihr Ministerium war ja maßgeblich an der Entwicklung des Regionalfensters beteiligt, das regionale Produkte kennzeichnen soll, aber im Handel sieht man das kaum. Ist das Projekt gescheitert?
Überhaupt nicht. Das Regionalfenster hat sich gut etabliert, heute sind über 4000 Produkte damit ausgezeichnet. Dass Ihnen die Produkte in Berlin weniger auffallen, liegt an einem Nord-Süd-Gefälle. Im Süden ist die regionale Markenbindung ausgeprägter. In Nord- und Ostdeutschland sehe ich da noch große Marktpotenziale.
In einer Marktwirtschaft sollte der Preis der Spiegel des Werts eines Produktes sein, warum ist das bei Lebensmitteln nicht so?
Lebensmittel werden zu oft als Lockangebote eingesetzt. Das ist vor allem bei Fleisch so. Die Sonderangebote bringen die Leute in den Laden. Das kann man aus Händlersicht verstehen, aber es konterkariert unsere Vorstellung von Qualität und dem angemessenen Preis von Fleisch. Ich wünschte allerdings auch, dass die Verbraucher stärker den Zusammenhang von Qualität und Preis akzeptieren. Unsere qualitativ hochwertigen Lebensmittel müssen ihren Preis wert sein und dürfen nicht verramscht werden.
Dem Handel ist es wettbewerbsrechtlich untersagt, Waren unter Einstandspreis zu verkaufen. Aber kontrolliert irgendjemand, ob sich die Supermärkte auch daran halten?
Den Verkauf unter Einstandspreis und das Anzapfverbot, bei dem sich Händler von Lieferanten dafür bezahlen lassen, dass sie deren Waren im Sortiment haben, haben wir erst kürzlich verschärft. Vor allem gibt es jetzt eine rechtliche Definition des Einstandspreises, an dem sich die Wettbewerbsbehörden orientieren können. Damit kann das Verbot zukünftig effektiver kontrolliert und durchgesetzt werden.
In Deutschland landen jedes Jahr elf Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll. Man bräuchte 440 000 Sattelschlepper, um diese zu transportieren. Agrarminister beißen sich seit Jahren an diesem Thema die Zähne aus. Warum schaffen Sie es nicht, mehr Lebensmittel vor dem Müll zu retten?
Wir haben das Thema in das Bewusstsein der Menschen gerückt, das ist ein entscheidender Schritt nach vorn. Unsere erfolgreiche Initiative „Zu gut für die Tonne“, die Menschen darüber informiert, wie sie zu Hause Lebensmittelabfälle vermeiden können, bauen wir jetzt zu einer nationalen Strategie gegen Lebensmittelverschwendung aus. In diesem Zug werden wir auch die Datenlage verbessern, um noch genauer zu wissen, wo wie viel weggeworfen wird. Außerdem habe ich zwei neue Einrichtungen ins Leben gerufen, um die Information der Verbraucher zu verbessern: das nationale Qualitätszentrum für Schulessen und das Bundeszentrum für Ernährung. Ich finde, Ernährungsbildung muss bereits in der Schule beginnen.
Wie soll das gehen?
Wir brauchen unbedingt ein Schulfach Ernährungsbildung.
Das die Kultusminister ablehnen.
Die Diskussionen sind nicht einfach, aber ich werde in Kürze eine Studie vorstellen über die Ausbildung der Lehrer im Bereich Ernährungswissen. Die wird zeigen, dass hier dringender Nachholbedarf besteht.
Inwiefern?
Es gibt nur in sechs Bundesländern Lehrstühle, die sich mit der Ernährungswissenschaft beschäftigen. Die Ausbildung der Lehrer ist aber Voraussetzung für eine gute Ernährungsbildung. Und die Grundlagen guter Ernährung werden im Kindesalter gelegt, deshalb habe ich ein Institut für Kinderernährung am Max-Rubner-Institut eingerichtet. Aber Bildung und die Institute sind nur ein Teil beim Einsatz gegen Lebensmittelverschwendung. Wir müssen alle Stellschrauben nutzen, die wir haben, etwa auch beim Mindesthaltbarkeitsdatum.
Zu große Packungen für die vielen Single-Haushalte
Sie haben sich dazu kürzlich mit Vertretern der Ernährungswirtschaft und des Handels getroffen. Was hat das gebracht?
Es war das erste Treffen zu Datumsangaben bei Lebensmitteln im großen Kreis mit Wirtschaft, Wissenschaft und Ländern. Die Diskussion hat gezeigt, dass wir mit unseren Themen auf dem richtigen Weg sind und die Wirtschaft in vielen Bereichen bereit ist, mitzuziehen. Ich habe ja den Vorschlag unterbreitet, das Mindesthaltbarkeitsdatum um ein Verbrauchsverfallsdatum zu ergänzen, damit die Verbraucher genauer erkennen, bis wann sie ein Lebensmittel bedenkenlos verzehren können. Grundsätzlich habe ich den Eindruck, in das Thema kommt Bewegung.
Für eine große Reform des Mindesthaltbarkeitsdatums sind aber nicht Sie zuständig, sondern die EU-Kommission.
Ja, das stimmt. Und da müssen in Brüssel dicke Bretter gebohrt werden. Wir können aber von Deutschland aus Druck machen und das Thema immer wieder auf die Agenda setzen. Auch die Kommission hat sich mittlerweile der Datumsangaben angenommen, ebenso das Europäische Parlament. Oft lohnt es sich, national voranzugehen, um die Dinge auf europäischer Ebene ins Laufen zu bringen. Ich habe das in einem anderen Fall erlebt. Unsere Mineralölverordnung, die Mineralölrückstände aus recyceltem Altpapier und Druckertinte in Lebensmittelverpackungen eindämmen soll, wird jetzt auf EU-Ebene übernommen. Damit schaffen wir Wettbewerbsgleichheit in Europa. Davon profitieren die Verbraucher und die deutschen Unternehmen.
Sollte der Handel noch mehr Single-Portionen anbieten, um Lebensmittelverschwendung zu vermeiden?
Ja, das wollen wir auch untersuchen. Es macht ja keinen Sinn bei einer wachsenden Zahl von Single-Haushalten die Packungsgrößen weiter zu vergrößern.
Sie setzen auf Informationen der Verbraucher und wissenschaftliche Untersuchungen. Aber verpufft das nicht im Alltag? Eine Ernährungsstudie Ihres Hauses hat ja gezeigt, dass die Leute gern Fertigprodukte kaufen und eher selten selbst kochen.
Wenn man den Menschen so nimmt wie er ist und nicht – wie zum Beispiel die Grünen – den Veggie-Menschen erschaffen will, dann muss man den Weg über Aufklärung und Informationen gehen. Natürlich wird es weiterhin Menschen geben, die auf Fertigprodukte setzen, aus welchen Gründen auch immer. Deshalb habe ich mich dafür eingesetzt, dass Rezepturen besser und gesünder werden. Ich habe mit der Ernährungswirtschaft entsprechende Vereinbarungen getroffen, und die werden jetzt umgesetzt.
Sie meinen, dass etwa der Nestlé-Konzern künftig weniger Salz in seinen Maggi-Produkten verwendet?
Zum Beispiel. Nestlé ist dabei, aber ich möchte, dass auch Mittelständler mit im Boot sind, etwa die Bäcker. Es muss ein Wettbewerbsvorteil sein, wenn man neue Rezepturen macht, die weniger Salz, weniger Zucker und weniger Fett haben. Wenn uns das gelingt, haben wir viel für die gesunde Ernährung getan, ohne staatliche Umerziehung.
Das Gespräch führte Heike Jahberg
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität